kruess_james_timm_thaler_oder_das_verkau fte_lachen(1) (857789), страница 21
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Ist es nichteine Lust, diese Farben zu sehen?“Lefuet hatte Timm zuerst in die Straßen der Fische geführt.Glotzäugig und zuweilen mit leuchtenden roten Streifen unter denKiemen, lagen die Fische zu Tausenden in großen offenenEisschränken. Der Reichtum des Meeres war üppig ausgebreitet. Daglitzerte viel Silber und stählernes Blau, und dazwischen sah manStreifen und Flecken gellenden Rots und matten Schwarzes. DerBaron sah dies; alles mit den Augen des Händlers an.„Der Thunfisch kommt von den Türken“, erklärte er.
„Wir kaufenihn billig ein. Der Stockfisch kommt aus Island. Er ist unser bestesGeschäft. Barboni, Tintenfische und Sardellen kommen aus Italienoder von den griechischen Fischern. Daran ist nicht viel zuverdienen. Aber kommen Sie weiter, Herr Thaler, kommen Sie,kommen Sie!“Lefuet war wie berauscht auf diesem Markt. Sie standen jetzt voreiner Kalkwand, an der geschlachtete, abgezogene Schafe hingen,die Zungen seitwärts aus dem Maul gestreckt.„Diese Schafe kommen aus Venezuela“, sagte der Baron. „Unddie Schweine dort haben wir in Jugoslawien gekauft. Ein gutesGeschäft.“„Kommt eigentlich außer den Fischen auch etwas ausGriechenland?“ fragte Timm.„O ja“, lachte Lefuet, „einiges kommt auch aus dem Lande:Korinthen, Wein, Bananen, Kuchen, Olivenöl, Granatäpfel, Wolle,Stoffe, Feigen, Nüsse, Auberginen und Bauxit.“Lefuet hatte die Aufzählung so feierlich gesprochen, als sei es dasGeschlechtsregister des Königs David aus der Bibel.
Er war mitTimm inzwischen in die Käsestraße geraten, in der viel weißer Käseausgebreitet lag. Der ganze Spaziergang war ein Stoßen undSchieben zwischen schreienden Verkäufern und laut handelndenKunden. Bei den Fischen wafen sie durch Pfützen gewatet, in denenZwiebelringe schwammen; bei den Schafen waren sie genötigtgewesen, Blutlachen zu umgehen; und als sie zwischen dieObststände gerieten, war der Boden von Schalen glatt.Vor Timm streiften drei Buben herum und stahlen unter denAugen der Menge eingelegte Oliven. Niemand nahm Anstoß daran,nicht einmal die Verkäufer, die nur böse und kurz aufbellten, um ihreAufmerksamkeit sofort danach wieder zahlungsfähigen Kundenzuzuwenden. Die kleinen Diebe lachten.Verwirrt und erschöpft verließ Timm nach geschlagenen zweiStunden diesen Alptraum eines Marktes, dieses Prahlen, Schreienund Drängen, das den Baron so entzückte, diesen Riesenbauch einerStadt mit ungeheurem Appetit.Auf ein Zeichen des Barons kam das Auto vorgefahren.
Diesmalhatte es nur vier Türen und schwarze Polster. Lefuet befahl demFahrer, zum byzantinischen Museum zu fahren. Zu Timm sagte er:„Es wird Ihnen dort gefallen, Herr Thaler. Aber ich verrate Ihnennicht, warum.“Timm war nicht im geringsten neugierig auf dieses Warum. Erwar ganz einfach erschöpft und hungrig. Aber er sagte kein Wortdarüber. Er wollte sich so selten wie möglich schwach zeigengegenüber diesem seltsamen Händler, der sein Lachen gekauft hatte.Deshalb ließ er sich auch brav in das byzantinische Museumschleppen.Die Bilder, vor die der Baron den Jungen führte, warensogenannte Ikonen. Sie wurden, so erklärte Lefuet ihm,hauptsächlich von Mönchen gemalt, die viele hundert Jahre langnach immer den gleichen strengen Regeln malten.Timm merkte bald, warum der Baron ihn hierhergeführt hatte.Die Gesichter der Ikonen mit den großen starren Augen und denlangen Nasen, die das Oval der Gesichter in zwei gleiche Hälftenteilten, waren Gesichter ohne Lächeln.
Sie glichen darin den blassenholländischen Gesichtern des Palazzo Candido in Neapel. Timmfand sie schrecklich. Als Lefuet ihn längere Zeit vor einem Bild desHeiligen Georg festhielt, einer düsteren Felsszenerie in Olivgrün, inder der Heilige von einem blutroten Mantel umwallt wird, murmelteer den Spruch Jonnys vor sich hin: „Lehre mich lachen, rette meineSeele!“Und es war merkwürdig: Durch die Erinnerung an Jonny sahTimm plötzlich die Bilder mit anderen Augen an.
Plötzlich sah er,daß die malenden Mönche all das, was sie den Menschen auf ihrenBildern vorenthielten, dem Tier und der Pflanze gestatteten, nämlichzu blühen, zu lächeln und zu leben. Während Lefuet von der heiligenDisziplin der Ikonenmaler schwärmte, entdeckte Timm imrankenden Beiwerk der Tafeln grinsende Hündchen, zwinkerndeGreife, lustige Vögel und lachende Lilien. Und wieder fiel ihm einSpruch ein, diesmal aus dem Hamburger Marionettentheater: „DasLachen unterscheidet Mensch und Tier.“ Nur war es hier umgekehrtwie in dem Marionettentheater: Hier lachte das Tier, und der Menschstarrte streng und erbarmungslos in eine Welt ohne Paradies.Im ersten Stock des Museums unterhielt Lefuet sich eine Weilemit dem Direktor, den man vom Besuch des reichen Baronsbenachrichtigt hatte. Timm trat währenddessen durch eine offeneFlügeltür auf einen kleinen Balkon hinaus.
Von dort aus sah er untersich ein kleines Mädchen, das mit einem Zweig Linien in den hartenBoden des Vorplatzes zog und sie dann mit bunten Steinchenauslegte. Anscheinend war sie vorher im Mosaiksaal gewesen undfertigte nun auf ihre Weise ein Mosaik an. Es schien eine ArtIkonengesicht zu werden, aber der Mund war ein nach obengebogener Halbkreis: Er lachte.Doch gerade als das Mädchen bedächtig ein grünes Augeeinsetzte, kam ein Junge, blickte mit heruntergezogenenMundwinkeln auf das fast fertige Bild und fuhr mit der Schuhspitzehinein.
Das Gesicht war zerstört, das Mädchen sah erschrocken denbarbarischen Jungen an, und plötzlich sprangen dicke Tränen ausihren Augen. Dann las sie schluchzend und demütig die Steinchenwieder zusammen. Der Junge stand mit den Händen in denHosentaschen daneben, männliche Verachtung im Blick.Timm war wütend über den Knaben.
Er wollte hinunterlaufen unddem Mädchen beistehen. Aber als er sich heftig umwandte, stelltesich der Baron vor ihn, der die Szene offenbar ebenfalls beobachtethatte.„Mischen Sie sich nicht ein, Herr Thaler“, sagte er lächelnd. „Esist gewiß bedauerlich, was dieser Knabe getan hat. Aber so geht es inder Welt. Mit derselben Barbarei wie dieser Junge zertrampeln roheSoldatenstiefel die wohlausgewogenen Werke eines feinen KunstVerstandes; aber wenn der Krieg vorbei ist, genehmigen dieselbenBarbaren mit heruntergezogenen Mundwinkeln Zuschüsse für dieWiederherstellung des Zerstörten. Und daran verdienen wir.
UnsereFirma hat nach dem Krieg in Mazedonien mehr als dreißig Kirchenrestauriert. Unser Verdienst belief sich auf etwas über eine MillionDrachmen.“Timm murmelte, als ob er einen eingelernten Satz plappere: „Ichwill mir’s merken, Baron. Aber jetzt“, fügte er hinzu, „möchte ichessen gehen.“„Ein ausgezeichneter Gedanke“, lachte Lefuet. „Ich kenne einvorzügliches Gartenrestaurant.“Ohne die Bilder an den Wänden oder die Kinder auf demVorplatz noch eines Blickes zu würdigen, schritt der Baron zuseinem Auto vor dem Tor des Museums. Timm ging stumm nebenihm her.Im Gartenrestaurant, das zu Timms Erstaunen gar nicht so feinwar, wie Lefuet es sonst liebte, wurden sie vom Besitzer, vomDirektor und vom Oberkellner begrüßt. Der Baron sprachGriechisch, aber mit Timm redete er Deutsch.
Man geleitete sie aneinen Ecktisch, legte ein blütenweißes Tischtuch für sie auf, stellteBlumen darauf und holte aus dem Hause ein kleineres Tischchenzum Anrichten. Alle Gäste im Restaurant verfolgten dieseVorbereitungen mit gespannter Aufmerksamkeit. Manche tuscheltenmiteinander und zeigten dabei verstohlen auf Timm.„Steht mein Bild hier etwa auch in den Zeitungen?“ fragte Timmflüsternd.„Selbstverständlich“, erwiderte der Baron unbekümmert laut. „InGriechenland, Herr Thaler, bewundert man nichts so sehr wieReichtum; denn es ist ein armes Land. Für unsereins istGriechenland ein Paradies.
Selbst dieses mittelgute Lokal wird unsein Mittagessen servieren, das man bedenkenlos einem Königvorsetzen könnte. Man erweist dem Reichtum majestätische Ehren.Deshalb liebe ich Griechenland so sehr.“Lefuet hätte zu Timms Unbehagen sicher noch länger in diesemTone gesprochen, wenn nicht ein Kellner gekommen wäre, der ihmetwas ins Ohr flüsterte.„Ich werde am Telefon verlangt.
Man kennt meinLieblingsrestaurant bereits“, sagte er zu Timm. „Entschuldigen Siemich.“ Er stand auf und folgte dem Kellner ins Haus.Timm beobachtete jetzt einen Tisch schräg vor sich, den einzigenTisch, von dem aus man nicht ständig auf ihn starrte. Er sah dortzwei Familien zu.
Die eine bestand aus einer sehr fülligenschwarzhaarigen Mama mit einem Schönheitsfleck auf der Wangeund zwei Töchtern, von denen die eine etwa fünf, die andere zweiJahre alt sein mochte. Die andere Familie, die neben dem Tisch untereinem Oleanderbusch tobte, bestand aus einer großen grauenKatzenmama mit drei Kätzchen, zwei schwarzen und einer grauen.Die griechische Mama war sehr nervös, und die Katzenmama wares auch. Als das kleinere griechische Töchterchen in ein Blumenbeetfiel, sich beschmutzte und Blätter aß, bekam es böse Prügel von derMama mit dem Schönheitsfleck.
Sie schlug das Kind mit der flachenHand immer wieder heftig auf Wangen, Mund und Nase. Die Kleineheulte herzzerbrechend, und alsbald klatschte die volle flache Handabermals in das tränennasse Kindergesichtchen.Die Katzenmama benahm sich nicht anders. Immer, wenn einKleines sich ihr näherte oder auf ihren Schwanz sprang, fauchte sieärgerlich. Eines der schwarzen Kätzchen verfolgte sie mitbesonderem Grimm. Als es greinend miaute, gab sie ihm einenheftigen Pfotenschlag, wenn auch mit eingezogenen Krallen,sozusagen mit der flachen Hand. Als das Kleine ihr trotzdemnäherzukommen versuchte, schlug die Pfote erneut zu.Katzengreinen und Kinderweinen vermengten sich.Timm wandte schließlich den Blick ab. Er konnte es nicht mehrmit ansehen.
Gerade in diesem Augenblick kam der Baron zurück.Und wieder einmal schien er dasselbe wie Timm beobachtet und dieGedanken des Jungen erraten zu haben. Während er sich setzte, sagteer: „Sie sehen, Herr Thaler, daß der Unterschied zwischen Menschenund Tieren nicht groß ist; er ist sozusagen kaum wahrnehmbar.“„Ich habe über diesen Unterschied jetzt schon drei Meinungenkennengelernt“, sagte Timm leicht verwirrt. „In einem HamburgerTheater hieß es, das Lachen unterscheidet Mensch und Tier, und eswar damit gemeint, daß nur der Mensch lachen kann; auf den Bildernim Museum war es aber umgekehrt, da lachten die Tiere und niemalsein Mensch; und Sie, Baron, erzählen mir jetzt, daß es überhauptkeinen Unterschied gibt zwischen Mensch und Tier.“„Nichts auf der Welt ist so einfach, daß man es mit einem Satzerklären könnte“, antwortete Lefuet.
„Und was das Lachen für denMenschen bedeutet, das, mein lieber Herr Thaler, weiß überhauptniemand genau.“Timm erinnerte sich plötzlich an eine Bemerkung Jonnys undwiederholte sie halb für sich, aber laut genug, daß der Baron sieverstehen konnte: „Lachen ist Freiheit nach innen.“Die Wirkung dieses Satzes auf Lefuet war merkwürdig: Erstampfte mit dem Fuß auf und rief: „Das hat dir der Steuermanngesagt!“Timm sah ihn verwundert an, und plötzlich wußte dieser Jungevon vierzehn Jahren, dieses halbe Kind, warum der Baron ihm seinLachen abgekauft hatte und warum sich der düstere karierte Herrvom Rennplatz so sehr von dem jetzigen Baron Lefuet unterschied.Er war ein freierer Mann geworden; und es machte ihn wütend, daßTimm das entdeckt hatte.Übrigens hatte der Baron sich wie üblich sofort wieder in derGewalt, und mit glatter Liebenswürdigkeit wechselte er das Thema.Er sagte: „Die Lage auf dem Buttermarkt, Herr Thaler, ist für unsgefährlich geworden.
Ich muß mit den leitenden Herren unsererFirma schon morgen Maßnahmen beraten. Solche Beratungenpflegen auf meinem Schloß in Mesopotamien stattzufinden, und icherwarte, daß Sie mich dorthin begleiten. Was Sie in Athen nochkennenlernen müssen, zeige ich Ihnen später einmal.“„Wie Sie wünschen“, sagte Timm scheinbar gleichgültig. InWirklichkeit wünschte er nichts sehnlicher, als diesengeheimnisvollen Ort kennenzulernen, an dem der Baron in seinemSchlupfwinkel saß wie die Spinne im Beobachtungsposten ihresNetzes.Lefuet aber verließ Athen ungern. Als das Essen aufgetragenwurde, seufzte er: „Für diesmal die letzte Mahlzeit in diesemgesegneten Lande. Guten Appetit!“DRITTES BUCHIrrwegeLachen ist keine Handelsware wie MargarineWer damit handelt, handelt irrig.Selek BeiEinundzwanzigster BogenDas Schloß in MesopotamienTimm saß zum zweitenmal in dem kleinen zweimotorigenPrivatflugzeug der Baron-Lefuet-Gesellschaft.