kruess_james_timm_thaler_oder_das_verkau fte_lachen(1) (857789), страница 31
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Sogarder Schlucker fehlte nicht.„Sie haben von unserer Gesellschaft noch immer nicht die richtigeVorstellung“, lachte der Baron. „Sie können unsere HamburgerReederei nicht einfach – mir nichts, dir nichts – an Herrn Rickertverschenken, Herr Thaler.“„Warum nicht?“„Mit Ihrem Aktienpaket sind Sie nur sogenannter StillerTeilhaber. Der Reingewinn aus der Firma fließt Ihnen zwar zumgrößten Teil zu; aber das Kommando über die Reederei führtweiterhin der Verwaltungsrat mit den Stimmaktien: Ich, MisterPenny, Senhor van der Tholen und Selek Bei.“„Wenn Herr Rickert wieder Direktor wird, können Sie ihn alsospäter jederzeit wieder entlassen, Baron?“„Jederzeit!“Der Taxifahrer fuhr jetzt langsamer, weil er husten mußte. Erschien erkältet zu sein.Timm sah mit sehr nachdenklichem Gesicht aus dem Fenster.
DasAuto fuhr eine ruhige Straße an der Alster entlang. Aber der Jungebemerkte es nicht.„Baron?“„Ja, bitte?“„Liegt Ihnen etwas an den Reederei-Aktien?“Lefuet blickte Timm forschend an. Der Junge verzog keineMiene. Das Rauschen einer verkehrsreichen Straße näherte sichihnen.Endlich sagte der Baron mit jener Beiläufigkeit, die Timm seineErregung verriet: „Diese Reederei ist die kleine Perle, die in derKrone meines Königreichs der Meere noch fehlt; sie ist, alles inallem, keine sehr bedeutende Sache; aber, wie gesagt, sie wäre einehübsche Abrundung.“Wenn der Baron, so wie jetzt, kleine, an sich überflüssigeWendungen in seine Rede flocht, sprach er über Dinge, die ihmwichtig waren.
Timm wußte das. Er sagte deshalb nichts, sondernwartete auf die Frage, die kommen mußte. Und sie kam.„Was verlangen Sie für die Aktien, Herr Thaler?“Timm hatte sich seine Antwort längst überlegt. Trotzdem tat erso, als müsse er sie erst finden. Schließlich sagte er: „Geben Sie mirdafür eine kleine, solide Reederei in Hamburg, die nicht IhrerGesellschaft gehört.“„Sie wollen mir doch keine Konkurrenz machen, Herr Thaler?Dann schnitten Sie sich ja ins eigene Fleisch.“„Ich denke mehr an ein Schiffahrtsgeschäft, mit dem sich unsereGesellschaft nicht befaßt, Baron. Vielleicht Küstenschiffahrt.“Der Baron beugte sich zu dem Taxifahrer vor: „Welches ist nachIhrer Meinung die einträglichste Reederei der Küstenschiffahrt inHamburg?“Der Fahrer überlegte eine Weile und erwiderte schließlich: „DerHHD, Hamburg-Helgoland-Gästedienst.
Sechs Schiffe. Sommerund Winterverkehr. Im Besitz der Familie Denker.“„Wo finde ich Herrn Denker?“Der Fahrer blickte auf seine Armbanduhr und sagte: „Jetzt ist erin seinem Hauptkontor. Am Hafen. Brücke sechs.“„Fahren Sie uns zur Brücke sechs und warten Sie dort auf uns.Wenn ich schon bezahlen soll…“„Nicht nötig“, brummte der Taxifahrer, und wieder hatte Timmdas unbestimmte Gefühl, diese Stimme schon einmal gehört zuhaben.Kurz vor dem Hafen mußte das Auto längere Zeit an einerVerkehrsampel warten. Timm sah vor sich Kräne und Mastspitzen,eine Zeichnung aus senkrechten Linien vor dem taubenblauenSeptemberhimmel. Obwohl das Fenster geschlossen war, vermeinteer, den Geruch des Hafens zu spüren: nach Salz und Teer undmildem Moder.Dieser Geruch, den seine Einbildungskraft schon beschwor, eheer überhaupt da war, überspülte sein Gedächtnis mit Erinnerungen:In diesem Hafen hatte er sich dem Baron an die Fersen geheftet; hierhatte seine Jagd begonnen, eine Jagd durch verwirrendes Dickicht,eine Jagd ohne Beute.Jetzt war der Junge an den Ausgangspunkt zurückgekehrt.
Was erallein nicht hatte erjagen können, hoffte er hier, mit seinen Freundenzu erjagen.Ein Kran schwenkte eine große Kiste durch die Luft, auf derenBretter eine Palme gemalt war. Timm nahm sie nur flüchtig wahr; erbetrachtete die Vorübergehenden. Er hoffte, daß Jonny oderKreschimir oder Herr Rickert darunter seien. Sie gehörten ja zudiesem Bild vor ihm, zu den Kränen und Masten, zu diesem Wald, indem die Wimpel blühten.
Aber er entdeckte keinen der drei. Erwußte nicht einmal, ob er sie überhaupt finden würde. Ihm warbeklommen zumute. Als das Auto wieder anfuhr, erleichterte ihn diebloße Bewegung.Auch der Baron hatte während des Wartens an der Ampel stummden Hafen betrachtet. Aber geträumt hatte er nicht; die große Kistemit der aufgemalten Palme hatte er mit wachen Augen gesehen. Erwußte, daß Palmaro-Margarine verladen wurde.Unter dem Weiterfahren wanderten die Gedanken beiderFahrgäste zu der Reederei, die sie jetzt zu kaufen beabsichtigten,zum Hamburg-Helgoland-Gästedienst. Lefuets Gedanken konnteman in drei Wörter zusammenfassen: Ein gutes Geschäft.Die Gedanken und Empfindungen Timms waren weitläufiger.Seine Beklommenheit wurde durch Hoffnung gemildert, seineZuversicht durch eine leise Furcht beengt.
Ihm selber lag nichts andieser Reederei; ihm lag nur an einem auf der Welt: an seinemLachen, an seiner Freiheit. Aber er mußte dieses papierene Spiel umReichtümer, das man Geschäft nennt, durchstehen. Wenn er selberschon von all seinem Reichtum nichts hinüberretten konnte in dasneue Leben, sollten doch wenigstens seine Freunde einigen Nutzendavon haben. Diese Reederei sollte ein Teil seines Dankes sein –sofern er das zurückbekam, für das er danken wollte!Das Auto hielt jetzt vor der Brücke sechs. Lefuet und Timmstiegen aus und begaben sich in das Hauptkontor des HHD, wo deralte Herr Denker, der Eigentümer, sie zu ihrem großen Erstaunen mitoffenen Armen empfing.„Das ‘s würklich ein sehr merkwürdiger Zufall, meine Herren“,sagte er.
„Ich s-piel grode mit ‘n Gedanken, meine Reederei zuverkaufen, und da. komm’ Sie ins Kontor und wolln sie kaufen.Würklich merkwürdig.“Herr Denker hätte die Sache vermutlich weniger merk«würdiggefunden, wenn er den Taxifahrer erkannt hätte, der vor der Brückeauf Timm und den Baron wartete. Aber er sah ihn zum Glück nicht.Und selbst wenn er ihn gesehen hätte: Erkannt hätte er ihnvermutlich ebenso wenig, wie Timm ihn erkannte.Dieser Taxifahrer nestelte jetzt übrigens mit sehr behutsamenFingern an seinem Bart herum. Manchmal blickte er verstohlen inden Rückspiegel. Dann sah er ein anderes Taxi, das etwa hundertMeter hinter ihm gehalten hatte, dessen Fahrgast aber nicht ausstieg.Als der Baron und Timm nach einer knappen Stunde das Kontordes Herrn Denker verließen, hatten sie jeder drei Schnäpse getrunkenund einen sogenannten Vorvertrag in der Tasche.
Am folgenden Tagschon sollte ein gültiger Vertrag ausgefertigt werden.Der Fahrer des Taxis tat, als schliefe er. Lefuet, der gutgelauntwar, öffnete sich selbst den Schlag. Timm stieg von der anderenSeite ins Auto.Erst jetzt schien der Chauffeur zu erwachen. Er spielte denAufgeschreckten sehr gut. Als der Baron ihm Anweisung gab, zumHotel „Vier Jahreszeiten“ zu fahren, stotterte er sogar auf durchausglaubwürdige Weise.„Wußten Sie übrigens“, fragte ihn Lefuet während der Fahrt, „daßder Hamburg-Helgoland-Gästedienst gerade verkauft werdensollte?“„Nein“, sagte der Fahrer. „Aber wundern tut’s mich nicht. Deralte Herr Denker ist nicht mehr der Kräftigste, und seine Töchterhaben sich ja wohl auszahlen lassen.
Die Seefahrt scheint denen zuschmutzig zu sein. Sind Sie am HHD interessiert, wenn ich fragendarf?“Der Baron, immer noch in strahlender Laune, sagte: „Ich besitzeihn bereits.“„Donnerwetter, das ging aber mal schnell. Fast so schnell wie beiSchwan-Kleb-An, wenn Sie die Geschichte kennen: Man braucht nurhinzulangen, und schon klebt man dran.“Ein sehr flüchtiger Blick des Fahrers streifte im RückspiegelTimms Gesicht, das bei der Bemerkung des Chauffeurs zuerstgezuckt hatte und dann starr, beinahe steinern geworden war. Wie sooft verbarg Timm hinter der starren Miene eine ungeheureAufgeregtheit.Diese Aufregung war begreiflich: Endlich hatte der Fahrer sich zuerkennen gegeben.
Durch einen Hinweis, der dem Baron völligharmlos erscheinen mußte. Durch eine Anspielung auf das MärchenSchwan-Kleb-An, in dem eine Prinzessin das Lachen lernte. Es wardas Zeichen, das Timm im geheimen erwartet hatte, das Zeichendafür, daß seine Freunde wachsam waren.Schwan-Kleb-An! Das erste Signal für die beginnende Jagd.Timm wußte jetzt genau, wer der Fahrer vor ihm war. Es krochihm etwas aus dem Bauch die Kehle herauf, aber kein Kullern, daslachen wollte, sondern so ein Gefühl, das einen unfähig zumSprechen macht. Man nennt es wohl auch einen Kloß in der Kehle.Das Taxi war inzwischen zur Alster eingebogen und hielt vor demHotel.
Der Fahrer stieg aus und öffnete die Türen. Er zeigte sich zumerstenmal in seiner ganzen stattlichen Größe.Jetzt konnte für Timm kein Zweifel mehr sein, um wen es sichhandelte.Als der Baron bezahlt hatte und sich dem Hoteleingang zuwandte,konnte Timm sich nur mit Mühe zurückhalten, den Riesen zuumarmen. Heiser vor Aufregung flüsterte er: „Jonny.“Der Fahrer nahm die entstellende Brille ab, sali den Jungen anund sagte laut: „Auf Wiedersehen, junger Herr!“ Dabei gab er ihmdie Hand. Dann setzte er die Brille wieder auf, stieg ins Auto undfuhr davon.Timm fühlte ein kleines Papier in seiner Hand, einen winzigenZettel, einen Fetzen, ein Nichts genaugenommen. Und doch fühlte ersich mit diesem Fetzen Papier reicher als mit allen Aktien der BaronLefuet-Gesellschaft, einschließlich der Stimm-Aktien.Beinahe glücklich folgte er Lefuet ins Hotel, in dessen Vestibülihnen bereits der Direktor entgegenkam, mit weit geöffneten Armen.„Herr Baron, welche Ehre!“ schienen seine Hände zu sagen, diesich zu Schalen des Entzückens geöffnet hatten.