kruess_james_timm_thaler_oder_das_verkau fte_lachen(1) (857789), страница 26
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Morgens Schlagacht Uhr klopfte es an Timms Zimmertür, und ein jungerfreundlicher Diener, mit dem der Junge sich leider nicht unterhaltenkonnte, kam ohne Aufforderung herein, öffnete die Vorhänge undholte dann eine Kanne mit heißem Wasser, die er ins Waschbeckenentleerte.Wenn Timm sich gewaschen und angekleidet hatte, zog er aneiner breiten bestickten Klingelschnur. Dann kam der Diener mitdem Frühstückstablett, stellte ein Tischchen vor das Fenster, verteiltedarauf das Frühstücksgeschirr, goß Kakao in die Tasse, fügte Zuckerund Rahm hinzu, rückte einen Stuhl an den Tisch, wartete mit denHänden an der Lehne, bis der Junge sich setzen wollte, und schobihm den Stuhl unter.
Dann verschwand er beinahe lautlos.Am ersten Tag hatte der Diener den Jungen breit angelächelt.Aber schon vom zweiten Tage an lächelte er niemals mehr. Ermachte ein eher trauriges Gesicht, als ob er Timms Kummer kenne.Timm seinerseits ließ alles stumm geschehen. Obwohl er dieAnteilnahme des Dieners spürte und ihn gern mochte, war erjedesmal froh, wenn die Frühstücks-Zeremonie vorüber war und erallein am Fenster saß.Am Morgen nach der halb durchwachten Nacht fiel es Timmschwer aufzustehen.
Außerdem war es noch nicht sehr hell; denndraußen goß es in Strömen. Trotzdem erhob der Junge sich, und dasZeremoniell mit dem Diener lief genau so ab wie an jedem Morgen.Timm hatte als Begleiter des Barons Beherrschung gelernt,Disziplin.Beim Frühstück sah Timm durch das Fenster einen Teil derSchloßtreppe. Die glasierten bunten Hunde glänzten im Regen.Trotzdem sahen sie erbärmlich aus, wie sie da steif und hilflos unterden Wasserschauern ausharrten, in strenger, sinnloser Disziplin.Timm hatte das Gefühl, einer dieser Hunde zu werden, wenn es ihmnicht bald gelänge, wieder ein lachender Junge zu sein.Das Telefon läutete. Lefuet war am Apparat.
Er bat Timm, umfünf Uhr den Tee mit ihm einzunehmen. Im Roten Pavillon.Timm sagte: „Gut, Baron!“ Und frühstückte weiter. Dabeiüberlegte er, was Lefuet wohl für ein Anliegen haben möge. Bisherwar der Baron einfach hinauf ins Turmzimmer gekommen, wenn erden Jungen hatte sprechen wollen. Es mußte also einen ganzbesonderen Grund für das Treffen im Pavillon geben.Beim Mittagessen, das täglich um Punkt ein Uhr durch einenGong angekündigt wurde und zu dem Timm über eine schöngeschwungene geschnitzte Treppe zum Speisesaal ins Erdgeschoßhinunterging, beim Mittagessen also sagte der Baron nichts über dieEinladung zum Tee, obwohl der Junge neben ihm saß.Selek Bei, der gewöhnlich erst am Nachmittag in das Schloß kam,war diesmal schon da und aß mit.
Timm hatte den Eindruck, daß andiesem Morgen eine wichtige Besprechung stattgefunden hatte. Aberdie Herren schwiegen sich darüber aus. Es war überhaupt dasschweigsamste aller Mittagessen im Schloß.Den Nachmittag pflegte man auf den Zimmern zu verbringen.Timm, in dessen Zimmer eine kleine deutsche Bibliothek stand, lasmeistens. Am liebsten waren ihm die rotbraunen Leinenbände imuntersten Regal, die Werke von Charles Dickens. Er verschlang dieRomane über arme unglückliche Kinder wie die Bienenstiche vonFrau Bebber. Aber vor dem glücklichen Ende einer Geschichtefürchtete er sich jedesmal. Drei Romane hatte er einfach nichtweitergelesen, weil er merkte, daß die Handlung auf einenglücklichen Ausgang zusteuerte.Dieser regnerische Nachmittag nun war wie geschaffen für dasLesen trauriger Romane.
Aber Timm las diesmal nicht. Er saß in derEckbank am Fenster, starrte in das graue Tal hinaus, über dem derRegen gleichmäßig niederrauschte, und versuchte, die Pläne derNacht in sein Gedächtnis zurückzurufen. Aber sein Kopf war wieentleert. Er konnte nicht denken. Er sah nur den Regen und dietraurigen Hunde auf der Treppe und die geschlossene Kutsche, diejeden Nachmittag mit frischen Lebensmitteln von Mosul kam.Kurz vor fünf Uhr kam der junge Diener mit einem Regenschirmins Zimmer und machte Miene, Timm zum Roten Pavillon zubegleiten. Aber der Junge nahm ihm den Schirm ab und machtedurch Zeichen verständlich, daß er allein gehen werde.Dann zog er einen leichten Regenmantel an (sie hatten ihn aufdem Markt von Athen gekauft) und verließ sein Turmzimmer.Oberhalb der Treppe stand Selek Bei.
Er begrüßte Timm miteinem Handschlag und drückte ihm dabei einen Füllfederhalter in dieHand. Obwohl niemand in der Nähe war, tat Selek Bei es sehrheimlich. Dabei flüsterte er: „Unterschreibe hiermit.“Ehe Timm etwas fragen konnte, war der Alte wiederverschwunden. Der Junge ließ den Füllhalter in eine Tasche gleiten,stieg die Treppe hinunter und ging durch die Halle auf die großeSchloßtür zu, die ein alter Angestellter ihm öffnete.Aber bevor Timm hinaustreten konnte in den Regen, rief jemand:„Einen Augenblick, Herr Thaler!“Hinter einer Säule trat Senhor van der Tholen vor. Er winkte demalten Diener, sich zu entfernen, und fragte dann halblaut: „Haben Siees sich überlegt, Herr Thaler? Sie versprechen mir Ihre StimmAktien. Ich schenke Ihnen dafür ein großes Unternehmen.“Fast hätte Timm gesagt: „Ich habe das Geschäft schon mit MisterPenny gemacht.“ Aber dieser traurige regnerische Nachmittag hattewenigstens den einen Vorteil, daß er die Gedanken träge machte.
Soüberlegte Timm erst, ehe er eine Antwort gab; und diese Antwortlautete klugerweise: „Ich kann das Geschäft nicht mit Ihnen machen,Senhor van der Tholen.“„Schade“, sagte der Portugiese mit unbewegtem Gesicht. Mehrnicht. Dann wollte er gehen, besann sich aber noch einmal und sagte:„Kommen Sie uns wenigstens bei den Margarineplänen entgegen,Herr Thaler.“ Dann ging er endgültig.Timm wußte sich keinen Reim auf die beiden Begegnungen zumachen. Zuerst der geheimnisvolle Füllfederhalter von Selek Beiund nun Senhor van der Tholens unerklärliche Bemerkung überTimms Mitwirkung an Margarineplanen.„Fehlt nur noch, daß mir auch Mister Penny über den Weg läuft“,dachte Timm.Und er tat es.Als der Junge unter dem Regenschirm die Schloßtreppehinabging, stand Mister Penny – ebenfalls regenbeschirmt – nebeneinem triefenden steinernen Windhund.„Bitte absolute Stillschweigen über unsere kleine Vertrag vonyesterday, ich meine: von gestern“, sagte er.„Ich will mir’s merken“, sagte Timm wie schon so oft.Mister Penny schien noch etwas auf dem Herzen zu haben, konntesich aber anscheinend nicht entschließen, es zu sagen.
Nach einemNicken verließ er den Jungen und stieg die Treppe hinauf.Timm war ratlos. Die Besprechung mit dem Baron mußte für dieHerren der Firma eine große Bedeutung haben; sonst hätten sie ihnkaum der Reihe nach abgepaßt und angesprochen.Sehr nachdenklich ging er zum Pavillon.Dieser sogenannte Rote Pavillon stand auf der mittleren derParkterrassen. Sein Name mußte wohl von dem feuerroten Hahnstammen, der das runde Dach krönte, denn der Pavillon selbst warweiß.Die beschnittenen Bäume und Büsche sahen aus wie feineHerrschaften, die vom Regen überrascht worden waren und frierendauf Hilfe warteten. Timm ging ziemlich rasch durch die Allee, diezum Pavillon führte. Der Baron stand bereits in der halbgeöffnetenGlastür und blickte ihm entgegen.„Sie haben sich um drei Minuten verspätet“, sagte er.
„WurdenSie aufgehalten?“„Ja“, sagte Timm, und der Baron fragte nicht weiter nach.Im runden Pavillonzimmer standen leichte Möbel mit gestreifterSeidenbespannung in Gelb und hellem Braun. Eine Dienerin goß auseinem russischen Samowar den Tee in die Tassen und wollte denPavillon dann verlassen. Timm sah, daß sie keinen Regenschirm beisich hatte, und rief: „Moment!“ Als die Frau sich umdrehte, gab derJunge ihr seinen Schirm.Die Dienerin schien darüber beinahe erschrocken zu sein.
Halbbestürzt, halb fragend, blickte sie den Baron an. Aber der lachte undbedeutete ihr mit einer Handbewegung, samt Regenschirm zuverschwinden. Und das tat sie sehr schnell.„Ihre kleinen Freundlichkeiten, Herr Thaler, machen Eindruck aufdie Leute. Bleiben Sie ruhig dabei; aber übertreiben Sie es nicht.“Der Baron half dem Jungen aus dem Mantel, und man setzte sich.„Sehen Sie, Herr Thaler, die Menschen sind in zwei Hälftengeteilt, in Herren und in Diener.
Unsere Zeit möchte diese Grenzeverwischen; aber das ist gefährlich. Es muß Leute geben, die denkenund befehlen, und solche, die nicht denken xmd die die Befehleausführen.“Timm trank ruhig seinen Tee, ehe er antwortete. „Als ich noch einziemlich kleiner Junge war, Baron, sagte mein Vater mir einmal:Glaube nicht an Herren und Diener, Junge! Glaube nur an kluge unddumme Leute, und verabscheue die Dummheit, wenn sie nichtgutmütig ist! Ich habe mir das damals in ein Schulheft geschrieben,deshalb weiß ich es noch.“„Ihr Vater sagt praktisch dasselbe wie ich, Herr Thaler.
Denn dieKlugen sind die Herren, die Dummen die Diener.“Timm erwiderte: „Selek Bei hat mir erklärt, daß in Afghanistanund in Südamerika nur diejenigen die Herren sind, die zufällig dazugeboren wurden.“„Geburt ist kein Zufall“, brummte Lefuet mürrisch. „Im übrigen,Herr Thaler, ist Selek Bei ein Kommunist. Trotz seiner Religion. Erweiß es nur nicht. Ich aber weiß, daß er in Südamerika eine Armeebezahlt, die unseren Präsidenten stürzen soll.
Und ich weiß auch, daßer in Afghanistan die Scherenschleifer gegen unseren Beauftragten,Ramadulla, aufwiegeln will.“„Das wissen Sie?“ Timm machte ein so entsetztes Gesicht, daßder Baron hell auflachte.„Ich weiß mehr, als Sie ahnen“, rief er lachend. „Ich kenne auchIhren Vertrag mit Mister Penny, Herr Thaler.