kruess_james_timm_thaler_oder_das_verkau fte_lachen(1) (857789), страница 16
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Es war ein Herr in einem kariertenAnzug, der eine riesige Sonnenbrille trug.„Der neie Herr Baron, die Zwillingsbruder“, flüsterte Grandizzidem Jungen ins Ohr. Aber Timm glaubte nicht so recht an denZwillingsbruder. Und als der neue Baron die Freitreppe herunterkamund lachend ausrief: „Was für ein reizendes Räuberzivil!“, da wußteTimm mehr als der Direktor. Er hatte den Mann an seinem eigenenLachen erkannt. Es gab gar keinen Zwillingsbruder.Der Baron lebte. Und mit ihm lebte Timms Lachen.Sechzehnter BogenDas Ende eines KronleuchtersIn seinem prachtvollen Hotelzimmer, oder besser: in einer Fluchtvon drei Zimmern, die man Appartement nennt, war Timm nach allden Aufregungen zum erstenmal allein.
Der Baron war zu einerBesprechung fortgefahren und hatte erklärt, daß er Timm wiederabholen werde.Der Junge, der noch immer die karierte Hose und den zu weitenPullover trug, lag halbaufgerichtet auf einer Chaiselongue. Rückenund Kopf ruhten auf einem Berg gestreift ter Seidenkissen. Die Füßebaumelten über den Rand der Liege.
Timm starrte auf einenKronleuchter, der einem Gebilde aus gläsernen Tränen glich.Seit langer Zeit fühlte der Junge sich zum ersten Male wiederbeinahe wohl. Es lag nicht an der wunderlichen Verwandlung, dieder plötzliche Reichtum gebracht hatte; denn davon hatte Timm nochgar keinen rechten Begriff: Es lag daran, daß er sein Lachen lebendigwußte. Auch war ihm nach all der Verwirrung eines klar: Der Baronwar jetzt sein Vormund, und das hieß, er war an Timm gebunden.Auf der Jagd nach seinem Lachen hatte Timm das Wild vor derNase.
Jetzt galt es, die verwundbare Stelle zu finden. (Timm wußtenoch nicht, daß man eine schwierige Lage aus der Ferne besserübersieht als aus der Nähe.)Es klopfte, und ohne Timms Aufforderung abzuwarten, trat derBaron ein.„Bleib ruhig liegen“, sagte Lefuet beim Eintritt. Dann knickte derhagere Mann wie ein Taschenmesser ein und fiel auf einen kostbarenStuhl mit elfenbeinernen Einlegearbeiten. Er schlug die Beineübereinander und sah Timm belustigt an.„Die letzte Wette war ein außerordentlicher Einfall, Timm Thaler!Respekt, mein Junge!“Timm sah den Baron von unten herauf an und schwieg Lefuetschien auch darüber belustigt zu sein.
Er fragte: „Wolltest du dieseWette eigentlich gewinnen oder verlieren? Es würde michinteressieren, das zu erfahren.“Timm antwortete ausweichend: „Meistens schließt man Wettenab, um sie zu gewinnen.“„Dann war es ein exquisiter Einfall!“ rief der Baron. Er sprangwieder auf, kreuzte die Arme über der Brust und begann, in denRäumen auf- und abzuwandern.Timm blieb auf der Chaiselongue liegen und fragte von dort:„Gilt unser Vertrag eigentlich noch? Ich habe ihn doch mit demersten Baron Lefuet abgeschlossen und nicht mit dessen angeblichemZwillingsbruder.“Lefuet kehrte vom Salon ins Schlafzimmer zurück und sagte imGehen: „Der Vertrag wurde mit dem Baron L. Lefuet abgeschlossen.Ich heiße Leo Lefuet.
Vorher nannte ich mich Louis Lefuet. BeideMale ein L. mein Junge.“„Wenn es gar keinen Zwillingsbruder gibt“, fragte Timm weiter,„wer wird dann an Ihrer Stelle begraben?“„Ein armer Hirte ohne Familie, mein junger Freund.“Lefuet sprach mit genüßlich gespitztem Munde: „Im Hochlandvon Mesopotamien, unweit des Berges Djabal Sindjar, liegt meinHauptwohnsitz, ein kleines Schloß; dort trägt man ihn an meinerStatt zu Grabe.“Der Baron nahm seine Wanderung in die anderen Gemächerwieder auf. Während seine Stimme sich entfernte, hörte Timm ihnsagen: „Mein Schlößchen liegt im Lande der Yeziden.
Weißt du, werdie Yeziden sind?“„Nein“, erwiderte Timm, der sich über die Redseligkeit desBarons wunderte.Die Stimme kam wieder näher. Lefuet sagte: „Yeziden sindTeufelsanbeter. Sie glauben, daß Gott dem Teufel verziehen und ihmdie Leitung der Welt übertragen habe. Deshalb beten sie Satan alsden Herrn der Welt an.“Der Baron war wieder ins Schlafzimmer zurückgekehrt. Timmsagte ohne große Anteilnahme: „Aha, so ist das!“„Aha, so ist das“, äffte der Baron den Jungen sichtlich verärgertnach.
Zum erstenmal verlor sein Gesicht den belustigten Zug. „DerTeufel scheint dir gleichgültig zu sein, wie?“Timm begriff nicht, was den Baron bei diesem Gespräch soerregte. Er fragte in aller Unschuld: „Gibt es den Teufel dennwirklich?“Lefuet sank wieder in den elfenbeinverzierten Stuhl. Er stöhnte:„Bist du so einfältig, oder tust du nur so? Hast du nie von Menschengehört, die mit dem Teufel einen Vertrag geschlossen und diesenPakt mit ihrem Blut unterschrieben haben?“Bei dem Wort „Vertrag“ horchte Timm auf.
Er glaubte, Lefuetwolle jetzt über seinen Vertrag mit ihm reden. Aber der Baron faselteweiter von Teufeln und Dämonen. Er sprach von Belial, dem Herrnder Hölle, von den Dämonen Forcas, Astaroth und Behemoth, vonHexen und Schwarzer Magie und von dem berühmten ZaubererDoktor Faustus, der den Unterteufel Mephistopheles zum Dienerhatte.Als er merkte, daß er den Jungen damit gründlich langweilte,erhob er sich und murmelte: „Ich muß deutlicher werden.“Timm hatte sich wieder in die Kissen zurückgelegt.
Seine rechteHand, die herunterbaumelte, spielte, ohne daß der Junge sich dessenbewußt war, mit einem der seidenen Pantoffeln, die man ihmbereitgestellt hatte. Sein Blick war wieder auf den Kronleuchtergerichtet, in dessen gläsernen Tropfen sich die hagere Figur desBarons vielfach und in seltsamen Verzerrungen spiegelte.Lefuet fragte jetzt geradezu: „Willst du den Spruch lernen, mitdem Doktor Faustus seinen Teufel beschwor?“„Nein“, sagte Timm, ohne den Kopf zu wenden. Er sah durch dieflirrenden Glastropfen des Kronleuchters eine vervielfachteGrimasse des Barons zucken, und dann hörte er wieder dessenStimme.„Soll ich die Beschwörung wenigstens sprechen?“ fragte Lefuetmit merklich unterdrücktem Ärger.„Meinetwegen, Baron!“ Man hörte Timms Stimme an, daß diesalles ihm gleichgültig war.
Immerhin wurde seine Neugierde einkleines bißchen wach, als er die winzigkleinen Lefuets in dengeschliffenen Gläsern ihre spindeldürren Ärmchen beschwörenderheben sah.Lefuet sprach jetzt sehr langsam und mit merkwürdig hohlerStimme die Worte:„Bagabi laca bachabeLamac cahi achababeKarrelyosLamac lamec BachlyasCabahagy sabalyos…“Als der Baron mit der Beschwörung so weit gekommen war, fingder Kronleuchter leicht zu schwanken an – wahrscheinlich eineFolge von Lefuets heftigen Armbewegungen – und eine aufgestörteungewöhnlich große Spinne seilte sich aus der Mitte desKronleuchters an ihrem Faden nach unten.Timm, der sich vor Spinnen ekelte und den die geheimnisvolleFormel überdies in gereizte Stimmung versetzt hatte, faßte denSeidenpantoffel, mit dem seine herunterhängende Hand gespielthatte, und schleuderte ihn wütend gegen die Spinne.Gerade fuhr der Baron fort: „Baryolas Lagoz atha cabyolas…“Da knirschte es an der Decke, und dann krachte, schepperte,klirrte zu Füßen der Chaiselongue der gewaltige Kronleuchter mitseiner Last gläserner Tropfen zu Boden.Timm hatte erschrocken die Beine angezogen.
Der Baron standmit offenem Mund und immer noch erhobenen Armen hinter derLehne des Elfenbeinsessels und hatte eine Beule auf der Stirn.Scheinbar war ihm ein Stück Kronleuchter an den Kopf geflogen.Es war jetzt unwahrscheinlich still im Salon. Aber derohrenbetäubende Lärm mußte im Hotel gehört worden sein; dennjemand klopfte energisch an die Tür.Da endlich ließ der Baron die Arme sinken. Er ging leichtvornübergebeugt, als sei er sehr erschöpft, an die Tür, öffnete sie umeinen Spalt und sagte ein paar Worte auf italienisch, die Timm nichtverstand.
Dann drückte er die Tür wieder zu, lehnte sich von innengegen sie und sagte: „Es ist sinnlos. Gegen die Unschuld ist keinKraut gewachsen.“Der Junge auf der Chaiselongue, der diese Bemerkung ebensowenig verstand wie die unverständliche Beschwörungsformel, erhobsich jetzt und fragte: „Was ist sinnlos?“„DasMittelalter!“erwidertederBaronscheinbarzusammenhanglos, und Timm war so schlau wie zuvor. Er fragtedeshalb nicht weiter, sondern sagte: „Ich bitte um Entschuldigungwegen des Kronleuchters.
Ich wollte nur eine Spinne treffen.“„Die kleine Nebensache bezahlen wir mit der Hotelrechnung“,murmelte der Baron.„Wieso wir?“ sagte der Junge. Ihm fiel mit einem Male seinungeheurer Reichtum ein. Deshalb fügte er hinzu: „DenKronleuchter bezahle ich, Baron!“„Das ist nicht gut möglich“, sagte Lefuet. (Plötzlich kam wiederder belustigte Zug in seine Mundwinkel.) „Da du noch nicht mündigbist, mein Lieber, darfst du keine Mark ausgeben ohne dieZustimmung deines Vormunds, des Barons Leo Lefuet.“ Grinsendverbeugte er sich. „Aber natürlich erhältst du Taschengeld!“Timm in seiner Schifferkluft verbeugte sich ebenfalls und sagte:„Auch Sie haben außerordentlich kluge Einfälle, Baron. ErlaubenSie, daß ich mich jetzt umkleide. Ich wünsche allein zu sein.“Lefuet starrte den Jungen zuerst sprachlos an.
Dann lachte erhellauf. Immer noch lachend, rief er: „In Ihnen steckt mehr, als ichvermutet habe, Timm Thaler. Meine Hochachtung!“Jetzt erst bemerkte er, daß Timm unter dem Lachen bleichgeworden war.Das heitere Kullern, mit dem er andere Leute wie mit einemLasso an sich zog, verfing bei diesem Jungen nicht; es konnte beiihm nicht verfangen. Es war ja sein eigenes, Timms Lachen.Lefuet drehte sich rasch zur Tür um. Aber bevor er ging, wischteer mit dem Ärmel seiner Jacke über die blankpolierte Platte einesSchreibtischchens unmittelbar neben dem Eingang und schob miteinem Seitenblick auf Timm eine lederne Schreibmappe in die Mitteder Platte.Dann erst öffnete er die Tür und sagte dabei über die Schulter:„Stets zu Ihren Diensten, Herr Thaler.