kruess_james_timm_thaler_oder_das_verkau fte_lachen(1) (857789), страница 22
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Sie waren imMorgengrauen gestartet, und der Junge konnte von seinem Fensteraus Meer und Himmel kaum unterscheiden. Aber plötzlich sah erschräg unter sich hinter einem kleinen dunklen Inselbuckel denSonnenball. Es war, als sei die Sonne aus dem Meer gehüpft, soschnell war sie mit einem Male da.„Wir fliegen ostwärts, der Sonne entgegen“, erklärte Lefuet.
„InAthen wird man noch eine Weile warten müssen, ehe sie aufgeht.Meine Schloßbedienten beten die Sonne an. Esch Schems wird siegenannt.“„Ich dachte, Ihre Bedienten beten den Teufel an“, sagte Timm.„Gewiß, sie verehren Scheitan als den Herrn der Welt, nicht aberals den Herrn des Himmels.“Der Junge wollte wieder „aha“ sagen, erinnerte sich aber daran,daß er mit diesem gleichmütigen Wort schon einmal den Unwillendes Barons erregt hatte. Deshalb sagte er gar nichts, sondern sahschweigend hinunter auf das Meer, dessen bleiernes Grau sichungewöhnlich rasch aufhellte, bis es zu einem gläsernen Grüngeworden war.Timm fürchtete sich nicht in der Luft, aber er freute sich auchnicht über den Flug. Er staunte nicht einmal.
Wer nicht lachen kann,der kann auch nicht staunen.Der Baron erklärte ihm jetzt „die Lage auf dem Buttermarkt“, dieTimm herzlich gleichgültig war. Immerhin begriff er, daß die Firmamit mehreren großen Molkerei-Genossenschaften verzankt war unddaß eine andere Firma in Norwegen, Schweden, Dänemark,Deutschland und Holland bessere und billigere Butter verkaufte alsLefuet.
Aus diesem Grunde flogen sie jetzt zu dem Schloß inMesopotamien. Dort wollte der Baron „die Sachlage klären“ und„Maßnahmen ergreifen“. Zwei andere Herren waren jetzt ebenfallsim Flugzeug unterwegs zu dem Schloß. Der eine Herr, ein MisterPenny, kam aus London, der andere, Senhor van der Tholen, ausLissabon.Als das Flugzeug bereits die kahlen Hochflächen Anatoliensüberflog, sprach der Baron immer noch von Buttersorten undButterpreisen. Dabei redete er von „Verkaufsfront“, „KonsumentenEtappe“ und „angriffiger Werbekampagne“, als sei er ein General,der eine Schlacht gewinnen müsse.Um auch irgend etwas dazu zu sagen, bemerkte Timm, als derBaron eine Pause machte: „Bei uns zu Hause gab es immer nurMargarine.“„Margarine ist kein Geschäft und als Brotaufstrich eineZumutung“, brummte Lefuet.„Sie wurde aber nicht nur aufs Brot geschmiert“, berichtigteTimm.
„Bei uns wurde damit auch gebacken, gebraten undgesotten.“Jetzt wurde der Baron aufmerksam. „Für Sie war die Margarinealso Schmalz, öl, Backfett und Butter in einem, wie?“Timm nickte. „Ich glaube, allein in unserer Gasse wurde jedenTag mindestens ein Zentner Margarine verbraucht.“„Das ist interessant“, murmelte Lefuet. „Das ist hochinteressant,Herr Thaler! Ausweichmanöver mit Margarine und Geländegewinnauf dem Buttermarkt.
Das ist beinah genial. Aber wie?“Der Baron versank in Nachdenken, er schien auf seinem Sitzförmlich in sich zusammenzusinken. Und das war Timm lieb; dennunter sich sah er in den Falten des Gebirges aus verschiedenenRichtungen Eselkarawanen ziehen, die alle einem Punkt zustrebten,anscheinend einem Ort, an dem Markttag war. Der Pilot flog desJungen wegen sehr niedrig, und so konnte Timm auch die Eseltreiberund -treiberinnen ziemlich deutlich erkennen. Da er die Gesichternur als helle Scheiben mit oder ohne Schnauzbart sah, beurteilte erdie Leute da unten nach ihrer Kleidung, und die war für seine Augenso absonderlich, daß diese Menschen ihm vorkamen wie seltsamefremde Tiere, die man in zoologischen Gärten sieht.
Natürlich wardas großer Unsinn; denn wenn die Leute da unten frisiert undgekleidet gewesen wären wie zum Beispiel die Leute in TimmsGeburtsstadt, hätte der Junge nichts Absonderliches an ihnengefunden außer vielleicht ihre etwas dunklere Hautfärbung. Aber beieinem vierzehnjährigen Jungen, der unvorbereitet in ferne Länderentführt wird, ist eine unrichtige Meinung über nie zuvor geseheneVölkerstämme begreiflich und erklärlich.
Im übrigen sollte Timmsehr bald am Beispiel Selek Beis lernen, neue Bekannte und andereVölker nicht vorschnell zu beurteilen.Dieser Selek Bei kam aus einem Olivenwäldchen herausgeritten,als das Flugzeug in einem hochgelegenen flachen Tal gelandet undTimm als erster ausgestiegen war. Lefuet begrüßte ihn ungewöhnlichhöflich auf arabisch. Unter dem Verbeugen flüsterte er dem Jungenzu: „Er ist ein großer Kaufherr und das Oberhaupt der Yeziden. Erhat in Ihrer Heimatstadt studiert.
Gleich wird er anfangen, deutschmit uns zu reden. Behandeln Sie ihn ehrerbietig, und verneigen Siesich tief.“Selek Bei wandte sich jetzt an Timm, der nicht wenig verwirrtwar. Der bärtige Greis trug eine Kleidung, deren einzelne Teile derJunge erst nach und nach erkannte. Da war ein Hemd, ein Wams, einRock und ein Überrock, dazu ein farbiges Tuch, das um den Bauchgeschlungen war, und schließlich ein Rock, wie ihn Frauen tragen,unter dem geschlungene Beinkleider sichtbar waren. Das alles warvon prächtigster Farbigkeit, in der das Rostrot vorherrschte. Dasdunkle Gesicht Selek Beis war eckig, aber fast ohne Falten. Unterschwarzen Brauen saßen blaue Augen.„Ich nehme an, junger Herr, Sie sind der berühmte Erbe, von demdie Zeitungen berichten“, sagte er in erstaunlich gutem Hochdeutsch.„Ich begrüße Sie und wünsche Ihnen Gottes Segen.“Der Greis verbeugte sich, und Timm tat das gleiche. SeineVerwirrung steigerte sich; denn dieser Mann, der ihm Gottes Segenwünschte, war das Oberhaupt der sagenhaften Teufelsanbeter.Obendrein schien sich hinter dieser Gestalt, die für Timms Augenbeinahe eine Figur aus dem Panoptikum war, ein sehr gebildeterHerr zu verbergen.
Der Augenschein und die Wirklichkeitunterschieden sich so sehr voneinander wie eine Wachsblume voneiner lebendigen Rose. Das eben war es, was Timm verwirrte. Aberder Junge hatte längst gelernt, seine Gefühle zu verbergen. Höflichantwortete er dem alten Selek Bei: „Ich freue mich, IhreBekanntschaft zu machen. Der Baron hat mir schon viel von Ihnenerzählt.“ (Das stimmte zwar nicht; aber Timm hatte solche höflichenSchwindeleien jetzt oft gehört und machte sie nach.)Eine offene vierrädrige Kutsche, die von zwei Pferden gezogenwurde, brachte sie zum Schloß.
Selek Bei ritt nebenher undunterhielt sich dabei mit dem Baron auf arabisch.Als die Kutsche um das Olivenwäldchen bog, lag das Schloß vorihnen, das einen sanften Abhang krönte.Es war ein Monstrum, ein backsteinernes Spektakel mitZinnentürmchen und Regenwasser speienden Drachenköpfen amEnde der Dachrinnen.„Glauben Sie, bitte, nicht, ich hätte diese Scheußlichkeit gebaut“,wandte der Baron sich an Timm. „Ich habe das Ding einerverschrobenen englischen Lady abgekauft, weil dieser Winkel derWelt mir gefällt.
Nur der Park wurde von mir angelegt.“Dieser Park, der in Terrassen den Abhang hinabstieg, war auffranzösische Art angelegt. Die zu Kegeln, Würfeln und Kugelngeschnittenen Bäume und Büsche mußten mit Zirkel und Linealgepflanzt worden sein, so schnurgerade waren die Alleen, so peinlichgezirkelt die Rondells.
Jede Terrasse bildete ein anderes Ornament.Die Wege schienen mit einer Art rotem Kies bestreut zu sein.„Wie gefällt Ihnen der Park, Herr Thaler?“Timm, der so viel beschnittene Natur einfach blödsinnig fand,antwortete: „Er ist eine gut gelöste Rechenaufgabe, Baron!“Lefuet lachte. „Sie umschreiben Ihre Abneigung sehr höflich,Herr Thaler. Ich muß sagen, Sie entwickeln sich vortrefflich.“„Wenn ein so junger Mensch nicht sagt, was er meint, entwickelter sich schlecht“, mischte sich Selek Bei vom Pferde aus insGespräch. Er sagte es ziemlich laut, um das Räderrasseln zuübertönen.Lefuet antwortete ihm auf arabisch, und zwar in ziemlichscharfem Tone, wie es Timm schien.
Der Reiter gab keine Antwort.Er sah den Jungen nur mit einem langen, nachdenklichen Blick an.Kurz darauf verabschiedete er sich und ritt in scharfem Trab um denHügel herum auf ein fernes Gebirge zu.Der Baron sah ihm nach und sagte: „Ein kluger Kopf, aberschrecklich moralisch. Er hat in den ausländischen Zeitungengelesen, daß ich das Grab des Hirten Ali für mein eigenesausgegeben und mich kurzerhand in meinen Zwillingsbruderverwandelt habe.
Er wird darüber schweigen, aber er verlangt, daßich als Buße seinen Gläubigen einen neuen Tempel baue. Es wirdmir wohl nichts anderes übrigbleiben.“„Wenn ich könnte, würde ich jetzt darüber lachen“, erwiderteTimm ernst.An seiner Stelle lachte der Baron. Er lachte kullernd und miteinem Schlucker am Schluß.
Und diesmal bedrückte es Timm nicht.Der Junge war sogar zufrieden darüber, daß er sein Lachen fortanstets in greifbarer Nähe haben werde. Er meinte, so könne er beipassender Gelegenheit schnell danach greifen. Er merkte nicht, daßdas ein Irrtum war. Timm richtete sich darauf ein, den Baron bis aufweiteres zu begleiten.Die Kutsche hielt jetzt unterhalb der Treppe, die von Terrasse zuTerrasse bis hinauf zum Schloß führte. Von hier unten sah sieriesenhaft aus, fast so, als ob sie kein Ende nähme. Das Seltsamstean ihr waren aber die Hunde: steinerne Hundestandbilder, die linksund rechts auf den einzelnen Stufen standen und starr und stumm insTal hinausglotzten.
Es mußten Hunderte von Hunden sein, die dastanden: Pinscher, Dackel, Setter, Foxe, afghanische Windhunde,Chow-Chows, Spaniels, Boxer und Spitze und Möpse. Sie allebestanden aus glasierter, heftig bemalter Keramik, so daß sich einbuntes Gewimmel links und rechts der Treppe bis zum Schloßhinaufzog.„Die alte Lady war eine Hundeliebhaberin“, erklärte der Baron.Und Timm antwortete: „Das sieht man.“Lefuet wollte dem Kutscher gerade Anweisung geben, auf demSerpentinenweg links der Treppe zum Schloß hinaufzufahren, alshinter einer Bulldogge aus Keramik auf halber Höhe der Treppe einMann erschien und ihnen zuwinkte.„Das ist Senhor van der Tholen“, sagte Lefuet.