kruess_james_timm_thaler_oder_das_verkau fte_lachen(1) (857789), страница 28
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Aber im übrigen blieb erruhig. „Dann“, sagte er, „wäre wieder einmal ein Vertrag zuunterschreiben. Da ist er!“Die Teetasse wurde zur Seite gerückt und zwei gleichlautendeVertragsformulare vor Timm auf den Tisch gelegt. Der Baronerwartete, daß der Junge sie zuerst lesen würde. Aber Timm, derfürchtete, Lefuet könne ihm eine andere Feder anbieten, unterschriebsofort. Mit dem Füllfederhalter Selek Beis.Dann unterschrieb der Baron jedes Blatt zweimal: einmal imNamen seiner Gesellschaft und einmal als Timms Vormund. Leiderachtete der Junge nicht darauf.„Trinken wir auf die Timm-Thaler-Margarine, Timm Thaler!“Der Baron nahm von einer kleinen Anrichte zwei geschliffene eckigeSchnapsgläser und goß Rum hinein.Dann klirrten die Gläser aneinander.
Der Junge wußte nicht, ob erauf sein Glück oder auf sein Unglück anstieß. (Daß es sich umJonnys Rum handelte, schien ihm ein gutes Omen zu sein.)Baron Lefuet setzte sich wieder und erklärte, wie man für dieTimm-Thaler-Margarine Reklame machen würde:„Wir werden den Leuten erzählen, wie ein armer kleinerGassenjunge das Herz des reichen Barons gerührt hat, wie er vondiesem zum Erben eingesetzt wurde und wie er dann dafür gesorgthat, daß alle Leute in armen Gassen eine gute und billige Margarineaufs Brot streichen können.“„Aber das sind doch fast lauter Lügen“, begehrte Timm auf.„Sie reden wie Selek Bei“, seufzte Lefuet.
„Im übrigen istReklame niemals eine Lüge, sondern eine Beleuchtungsfrage.“„Eine Beleuchtungsfrage, Baron?“Lefuet nickte. „Sehen Sie, Herr Thaler, die Tatsachen stimmendoch alle: Sie sind als kleiner Junge in einer armen Gasseaufgewachsen; Sie haben das Erbe des Barons angetreten; und sogardie Marken-Margarine war Ihre Idee.
Jetzt kommt es nur darauf an,diese Tatsachen ins rechte Licht zu drehen, und schon ist unserrührendes Margarinemärchen fertig. Es ist eine sehr gute Reklame.Die Konkurrenz wird toben. Aber überlassen Sie das getrost uns,Herr Thaler. Sprechen wir jetzt von Ihrem Photo.“„Von dem Photo des lachenden Jungen?“„Eben davon, Herr Thaler. Ich selbst bin ein, wenn auchbescheidener, Jünger der photographischen Kunst und werde dieseAufnahme machen. Es ist schon alles vorbereitet.“Lefuet zog einen Vorhang zur Seite, hinter dem Timm eine Artkleiner Küche vermutet hatte. Aber dort stand auf einem Stativ einPhotoapparat und daneben ein Stuhl, über dessen Lehne einabgenützter Knabenpullover hing.
Das Verblüffendste für Timm warjedoch der photographische Prospekt im Hintergrund: einriesenhaftes Photo seiner Gasse. Genau in der Mitte war die Tür zuseiner ehemaligen Wohnung zu sehen. Alles stimmte bis auf diegeringsten Kleinigkeiten. Der Junge erkannte sogar die schmaleLücke im Mauerwerk des Nachbarhauses, in der er damals die fünfMark versteckt hatte. Selbst den Geruch nach Pfeffer, Kümmel undAnis glaubte er zu spüren.„Ziehen Sie, bitte, diesen Pullover über, und stellen Sie sich vorden Prospekt, Herr Thaler!“ Lefuet trug inzwischen denPhotoapparat samt Stativ vorsichtig in die Mitte des Pavillons.Timm tat alles, um was Lefuet ihn bat, wie im Traum. Bilder derVergangenheit überschwemmten seine Gedanken: Der Vater.
DieStiefmutter. Der bleiche Erwin. Die Kuchenfreundin seinerStiefmutter aus dem Haus ganz links. Frau Bebbers Laden rechterHand. Die Sonntage. Die Wetten. Das Verhör am Abend. Einkarierter Herr. Ein Vertrag.Der Junge mußte sich für einen Augenblick auf den Stuhl setzen.Lefuet beschäftigte sich mit dem Photoapparat.Endlich war es soweit. Der Baron gab dem Pullover, den Timmjetzt trug, einen absichtlich schlampigen Sitz, brachte die Haare desJungen ein wenig durcheinander und stellte ihn vor das Gassenphoto.Dann trat er zurück und hinter den Apparat.„So ist es gut, Herr Thaler! Bleiben Sie dort stehen. Und nunsprechen Sie mir nach: Ich leihe mir mein Lachen nur für eine halbeStunde.
Dies verspreche ich bei meinem Leben.“„Ich leihe mir mein Lachen…“ Timms Stimme versagte.Aber sofort kam der Baron ihm zu Hilfe: „Sprechen Sie es inBlöcken nach. Das ist einfacher. Also: Ich leihe mir mein Lachen…“„Ich leihe mir mein Lachen…“„… nur für eine halbe Stunde.“„… nur für eine halbe Stunde.“„Dies verspreche ich…“„Dies verspreche ich…“„… bei meinem Leben!“„… bei meinem Leben!“Kaum hatte Timm das letzte Wort gesagt, als Lefuet seinen Kopfwieselflink unter das schwarze Tuch steckte. Es war wie in derKasperlkomödie.
Timm fühlte eine unbezwingbare Lust zu lachenund – lachte. Das kullerte aus dem Bauch herauf, kitzelte in derKehle und entlud sich in einem so fürchterlichen Gelächter, daß derBauch schmerzte und die Augen sich mit Wasser füllten. DerPavillon dröhnte von Timms Lachen, der Stuhl neben dem Jungenbebte, als lache er mit. Die Welt schien sich wieder in ihrGleichgewicht einzupendeln. Timm Thaler lachte.Der Baron blieb unter dem schwarzen Tuch verborgen undwartete das Gelächter ab.
Seine Hand, die sich am Blitzlicht zuschaffen machte, zitterte.Timm, der sich nur langsam beruhigte, zog nun eine fröhlicheGrimasse und fragte: „Ist dies das Margarine-Lächeln, das Siebrauchen, Baron?“ Ihm war leicht, heiter, übermütig zumute. DerBaron kam ihm immer noch wie ein Kasperl vor. Er glaubte nicht andie halbe Stunde; er war überzeugt, sein Lachen für ewigwiederzuhaben. Für Lefuet unter dem schwarzen Tuch, für denBaron ohne Lachen, fühlte er fast eine Art Mitleid.
Selbst diegequetschte Stimme, mit der Lefuet dem Jungen jetzt Anweisungengab, erregte eher Timms Mitleid als seinen Spott. Gehorsam stellte erdas rechte Bein vor, neigte den Kopf etwas zur Seite, lächelte, sagteauf Lefuets Bitte das Wort „Bienenstich“ (in seinem Gedächtnisklingelte dabei eine Glocke), nahm den Fuß wieder zurück undlachte erleichtert auf, als das Blitzlicht flammte.„Hoffentlich ist es ein gutes Photo geworden, Baron!“ Timmstreckte sich nach dem anstrengenden Stillstehenmüssen ausgiebigund grinste fröhlich in die Optik des Photoapparates.
Lefuet bliebunter dem schwarzen Tuch verborgen. Er erklärte mit verdecktemKopf, auf eine Aufnähme allein könne man sich nicht verlassen. Ermüsse mindestens noch drei Aufnahmen machen.„Und das alles für ein bißchen Margarine“, lachte Timm. Aber ersperrte sich nicht, sondern ließ sich gehorsam wie zuvor korrigierenund mit lachendem Mund photographieren.Nach der vierten und letzten Aufnahme war Timm so steif vomPosieren und Stillstehen, daß ihm schien, es müsse mindestens eineStunde vergangen sein. Daß in Wirklichkeit immer noch zweiMinuten an der versprochenen halben Stunde fehlten, ahnte derJunge nicht.
Er begriff auch nicht, warum Lefuet den Kopf immernoch unter dem Tuch verborgen hielt. Deshalb ging er hin, schlugdas Tuch zurück und fragte unter Lachen: „Stellen Sie etwa imVerborgenen schon Margarine her, Baron?“Aber das Lachen verging ihm, als das enthüllte Gesicht ihn vonunten herauf ansah, ein böses schmallippiges Gesicht mit schwarzenGläsern, das Gesicht des karierten Herrn!Timm begriff, daß sein eigenes Lachen ihn getäuscht hatte: DieserMann gab ihm die lachende Freiheit nicht zurück. Dieser Mann warfürchterlich.Aber noch einmal täuschte das Gelächter im Bauch den Jungen,drängte nach oben und ließ Timm spöttisch ausrufen: „Spielen Sienicht den Teufel, Baron! Ihr Spiel ist ausgespielt.
Sie sehen michnicht wieder.“Mit einem Sprung war der Junge an der Glastür. Er riß sie auf undrannte in einem alten Pullover unter strömendem Regen auf dieParkterrasse hinaus.Obwohl ihm der Baron nicht folgte, stürzte Timm wie besessen ineinen schmalen Gang hinein, den hohe Eibenhecken begrenzten.Dieser Gang lief in ein Gewirr anderer Gänge aus.Timm lief einmal nach links, dann wieder nach rechts, standplötzlich vor einer dicken, undurchdringlichen grünen Wand, ranntezurück, landete wieder in einer Sackgasse, stürzte abermals zurück,wischte sich den Regen aus den Augen und verlief sich hoffnungslosin diesen seltsamen Gängen, die nur einen einzigen Ausgang zuhaben schienen: den Eingang.Mit einem Male fühlte Timm sich schwer werden, als stiegeschwarzes Wasser in seinen Gliedern auf. Er spürte körperlich, daßihn sein Lachen verließ.
Er stand, tropfend zwischen tropfendengrünen Gefängniswänden, wie ein Gelähmter. Der Regen kullerte indie Pfützen zu seinen Füßen. Rings ein einziges Rinnen, Platschenund Herunterfallen, ein großes, endloses Weinen. Und mitten darinder sehr kleine Timm mit seinem ernsten traurigen Gesicht.Aber plötzlich war sein Lachen wieder da, das Lachen mit demSchlucker, wie es sich gehörte. Der Junge wußte nicht: Hatte erselbst gelacht, oder steckte sein Lachen zwischen den Eibenwänden?Die Erklärung war viel einfacher: Lefuet stand hinter dem Jungen.„Sie sind in ein sogenanntes Labyrinth geraten, Herr Thaler, ineinen Irrgarten.
Kommen Sie, ich führe Sie hinaus.“Willig ließ Timm dem Baron eine Hand, willig ließ er sich imPavillon trockenreiben und umkleiden, willig ließ er sich von einemBedienten unter dem Regenschirm ins Schloß geleiten.Erst im Turmzimmer kam er langsam wieder zu sich. Unddiesmal erleichterten keine Tränen den Jungen. Diesmal packte ihneine kalte Wut.
Ein hochstieliges rotes Glas, das auf einem Regalstand, zerdrückte er mit solchem Ingrimm, daß die Hand zu blutenbegann.Timm ließ die Scherben einfach auf den Boden fallen, zog an dergestickten Klingelschnur und zeigte, als der Diener erschien, stummmit der blutenden Hand auf die roten Glasscherben.Der Diener räumte die Scherben fort, wusch und verband dieHand und sagte dann zum erstenmal vier Wörter: „Ich nix Detektiv,bitte!“„Vielleicht! Vielleicht auch nicht“, antwortete Timm. „Aber ichdanke Ihnen, daß Sie so freundlich zu mir sind.“Selek Bei erschien und schickte den Diener hinaus. Dann starrteer auf Timms Hand: „Hast du nicht unterschrieben? Ist etwasgeschehen?“„Nichts von Bedeutung, Selek Bei.
Ich habe unterschrieben.“„Wo ist der Füllfederhalter?“„Hier in der Tasche. Würden Sie ihn, bitte, herausholen.“Der Alte tat es, und Timm fragte: „Was bedeutet dieserFüllfederhalter?“„Er ist mit einer Tinte gefüllt, die langsam verblaßt und nach undnach ganz verschwindet. Wenn unsere Gesellschaft in einem Jahr dieTimm-Thaler-Margarine ankündigt, wird unter dem Vertrag im SafeIhre Unterschrift fehlen. Dann können Sie verhindern, daß dieMargarine auf den Markt kommt.
Tun Sie es aber erst dann, wennalle Welt schon über die Markenmargarine unterrichtet ist!“„Wird die Gesellschaft dadurch vor die Hunde gehen, Selek Bei?“Der Alte lachte über die Frage. „Nein, mein Junge, dafür ist sietrotz allem zu stabil. Aber die Gesellschaft wird gewaltige Verlusteerleiden. Bis eine neue Sorte da ist, werden die Konkurrenten nichtmüßig sein.
Unsere Gesellschaft wird mit der Zeit trotzdem enorman der Markenmargarine verdienen; aber sie wird niemals den Marktbeherrschen.“Selek Bei setzte sich nun in die Eckbank am Fenster und sah inden Regen hinaus. Abgewandten Gesichts sagte er: „Ich weiß nicht,ob du und ich den Baron jemals überlisten werden. Er ist klüger alswir beide zusammen. Trotzdem will ich versuchen, dir zu helfen.Unter den Händen des Barons scheint dir das Lachen vergangen zusein; und ich möchte, daß du wieder lachen lernst!“Als Timm erschrocken etwas sagen wollte, winkte Selek Bei ab:„Sag lieber nichts, mein Junge! Aber setze auch keine allzu großenHoffnungen in meinen Versuch.