kruess_james_timm_thaler_oder_das_verkau fte_lachen(1) (857789), страница 23
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„Steigen wir ausund hinauf zu ihm. Ich möchte ihn mit meinen Margarineplänenüberraschen. Der wird staunen.“Sie stiegen aus, und der Baron rannte fast die Stufen hinauf.Timm kam langsam hinterher and betrachtete dabei die glasiertenHunde. Ihn interessierten Margarinegespräche nicht. Er konnte janoch nicht ahnen, eine wie wichtige Rolle in seinem Leben dieMargarine spielen würde.Zweiundzwanzigster BogenSenhor van der TholenDie Inneneinrichtung des Schlosses bewies, daß der Baron, der sogern Kunstausstellungen besuchte, wirklich Geschmack besaß.
AlleEinrichtungsgegenstände bis hinab zu Türdrückern, Aschenbechernund Badematten waren einfach und schön und vermutlich sehr teuer.Timms Zimmer war ein behaglicher, halbrunder Raum in einemTurm. Vom Fenster aus übersah man den Park und das Tal mit demOlivenwäldchen. Auch den kleinen Flugplatz konnte man sehen.
Erwar vorschriftsmäßig mit einer lampengesäumten Rollbahn,mehreren Hangars für die Flugzeuge und einem langgezogenenFlachbau für Funker, Wetterfrösche und übriges Personalausgestattet.Als der Junge aus dem Fenster blickte, sah er zwei Flugzeuge aufdem Platz. Ein drittes landete gerade, und ein buntgekleideter Reiterstand unbeweglich vor der weißen Stirnwand des Flugplatzgebäudes.Es mußte Selek Bei sein.Plötzlich hörte der Junge halblaut seinen Namen rufen: „HerrThaler!“Timm wandte sich vom Fenster ab und öffnete die Tür.
Draußenstand Senhor van der Tholen, mit dem er am Tag zuvor nur kurz aufder Hundetreppe gesprochen hatte, weil der Baron fast ohneAtempause von Margarine geschwatzt hatte.„Kann ich mit Ihnen sprechen, ohne daß der Baron etwas davonerfährt, Herr Thaler?“„Ich werde dem Baron nichts sagen, wenn Sie es wünschen. Aberwo ist er jetzt?“„Er fährt gerade zum Flugplatz, um Mister Penny abzuholen.“Senhor van der Tholen war inzwischen ins Zimmer getreten undhatte sich in einen Schaukelstuhl aus Rohr gelegt. Timm schloß dieTür und setzte sich auf eine Eckbank, die es ihm erlaubte,gleichzeitig aus dem Fenster und ins Zimmer zu blicken.Van der Tholen, das hatte Timm schon bei der ersten Begegnunggemerkt, war kein redseliger Mann.
Man sah das seinem Mund an:Er war ein Strich, dessen Enden kaum sichtbar nach oben gebogenwaren, ein geschlossenes Haifischmaul.„Ich komme zu Ihnen, weil der Erbschaftsvertrag noch nichtausgefertigt ist“, sagte der Portugiese mit dem holländischen Namen.„Es handelt sich um die Stimm-Aktien des Barons.
Kennen Sie sichmit Aktien aus?“„Nein“, antwortete der Junge am Fenster. (Er sah gerade, wie dieKutsche des Barons zum Flugplatz rollte.)Senhor van der Tholen schaukelte jetzt in seinem Rohrstuhllangsam vor und zurück. Seine wasserblauen Augen hinter denBrillengläsern sahen Timm ruhig an. Es war ein kühler, aber keinstechender Blick.„Also mit den Aktien ist es so…“ (Der Baron in der Kutsche hattesich umgedreht und winkte Timm zu. Der Junge winkte zurück.)„Aktien sind Kapitalanteile, die…“ (Jetzt kam in den Reiter vorder weißen Wand Bewegung.
Selek Bei ritt Lefuets Kutscheentgegen.)„Nein, ich will es Ihnen mit einem Bild erklären. Hören Sie mirauch zu?“„Ja“, sagte Timm und wandte den Blick vom Fenster ab.„Also stellen Sie sich vor, Herr Thaler, es wird ein Obstgartenangelegt.“ (Kopfnicken des Jungen.) „Weil nun der Mann, der ihnanlegen will, nicht genug Geld hat, um all die jungen Bäume zukaufen, läßt er selber nur einen Teil des Gartens bepflanzen; dieübrigen Baumpflanzen werden von anderen Leuten gekauft undeingepflanzt. Wenn nun die Bäume wachsen und Früchte tragen,bekommt jeder, der Bäume gepflanzt hat, so viel von den Früchtenab, wie es seinem Anteil an den Bäumen entspricht, und zwar injedem Jahr neu.“Timm begann laut zu rechnen: „Wenn ich also von hundertBäumen zwanzig gepflanzt habe, und es werden hundert ZentnerÄpfel geerntet, dann bekomme ich zwanzig Zentner davon ab.
Ist dasrichtig?“„Nicht ganz!“ Senhor van der Tholen lächelte kaum merklich. „Esmüssen ja auch die Gärtner und Arbeiter bezahlt werden. UndBäume, die nicht angegangen sind, müssen durch neue ersetztwerden. Aber ich denke, Sie haben jetzt ungefähr verstanden, wasAktien sind.“Timm nickte. „Aktien sind die Bäume des Gartens, die ichgepflanzt habe. Sie sind mein Anteil am Garten und an denFrüchten.“„Sehr gut, Herr Thaler.“Senhor van der Tholen schaukelte schweigend, und Timm blicktewieder aus dem Fenster. Die Kutsche kehrte bereits vom Flugplatzzum Schloß zurück.
Selek Bei ritt wie am Tage zuvor nebenher. AnLefuets Seite saß ein großer, fülliger Herr mit einer Glatze.„Der Baron kommt schon zum Schloß zurück, Senhor van derTholen.“„Dann will ich Ihnen kurz meine Bitte vortragen, Herr Thaler.Der Erbschaftsvertrag ist so abgefaßt, daß der neue Baron…“„Wieso der neue Baron?“ unterbrach ihn Timm.
Dann abermerkte er am Gesicht des Händlers, daß der vom Geheimnis desBarons nichts wußte. Also fügte der Junge hinzu: „Entschuldigung,daß ich Sie unterbrochen habe.“Obwohl van der Tholen ihn mit angehobenen Brauen musterte,als erwarte er eine Erklärung für die seltsame Frage, sagte Timmnichts mehr. So fing Senhor van der Tholen noch einmal von vornan: „Der Erbschaftsvertrag ist so geschickt abgefaßt, daß der neueBaron Ihnen den gesamten Besitz wieder streitig machen kann, wenner will. Nun, das ist seine und Ihre Sache.
Mich interessieren dabeinur die Stimm-Aktien.“Timm sah durchs Fenster, wie Kutsche und Reiter am Fuß derTreppe verhielten. Die Herren schienen ein lebhaftes Gesprächmiteinander zu führen.„Was sind Stimm-Aktien?“ fragte der Junge.„In unserer Gesellschaft, Herr Thaler, gibt es ein paar Aktien imWert von etwa zwanzig Millionen portugiesischen Escudos.
Wer diebesitzt, hat Stimmrecht im Verwaltungsrat. Er allein entscheidet, wasgeschieht, und sonst niemand.“„Und erbe ich diese Stimm-Aktien, Senhor van der Tholen?“„Einen Teil, junger Herr. Die übrigen gehören Selek Bei, MisterPenny und mir.“(Mister Penny war offensichtlich der füllige Glatzkopf, der jetztmit Lefuet und Selek Bei langsam die Schloßtreppe hinaufschritt.)„Und Sie wollen mir meine Stimm-Aktien abkaufen?“„Das könnte ich gar nicht, weil der Baron darüber verfügt, bis Sieeinundzwanzig sind. Aber sollten Sie das einundzwanzigsteLebensjahr erreichen und die Erbschaft in aller Form antreten, dannwürde ich Ihnen die Aktien gern abkaufen.
Dafür biete ich Ihnenheute schon eine beliebige Firma unseres Unternehmens an. DieseFirma würde Ihnen auch dann gehören, wenn die Erbschaft ausirgendeinem Grunde für ungültig erklärt werden würde.“Der Portugiese erhob sich aus dem Schaukelstuhl. Sein Mund warwieder das geschlossene Haifischmaul. Er hatte für seineVerhältnisse ungewöhnlich viel geredet.
Nun war es an Timm, etwaszu sagen.Er sagte: „Ich werde mir Ihren Vorschlag überlegen, Senhor vander Tholen.“„Tun Sie das, junger Herr! Sie haben drei Tage Zeit.“ Damitverließ der Kaufmann den Jungen.Als Timm aus dem Fenster blickte, war die Schloßtreppe leer.Hier saß nun im Turmzimmer eines Schlosses im hohenMesopotamien ein Junge namens Timm Thaler, vierzehn Jahre altund aufgewachsen in einer Großstadtgasse, ein Knabe ohne Lächeln,aber an Macht und Reichtum ein künftiger König, falls ihm an dieserKrone etwas lag.Obwohl Timm das Ausmaß seines Reichtums noch gar nichtkannte, wußte er doch schon, daß eine riesige Flotte von Schiffenunter dem Namen des Barons die Meere befuhr.
Er ahnte, daß diegroßen Märkte der Welt – wie jener in Athen – seinem Reichtumtagtäglich neue Reichtümer hinzufügten; und er sah eine ganzeArmee von Direktoren, Unterdirektoren, Angestellten und Arbeitern,Hunderte, Tausende, vielleicht Zehntausende, die ausführten, was erbefahl. Diese Vorstellung war ein Kitzel. Wenn Timm daran dachte,daß er einmal einen lächerlichen Kampf um den Platz für seineSchularbeiten hatte kämpfen müssen, wenn er daran dachte, wieklein und unbedeutend Präsidents vom Wasserwerk ihm gegenübergeworden waren, dann kam er sich hier oberhalb des seltsamen, aberdoch prächtigen Parks wie jener einsame bayerische Märchenkönigvor, von dem eine ältliche Lehrerin in der Geschichtsstundegeschwärmt hatte. Timm träumte, daß er in einer goldenen Kutsche,begleitet von Selek Bei zu Pferde, vor Frau Bebbers Bäckerladenvorführe – unter den Augen einer maulaufsperrenden Nachbarschaft.Der Junge im Turmzimmer vergaß für eine Weile sein verlorenesLachen und träumte den Traum vom Königsein.Die Wirklichkeit sah anders aus.
Die Wirklichkeit hieß Margarineund sollte ihn an sein verlorenes Lachen deutlich genug erinnern.Dreiundzwanzigster BogenDie SitzungEs gab im Schloß einen holzgetäfelten Beratungsraum, in dem einlanger Tisch stand, der von schweren Armsesseln umgeben war.Wenn man in die Tür trat, fiel der Blick auf ein Gemälde in breitemGoldrahmen, das an der Stirnwand des Raumes hing. Es war einberühmtes Selbstbildnis des Malers Rembrandt, von dem die Weltglaubte, es sei in einem Kriege verlorengegangen.Unter diesem Bildnis, am Kopf des Tisches, saß der Baron. Linksvon ihm saßen Selek Bei und Timm Thaler, rechts von ihm MisterPenny und Senhor van der Tholen. Man sprach – diesmal ganzoffiziell – über „die Lage auf dem Buttermarkt“.