kruess_james_timm_thaler_oder_das_verkau fte_lachen(1) (857789), страница 24
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Und Timms wegensprach man deutsch. (Obwohl Mister Penny Schwierigkeiten mit derdeutschen Sprache hatte.)Am Anfang der Sitzung (denn eine Besprechung dieser Art nenntman Sitzung, so als ob das Sitzen dabei die Hauptsache wäre), amAnfang der Sitzung also hatte Mister Penny nüchtern undgeschäftsmäßig gefragt, ob Timm Thaler zukünftig an allengeheimen Beratungen teilnehmen solle. Selek Bei war dafürgewesen; aber die übrigen Herren hatten sich dagegenausgesprochen.
Der Junge sollte nur an dieser Sitzung teilnehmen;erstens, um ein wenig mit dem Unternehmen vertraut zu werden,zweitens, weil er über den Verbrauch von Margarine in seiner Gasseberichten sollte.Aber zunächst sprach man über die Scherenschleifer vonAfghanistan, und das war seltsam genug. Timm erfuhr aus dem Hinund Her des Gesprächs das Folgende: Die Baron-Lefuet-Gesellschafthatte in Afghanistan etwa zwei Millionen sehr billiger Messer undScheren verschenkt, aber nicht aus purer Menschenliebe, sondern umdabei etwas zu verdienen.
Diese Messer und Scheren kosteten dieGesellschaft nämlich höchstens fünfzehn Pfennig. Das Schleifenaber kostete zwanzig Pfennig, und da es keine guten Messer undScheren waren, mußten sie mindestens zweimal im Jahr geschliffenwerden. Nun waren aber alle Scherenschleifer in AfghanistanAngestellte der Gesellschaft des Barons, und ein gewisserRamadulla, ehemals ein gefürchteter Räuber und Wegelagerer, hieltsie in strenger Zucht. Er versorgte sie mit Schleifsteinen undKunden, verlangte dafür aber so viel von ihren Einnahmen, daß erdie Hälfte dessen, was die Scherenschleifer verdienten, an dieGesellschaft des Barons abgeben konnte.
Was dabei noch für dieScherenschleifer übrigblieb, kann man sich leicht vorstellen.Demnächst sollte nun in Afghanistan auch noch für dieScherenschleifer geworben werden. Und das konnte man in einem soarmen Lande nicht mit Radios oder Zeitungen oder Plakaten tun;denn die wenigsten Afghanen konnten lesen, und Radios gab eskaum. Deshalb hatte man Straßensänger bezahlt, die das Lied vomScherenschleifer singen mußten. In diesem Lied, über das die Herrensich lange unterhielten, wurde nicht etwa die Kunstfertigkeit derSchleifer gelobt, sondern es wurde ihre Armut besungen, damit dieLeute bei ihnen aus Mitleid ihre Messer und Scheren schleifenließen. In Deutsch hatte das Lied etwa folgenden Wortlaut:Er dreht und dreht den Schleifstein,Der arme Scherenschleifer,Er dreht und dreht und dreht ihnFür zwanzig Pfennig nur.Er zieht und zieht durchs Städtchen,Der arme Scherenschleifer.Bringt Messer her, ihr Mädchen,Damit er schleifen kann.Die letzte Strophe sollte zeigen, wie glücklich der Schleifer ist,wenn man ihm Scheren und Messer bringt:Nun schleift und schleift und schleift er,Der frohe Scherenschleifer.Habt Dank, ihr guten Leute!Nun kauft er Brot und Wein.Daß die armen Scherenschleifer ihren Hauptgewinn an Ramadullaabgaben und daß dieser wiederum den größten Teil des Geldes indieses Schloß schaffte, verschwieg das Lied.Timm dachte an den alten Mann mit der taubstummen Tochter,der in seiner Gasse die Messer und Scheren geschliffen hatte, undfragte sich im stillen, ob dieser Alte wohl auch seinen Gewinn mitirgendeiner Gesellschaft teilen mußte.
Der Junge war bedrückt beidem Gedanken an dieses schmutzige Königreich, das er erben sollte;und Selek Bei schien die Gedanken des Jungen zu erraten. Er sagte:„Der junge Herr scheint die Methoden der Gesellschaft nicht zubilligen. Er ist vermutlich der Meinung, daß der Räuber Ramadullasein Gewerbe nicht gewechselt hat, sondern nur etwas zivilisierterräubert als vorher.
Nun, meine Herren, dieser Meinung bin ichauch.“„Uir kennen Ihre Meinung“, sagte Mister Penny trocken. Aber derBaron ergänzte lebhaft: „Wenn man in einem von Räubern geplagtenLande die Räuber zivilisiert, Selek Bei, hat man schon einen großenFortschritt erzielt. Später, wenn das Land dank unserer Mithilfe zueinem Lande mit Recht und Ordnung geworden ist, werden natürlichauch unsere Verkaufsmethoden absolut gesetzlich.“„Dasselbe“, antwortete Selek Bei ruhig, „erklärten Sie mir, als wirüber die menschenunwürdigen Löhne in den Zuckerrohrplantageneines gewissen südamerikanischen Landes sprachen. Jetzt hat diesesLand mit Hilfe unseres Geldes einen Dieb und Mörder zumPräsidenten, und die Verhältnisse sind noch schlimmer geworden!“„Aber diese President achten die Religion“, warf Mister Pennyein.„Dann ist mir ein menschlicher Präsident ohne Religion lieber“,brummte Selek Bei.Jetzt ergriff Senhor van der Tholen zum erstenmal das Wort:„Meine Herren, wir sind doch einfache Kaufleute, die mit der Politiknichts zu tun haben.
Hoffen wir, daß die Welt sich bessert, damit wiralle wie gute Freunde Handel treiben können. Und kommen wir zurHauptsache: zur Butter.“„Vielmehr zur Margarine“, verbesserte der Baron lachend undfing sofort an, einen langen Vortrag zu halten, der seinen Reden imFlugzeug glich. Er sprach nicht wie ein freundlicher Händler,sondern wie ein Kriegsherr, der seine Feinde – die anderenButterhändler – in den Staub schmettern will.Timm hörte nur mit halbem Ohre zu. Ihm schwirrte der Kopf. Erfragte sich, warum man in Afghanistan oder Südamerika überhauptGeschäfte machen mußte, wenn es nur auf so häßliche Weisemöglich war.
Er wünschte sich das Königreich des Barons nichtmehr. Er bekam Angst vor Geschäften. Selbst der Bäckerladen derdicken Frau Bebber war ihm jetzt nicht mehr ganz geheuer.Aber der Junge mußte noch eine Weile mit den Wölfen heulen;denn jetzt fiel ihm zum Glück wieder sein eigenes wichtigesGeschäft ein: der Handel um sein Lachen.Der Baron forderte den Jungen auf, alles zu wiederholen, was erihm im Flugzeug über den Verbrauch von Margarine in seiner Gasseerzählt hatte.Timm tat es, und dann herrschte eine Weile Schweigen imBeratungszimmer.„Uir haben uirklich su uenig auf Margarine geachtet“, murmelteMister Penny.„Dabei ist unser Geschäft groß geworden durch die Kleinigkeiten,die die armen Leute brauchen“, ergänzte Senhor van der Tholen.„Wir haben den Margarinemarkt sträflich vernachlässigt.
Man müßteihn irgendwie völlig neu organisieren.“Timm, der wieder ruhiger geworden war, sagte jetzt: „Ich habemich immer darüber geärgert, daß die Leute ihre Butter schönverpackt in Silberpapier bekamen, während man unsere Margarineaus dem Faß kratzte und in billiges Papier klatschte. Wir könntendoch den armen Leuten die Margarine auch schön verpacktverkaufen. Geld haben wir ja genug.“Die vier Herren starrten den Jungen verblüfft an und brachenplötzlich wie auf Kommando in schallendes Gelächter aus.„Herr Thaler, Sie sind unbesahlbar!“ rief Mister Penny.„Wir hatten die Lösung vor Augen und sahen sie nicht“, lachteder Baron. Sogar Senhor van der Tholen war aufgesprungen undstarrte Timm wie ein Wundertier an.Der alte Selek Bei war noch am ruhigsten.
Deshalb fragte Timmihn, was denn an seinem Vorschlag so Besonderes gewesen sei.„Mein lieber junger Herr“, sagte der Greis feierlich. „Sie habensoeben die Marken-Margarine erfunden.“Vierundzwanzigster BogenEin vergessener GeburtstagWas es mit der Marken-Margarine auf sich hatte, begriff Timmlangsam an den beiden folgenden Tagen; denn man sprach im Schloßüber fast nichts anderes mehr. Selbst die Dienerschaft schien aufarabisch und kurdisch von Margarine zu flüstern.Die Sache war so: Butter wurde seit langer Zeit schon hübschverpackt und mit einem Namen verkauft. In Deutschland gab es zumBeispiel die „Deutsche Landbutter“ und die „DeutscheMarkenbutter“, in Holland gab es die „Nederlandse Botter“.
EinKaufmann, der damit ein Geschäft machen wollte, mußte sich mitden Molkerei-Genossenschaften gut stellen. Und die Baron-LefuetGesellschaft hatte leider mit den drei größten MolkereiGenossenschaften Krach bekommen. Nun gaben Tausende kleinerMolkereien ihre Butter nur noch an eine andere Gesellschaft ab, diedie Butter überdies billiger verkaufte als der Baron.Mit der Margarine war es anders. Die gab es nicht verpackt undmit einem Namen. Sie war kein „Markenartikel“, sondern wurde inFässern und Bottichen an die Händler geliefert, und die Händlerholten mit flachen Holzlöffeln jeweils so viel Margarine heraus, wieder Kunde verlangte.Weil nun die Margarine keinen Markennamen hatte und weil dieFabriken, in denen sie hergestellt wurde, den Kunden unbekanntblieben, kam oft billige, aber schlechte Margarine von kleinenFabriken auf den Markt; und die großen Händler hatten es schwer,„den Margarinemarkt in die Hand zu bekommen“, wie Senhor vander Tholen es nannte.Das sollte sich nun ändern.
Eine Margarinesorte mit einemNamen und in einer hübschen Verpackung sollte nach dem Willender Baron-Lefuet-Gesellschaft „auf den Markt gebracht“ werden.Und die Einführung dieser Margarine wurde wie ein Feldzug imKriege geplant. Alle wichtigen Margarinefabriken mußten heimlichaufgekauft werden; alle Sorten mußten im Laboratorium untersuchtwerden; die beste Sorte mußte auf die billigste Art in jeder dieserFabriken hergestellt werden; und nicht zuletzt mußte man eine großeReklame vorbereiten, damit die Hausfrauen statt der teuren Butterdie „fast ebenso gute“, aber viel billigere Margarine mit dem Namenkauften.