kruess_james_timm_thaler_oder_das_verkau fte_lachen(1) (857789), страница 17
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Den Kammerdiener werde ichrufen. Es ist ein mir ergebener Mann aus Mesopotamien.“„Danke“, sagte Timm. „Ich habe gelernt, mich alleinanzukleiden.“„Noch besser“, grinste Lefuet. „Dann sparen wir Geld.“ Er gingendlich und schloß leise die Tür hinter sich.Auf dem Etagenflur blieb der Baron eine Weile nachdenklichstehen. „Der Bursche will sein Lachen wiederhaben“, murmelte er.„Er verachtet die Macht, die das Dunkel spendet. Oder sie ist ihmgleichgültig.
Er will Licht, und Licht…“ (der Baron ging langsam zuseinem Appartement) „… Licht wird durch Spiegel gebrochen.Damit muß ich’s versuchen.“Als Lefuet sein Appartement betreten hatte, sank er wieder einmalin einen Sessel. Über ihm hing ein ähnlicher Kronleuchter wie deraus dem Salon von Timms Appartement. Der Blick des Barons fielauf die leicht schwankenden gläsernen Tropfen, Timms Wurf mitdem Pantoffel kam ihm ins Gedächtnis, und plötzlich lachte Lefuet.Er lachte so sehr, daß der Sessel unter ihm von der Erschütterung desKörpers zu knirschen begann.Der Baron lachte wie ein kleiner Junge. Das kullerte aus demBauch herauf wie Luftperlen in einem Sektglas.
Und immer wieder –ein melodischer Akzent – setzte sich ein Schlucker darauf. Es gingdie Tonleiter hinauf – ein Schlucker – erneuter Ansatz vom tiefstenTon – und wieder die Leiter der Töne hinauf bis zu einem neuenSchlucker.Nun war der Baron ein Mann, der sich niemals auch nur derkleinsten Gefühlsregung in heiterer Bedenkenlosigkeit überließ. Ihmfehlte das Talent zum Glücklichsein. Er mußte alles erklären und inseine Teile zerlegen, sogar seine Gefühle.Auch diesmal, als der letzte lachende Schlucker verklungen war,überlegte sich der Baron, warum er gelacht habe. Und er stellte mitÜberraschung fest, daß er über sich selbst gelacht hatte, über seinenmißglückten Versuch, Timm Thaler mit dem Hokuspokus derSchwarzen Magie zu imponieren.Der Versuch war mißglückt; Lefuet war der Unterlegenegewesen, und trotzdem hatte er gelacht.
Das war eine neue unerhörteErfahrung für den Baron.Er erhob sich aus dem Sessel und führte – auf- und abgehend –ein Selbstgespräch.„Merkwürdige Sache“, brummelte er vor sich hin. „Ich habe dasLachen gekauft, um Macht über Herzen zu bekommen. Und nun…“(er blieb verdutzt stehen) „… nun habe ich Macht über mich selbstbekommen, Macht über meine Launen, meine fürchterlichen Launen.Ich habe sie nicht mehr: Ich lache sie fort!“Er ging wieder auf und ab.„Früher hätte ich getobt, wenn ich bei einer Machtprobe derUnterlegene gewesen wäre.
Ich hätte einen Teppich zerbissen vorWut. Jetzt bleibe ich sogar als Verlierer überlegen: Ich lache!“Der Baron faßte sich – er sah beinahe glücklich aus – an den Kopfund rief: „Das ist ja unwahrscheinlich! All meine Überlegenheit habeich durch Arglist und Tücke, durch Siege über andere stützenmüssen. Jetzt fliegt mir das von selber zu, weil mir ein Kullern imBauch zur Verfügung steht.
Das Lachen ist ja mehr wert, als ichahnte. Das muß man ja mit einem Königreich bezahlen!“Abermals nahm ein Sessel den hageren Mann auf, dessen Gesichtfür einen Augenblick die Züge des karierten Herrn vom Rennplatzannahm, die Züge der Verschlagenheit.„Jage du nur deinem Lachen nach, Timm Thaler; du bekommst esnicht zurück! Das halte ich fest mit Zähnen und Klauen!“Siebzehnter BogenDer reiche ErbeDie Uniform junger reicher Erben sah zu Timms Zeitfolgendermaßen aus: Graue Flanellhosen, ein rot-schwarzgestreiftesJackett, ein blütenweißes Seidenhemd, eine rote Krawatte mitschottischemMuster,ebensolcheSockenundbrauneWildlederschuhe.Timm stand in diesem Aufzug vor einem Spiegel, der bis auf denBoden reichte, und kämmte sich zum erstenmal in seinem Leben dieHaare feucht.
Auf dem Teppich zu seinen Füßen lag aufgeschlageneine illustrierte Zeitung mit dem Photo eines Tennisspielers. Timmlegte seine Haare ebenso wie der Tennisspieler. Es gelang ihmleidlich.Eine Weile betrachtete der Junge sich im Spiegel und zogversuchsweise seine beiden Mundwinkel nach oben. Aber es sahnicht einmal nach der Andeutung eines Lachens aus.Traurig wandte er sich ab und wanderte ziellos in den dreiRäumen seines Appartements herum. Er probierte lustlos einenSchaukelstuhl aus, er betrachtete die Gemälde an den Wänden –lauter Schiffe auf hoher See – er hob den Hörer deselfenbeinfarbenen Telefons ab, legte ihn aber gleich wieder in dieGabel, und schließlich öffnete er die schnörkelig verzierteLedermappe, die der Baron mitten auf die polierte Platte desSchreibtisches geschoben hatte.Es war Briefpapier darin.
In der linken oberen Ecke der Bogenstand in grauen geraden Druckbuchstaben:timm thalereigentümer der baron-lefuet-gesellschaftRechts stand:genua, den….In einer seidenen Seitentasche der Mappe lagen Briefumschlage.Timm nahm einen heraus und las auf der Rückseite:timm thaler, genova, italia, hotel palmaroDer Junge ließ sich in dem Sessel vor dem Schreibtisch nieder,schraubte den Füllfederhalter auf, der neben der Mappe gelegenhatte, und beschloß, einen Brief zu schreiben.Als er die Mappe zurückschob und einen der Bogen vom Stoßnahm, sah er in der Politur der Tischplatte den Briefkopf inSpiegelschrift:relaht mmittfahcslleseg-teufel-norab red remütnegeiDabei sprang ihm ein Wort in die Augen:teufel„Sieht aus, als ob dort Teufel stünde“, dachte Timm.
„Aber“,fügte er in Gedanken hinzu, „wenn man vom Teufel gesprochen hat,sieht man ihn überall, und wenn es nur sein Name ist!“Er schob sich den Bogen zurecht und begann einen Brief zuschreiben:Lieber Herr Rickert,ich bin in Genua nicht gut angekommen. Der Baron ist gestorbenund ich bin sein Erbe. Aber das wollte ich eigentlich gar nicht. Ehernoch das Gegenteil, aber das kann ich Ihnen leider nicht erklären.Vielleicht später.
Bitte versuchen Sie mit dem Stjuard in Verbindungzu kommen, er heißt Kreschimir und hat eine BlinddarmEntzündung. Kreschimir darf Ihnen alles erzählen, ich nicht, leider!Sprechen Sie auch mit dem Steuermann vom Delfin, er heißt Jonnyund kommt aus Hamburg. Der weiß wie es zuging.Jetzt bin ich der reichste Mensch der Welt und der sogenannteneue Baron ist mein Vormund. Schön ist das nicht aber vielleichtnützlich. Dem Baron lasse ich nicht merken, daß ich das alles garnicht will.Sie und Ihre Mutter und der Stjuard und Jonny waren sehr gut zumir.Vielleicht finden Sie einen Ausweg für mich.
Aber ich muß mirwohl alleine helfen. Und es ist wohl auch gut, das ich einen Plan undein Ziehl habe, um zu vergessen, das ich gar kein richtiger Menschmehr bin.Grüssen Sie bitte Ihre liebe Mutter und es dankt Ihnen sehr Ihrtrauriger Timm Thaler.N.S.: Aber schreiben Sie mir nicht. Vielleicht finde ich später eineGeheim-Adresse. Timm.Der Junge las den Brief noch einmal durch, faltete ihn und steckteihn in den Umschlag, den er zuklebte.
Aber gerade, als er den Briefadressieren wollte, hörte er auf dem Flur Schritte näher kommen.Rasch steckte er den Brief in die Brusttasche des Jacketts. Gleichdarauf klopfte es, und wieder kam der Baron ohne Aufforderungherein.Er sah den aufgeschraubten Füllfederhalter neben deraufgeschlagenen Mappe und fragte: „Privatbriefe, Herr Thaler?Damit sollten Sie vorsichtig sein. Übrigens steht Ihnen ein Sekretärzur Verfügung.“Timm schloß die Mappe, schraubte den Füllfederhalter zu undsagte: „Wenn ich den Sekretär brauche, werde ich ihn rufen.“„Gut gebrüllt, Löwe!“ lachte Lefuet.
„Sie scheinen mit der neuenKleidung neue Sitten angezogen zu haben. Das lob’ ich mir!“Es klopfte wieder an die Tür. Lefuet rief unwillig: „Che cosavole?“„La garderoba per il signore Thaler!“ rief es hinter der Tür.„Avanti!“ knurrte Lefuet.Ein Hausdiener mit einer langen grünen Schürze trug dienerndTimms Seesack herein, legte ihn auf das Gestell für die Koffer undblieb neben der Tür stehen.Timm trat auf ihn zu, hielt ihm die Hand hin und sagte: „Rechtherzlichen Dank!“Linkisch, verwundert und anscheinend unzufrieden, ergriff derHausdiener die Hand.„Non capisco“, murmelte er.„Er versteht nicht“, lachte der Baron.
„Aber das hier versteht ersicher!“ Dabei zog Lefuet ein Bündel Lire-Scheine aus der Tascheund gab dem Hausdiener einen davon.Der Mann strahlte, rief: „Grazie! Mille grazie! Tante grazie,signore Barone!“ und verschwand dienernd und im Rückwärtsgang.Lefuet schloß die Tür hinter ihm und sagte: „Wenn in früherenZeiten ein Knecht die Räume seines Herrn betrat, zog er zuvor dieSchuhe aus, rutschte auf den Knien heran und küßte seinem Herrndie Stiefelspitzen. Diese gesegneten Zeiten sind bedauerlicherweisevorbei.“Timm achtete nicht auf die Worte des Barons. Siedendheiß warihm eingefallen, daß im Seesack seine Mütze stecken mußte und imFutter der Mütze der Vertrag mit Lefuet. Er trat wie zufällig zumSeesack, nestelte ihn auf und fand obenauf die Mütze liegen. Als ersie in die Hand nahm, knisterte es unter dem Futter.
Erleichtertatmete der Junge auf. Während er das verhängnisvolle Papiermöglichst unauffällig aus dem Futter zog und in die Brusttasche desJacketts schob, hörte er dem Baron wieder zu.„In einem Hotel wie diesem“, sagte der, „genügt es, wenn wir dreiLeuten die Hand geben: erstens dem Chefportier, denn der muß unszu jeder Zeit verleugnen können; zweitens dem Direktor, denn wirmüssen uns seine Verschwiegenheit sichern; drittens dem Chefkoch,denn der muß unsere Geschäftspartner verwöhnen.“„Ich will mir’s merken!“ sagte Timm. Bei sich dachte er: „Wennich erst wieder lachen kann, wird es mir ein Vergnügen sein,Hausdienern und Zimmermädchen die Hand zu geben.“Das Telefon läutete.