kruess_james_timm_thaler_oder_das_verkau fte_lachen(1) (857789), страница 15
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Timm verkroch sich förmlich in diese Vorstellung einer Weltvoll Sonne und Freundlichkeit. Daß ihm hierbei vom blauen Himmelherab die Sonne ins Gesicht brannte, machte die Träume nur nochfaßbarer und wahrscheinlicher.Durch das Bordmikrophon kam mit scheppernder Stimme eineDurchsage, auf die Timm nicht achtete. Er träumte.Nach kurzer Zeit wurde die Durchsage wiederholt. Bei derNennung seines Namens horchte Timm auf und bekam so denSchluß der Durchsage noch mit:„… Thaler sofort zum Kapitän ins Steuerhaus!“Wie Seifenblasen zerplatzten die Träume.
Plötzlich erschien ihmdie Sonne beinahe düster in ihrer heißen Heftigkeit. Der Kapitänhatte sich in seiner mürrischen Gleichgültigkeit noch nie um Timmgekümmert. Es mußte also ein außergewöhnlicher Anlaß sein, derihn nach dem Jungen rufen ließ.Timm hinter der Ankerwinde erhob sich, tappte über das Deckund stieg zum drittenmal an diesem Morgen über die Eisensprossenzum Bootsdeck hinauf.
Die Hände, mit denen er das Eisengeländerumfaßte, waren schweißnaß.Im Steuerhaus sah ihn der Kapitän merkwürdig und gar nichtgleichgültig wie sonst an. Der Steuermann stierte geradeaus undwandte nicht einmal den Kopf zur Seite.„Du heißt…“ Der Kapitän unterbrach sich räuspernd und fingnoch einmal an: „Sie heißen Timm Thaler?“„Ja, Herr Kapitän!“„Sie sind geboren am… in…“Von einem Blatt in seiner Hand las der Kapitän die Lebensdatendes Jungen ab, und Timm bestätigte jedes Datum mit einem: „Ja,Herr Kapitän.“ Dabei trat ihm vor gespannter Erwartung Wasser indie Augen.Als das kurze Verhör zu Ende war, ließ der Kapitän das Blattsinken, und eine merkwürdige Stille trat ein.
Auf dem Fußbodenzitterten Sonnenkringel, und Timm betrachtete den breiten Nackendes Steuermanns, der immer noch unverwandt geradeaus starrte.„Dann darf ich Sie wohl als erster beglückwünschen“, unterbrachder Kapitän die Stille.„Wozu, Herr Kapitän?“ Timm hatte eine ganz dünne piepsigeStimme.„Hierzu!“ Der Kapitän deutete mit einer Kopfbewegung auf dasPapier in seiner Hand. Gleichzeitig fragte er: „Sind Sie verwandt mitdem Baron Lefuet?“„Nein, Herr Kapitän.“„Aber Sie kennen ihn persönlich?“„Ja, das schon…“„Also dann lese ich Ihnen den Funkspruch vor:baron lefuet verstorben stop mitteilt timm thaler dass er zumalleinerben eingesetzt stop zwillingsbruder des verstorbenen neuerbaron lefuet übernimmt Vormundschaft bis zur Volljährigkeit stopphoenix reederei der lefuet ag genua gezeichnet grandizzi direktor.“Timm starrte immer noch steinernen Gesichts auf den Nacken desSteuermanns.
Die unmöglichste Wette der Welt war gewonnen. Füreine einzige Flasche Rum. Er, ein vierzehnjähriger Junge, war indiesem Augenblick zum reichsten Menschen der Erde geworden.Aber sein Lachen war mit dem Baron gestorben und würde mit ihmbegraben werden. Der reichste Mensch der Welt war der ärmsteunter den Menschen. Er hatte für immer sein Lachen verloren.Der Nacken des Steuermannes bewegte sich. Ganz langsamdrehte Jonny den Kopf herum.
Fremde, erstaunte Augen sahen Timman. Aber der Junge sah sie nur für einen kurzen bangen Moment.Gerade noch rechtzeitig fingen Jonnys Arme den bewußtlosen Timmauf.Fünfzehnter BogenVerwirrung in GenuaZwei freundliche blaue Augen in einem unrasierten starkknochigenGesicht sahen auf Timm nieder.„Hörst du mich?“ fragte eine leise Stimme.„Ja, Steuermann“, flüsterte Timm.Eine Hand hob seinen Kopf ein wenig an, und langsam undvorsichtig wurde ihm Wasser in den Mund geträufelt.
Dabei fragtedie Stimme an seinem Ohr: „Wieso habe ich in Genua fliegendeStraßenbahnen gesehen? Wieso ist der Baron so pünktlichgestorben? Wieso freust du dich über verlorene Wetten und wirstohnmächtig, wenn du sie gewinnst?“In Timms zögernd wachwerdendem Gedächtnis rumorte daswiederholte „Wieso“ des Steuermanns herum und stöberte Timmsalte eigene „Wiesos“ auf. Eine grenzenlose Verwirrung ließ ihn fastwieder in die Ohnmacht zurückgleiten.Da näherten sich Stimmen und Schritte, und kurz darauf trat derKapitän mit einem fremden Herrn ins Steuerhaus.Timm auf der Polsterbank nahm von dem Fremden zunächst nurdas riesige blütenweiße Spitzentaschentuch wahr, das aus derBrusttasche des dunklen Jacketts herausquoll.
Und dann reich, er denFremden. Es war ein Duft nach Nelken, der den Jungen förmlichüberschwemmte, als der Herr nähertrat und sich vorstellte.„Direttore Grandizzi. Ik schätzen mik särrr glicklik, als die ersteIhnen zu dirfen gratulieren in Name von ganze Gesellschaft, signore!Ik bedaure, daß Sie sind nikt gäsund, aber kann verstehen kleineSchock…“ Er spreizte die Hände und legte den Kopf schief: „Ah, soreik in eine kurze Augenblicke, das ist veramente nikt leikt, aber…“Was Direktor Grandizzi weiter sagte, verstand Timm nicht.
DasZuhören strengte ihn zu sehr an. Nur den letzten Satz verstand er,weil der Direktor sich dabei über ihn beugte: „Jetzt ik werde Siebringen in Barkasse, signore!“Aber da trat Jonny in Aktion. „Überlassen Sie mir den Jungen“,knurrte er. „Ich werde ihn in die Barkasse tragen. Herr Kapitän,übernehmen Sie solange das Steuer!“Obwohl das Schiff im Augenblick vor Anker lag, war dieVerwirrung so allgemein, daß der Kapitän sich stumm und gehorsamans Steuer stellte.Längsseits des Dampfers lag eine Barkasse der Reederei, die denErben abholen sollte. Jonny turnte mit Timm auf dem Arm überLeitern und Treppen, als ob er ein Bündelchen Wäsche trüge.Direktor Grandizzi umsprang ihn dabei mit wehendem duftendemSpitzentaschentuch wie ein Pudel seinen Herrn.Übrigens sah Timm jetzt, daß der Direktor einen fast kahlen Kopfhatte.
Nur zwei schwarze Haarsträhnen an den Seiten waren zueinem spitzen Dreieck nach vorn in die Stirn gekämmt. Sie gabendem runden Gesicht eine Spur von Gefährlichkeit undMaskenhaftigkeit.In der Barkasse setzte der Steuermann den Jungen in die mitKissen gepolsterte, heckwärts gelegene Ecke der umlaufenden Bank.Dabei flüsterte er ihm zu: „Du kriegst noch zwei Flaschen Rum vonmir. Für die Wetten. Komm um acht Uhr zum Denkmal vonChristoph Columbus. Aber allein. Und wenn du Hilfe brauchst,komm erst recht, verstanden?“Timm nickte nicht.
Er sagte nur leise „hm“, denn er hatteinzwischen gelernt, vorsichtig zu sein.„Also dann viel Glück, mein Junge!“ dröhnte Jonny für die Ohrendes Direktors. Dann gab er dem Jungen zum Abschied seine Prankeund kletterte wieder hinauf auf sein Schiff.Als die Barkasse vom Dampfer ablegte, duftete es wieder nachNelken. Direktor Grandizzi hatte sich neben Timm gesetzt. Zweifeierlich gekleideten Herren, die bugwärts saßen, gab er durchHandzeichen zu verstehen, daß sie leise sein möchten.
Die beidennickten verständnisvoll, flüsterten miteinander und sahen dabei denJungen mit unverhohlener Neugierde an.„Signore, ik werde Sie bringen in Ihre Hotel“, sagte jetzt halblautder Direktor. „Dort Sie werden ruhen für eine Stunde, und dann dieReederei erwartet Sie zu eine kleine Empfang. Ist das gut?“Timm, der eben noch der Moses eines mittelgroßen FrachtPassagier-Schiffes gewesen war, fand sich nun in der Rolle desumdienerten reichen Erben wieder.
Aber da er sich auf der Jagd nachseinem Lachen schon in mancher Verstellung geübt hatte, blieb ergelassen. Was ihn erregte, war etwas ganz anderes: daß seine Jagdkein Ziel mehr hatte, daß sein Lachen gestorben war.Er nickte zu allem, was Direktor Grandizzi ihm vorschlug.
Nureinmal, als der Direktor von einer Pressekonferenz um acht Uhrredete, schüttelte Timm den Kopf.„Ah, sie lieben Presse nikt, signore? Aber Zeitunge sind nitzlich,signore, sehr viel nitzlich!“„Ich weiß“, antwortete Timm. In der leicht sckwankendenBarkasse fühlte er sich jetzt wieder etwas kräftiger.„Wenn Sie sehen ein die Nitzlichkeit von Zeitungen warum Siewollen dann keine Konferenze?“ bohrte Direktor Grandizzi.„Weil…“ Timm dachte fieberhaft über eine Ausrede nach.Endlich sagte er: „Weil das alles noch so neu für mich ist. Kanndiese Konferenz nicht morgen sein?“„Gewiß, signore. Aber heute abend…“„Heute abend will ich mir allein die Stadt ansehen“, fuhr ihmTimm ins Wort.
Das Dienern des Direktors verleitete förmlich dazu,den Herrn anzufahren. Aber Grandizzi ließ sich dadurch keineswegsbeirren.„No, no, signore, niikt allein“, wehrte er ab. „Eine Detektive wirdSie jetzt immersu begleiten, weil Sie sind dok so reik, wissen Sie!“„Ich will aber allein durch die Stadt bummeln!“ rief Timm.Die feierlichen Herren am Bug sahen ihn bestürzt an. Einerbalancierte in der schwankenden Barkasse auf ihn zu und fragte:„Kann ich behilflich sein? Übrigens: Pampini mein Name,Chefdolmetscher des Werkes.“ Offensichtlieh hatte er dieGelegenheit nur benutzt, um sich dem reichen Erben vorzustellen.Aber als er dem Jungen die Hand geben wollte, bog die Barkassegerade scharf nach rechts ein.
Er fiel Timm auf den Schoß, rappeltesich mit hundert Entschuldigungen wieder auf, fiel aber bei einerneuerliehen Kurve Direktor Grandizzi in den Schoß.Der Direktor brüllte mit rotem Kopf zuerst den Dolmetscher unddann den Steuermann der Barkasse an. Den einen nannte er einenTolpatsch, den anderen einen Esel. Dann fiel ihm ein, daß derSteuermann kein Deutsch verstand, und er wiederholte den Fluchitalienisch, wobei er mindestens fünfmal so lang wurde.Der Dolmetscher zog sich geduckt zur Bankecke am Bug zurück.Gleich darauf legte die Barkasse an den Stufen einer Mole an.Ein Chauffeur in blauem Anzug stand bereits da, die blaue Mützeehrerbietig in der Hand. Von ihm sanft gezogen und vom Direktormehr symbolisch als praktisch gestützt, verließ Timm als erster dieBarkasse. Man behandelte ihn, als sei er ein sehr alter kranker Herr.Oben auf der Mole verdeckte eine Reihe dunkel gekleideterHerren ihm die Sicht auf die Stadt Genua.
Direktor Grandizzi stelltesie ihm der Reihe nach vor. Sie hatten alle Namen, die auf izzi oderozzi endeten und die Timm sofort wieder vergaß.Das Merkwürdigste an allem war, daß das feierliche Murmelnund Vorstellen einem vierzehnjährigen Jungen galt, der die schwarzweiß karierte, an den Knien ausgebeulte Hose der Köche und denetwas zu großen Rollkragenpullover Jonnys trug. Es war,genaugenommen, ein Bild zum Schief-und-Krumm-Lachen. Aberalles blieb todernst. Und vielleicht war das gut für den armen Timm.Auch das Folgende ging mit Ernst und gezirkelter Würde vorsich: Ein schwarzes Auto mit sechs Türen fuhr vor, der Chauffeur rißerst für Timm und dann für Direktor Grandizzi die Türen auf, mansetzte sich in die roten Lederpolster, der Wagen fuhr an, und dieganze Reihe wohlgekleideter Herren hob die rechte Hand und winkteihnen gemessen nach.Erst während der Fahrt fiel Timm der Seesack des Herrn Rickertein, den er mit all seinen Sachen auf dem Dampfer vergessen hatte.Als er dem Direktor davon erzählte, lächelte Grandizzi: „Natiirlikwir kennen holen die private Sache von der Dampfer, signore.
Aberdie Herr Baron haben bereits für einer eleganten Garderobe gesorkt.“„Der Baron?“ fragte Timm verdutzt.„Die neue Herr Baron, signore!“„Ach so!“ Timm lehnte sich ins Polster zurück und sah durch dasFenster zum erstenmal ein Stück von Genua: ein Marmorportal undein Messingschild, auf dem „Hotel Palmarostand. Dann glitt derFächer einer brusthohen Palme vorbei, dann eine rundeBlumenrabatte mit einem Lavendel“ Strauch in der Mitte. Und dannhielt der Wagen sehr sanft. Der Schlag wurde aufgerissen, und einuniformierter Portier mit Goldschnüren nahm Timms Arm undkomplimentierte ihn wieder so behutsam ins Freie wie einen altenMann.Timm stand vor einer Freitreppe aus Marmor, von deren obersterStufe jemand „willkommen“ rief.