kruess_james_timm_thaler_oder_das_verkau fte_lachen(1) (857789), страница 14
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Und erentschloß sich, dem Baron alles zuzutrauen und ihn, soweit er esvermochte, nie mehr zu fürchten. Denn zum Glück hatte Timm denBaron auch schwach gesehen.Der Junge legte sich nun schweigend auf die Polsterbank, die hinund her und auf und ab schwankte, weil die Bewegungen desSchiffes hier oben noch heftiger waren als unten in der Kajüte.Die durcheinanderlaufenden Gedanken und ein merkwürdigesGefühl im Magen ließen Timm nicht wieder einschlafen. So lag erStunde um Stunde wach, während Jonny ruhig am Steuerruder standund manchmal eine Zigarette rauchte. Darüber ließ der Sturm sehrallmählich nach.Timm brütete in diesen Stunden über einer außergewöhnlichenWette.
Sie sollte so ungeheuerlich sein, daß er sie unbedingtverlieren mußte. Der Baron hatte mit Timms Angst gespielt – nunsollte er selber Angst bekommen. Aber so sehr der Junge auchgrübelte: Keine Wette schien den teuflischen Fähigkeiten des Baronsgewachsen zu sein. Gesetzt, er wettete, daß eine Haselnuß größer seials eine Kokosnuß: Wer würde auf eine so blödsinnige Wetteeingehen? Und wer weiß, vielleicht würde Lefuet einen Landstrichaufstöbern, in dem die Haselnüsse tatsächlich größer wären als dieKokosnüsse.
Timm verwarf die Wette wieder wie viele andere indieser Nacht. Das Erlebnis mit Herrn Rickert in der Straßenbahn fieldem Jungen immer wieder zur rechten Zeit ein.Aber wie wär’s, dachte er plötzlich, wenn man keine zerrisseneOberleitung vorschieben kann? Wie, wenn so ein handfestes,eisernes Möbel wie die Straßenbahn plötzlich die Schienen verlassenund fliegen muß? Eine Straßenbahn ist keine Lerche. Und einZauberer, trotz all seiner unheimlichen Fähigkeiten, ist auch Lefuetnicht!Timm glaubte, die Achillesferse des Barons entdeckt zu haben.
Errichtete sich auf den Ellenbogen auf und rief: „Steuermann, wissenSie schon, daß es in Genua fliegende Straßenbahnen gibt?“„Leg dich hin und schlaf!“ sagte Jonny ohne besondereÜberraschung. „Du phantasierst schon wieder.“„Entschuldigen Sie, Steuermann, aber diesmal bin ich hellwach.Ich weiß ganz bestimmt, daß es in Genua fliegende Straßenbahnengibt. Ich wette mit Ihnen um eine Flasche Rum!“„Hokuspokus!“ sagte Jonny.
„Außerdem frag’ ich mich, wovondu eine Flasche Rum bezahlen willst.“„Ich hab’ eine in meinem Seesack!“ log Timm. „Also wetten wirnun oder nicht?“Jonny drehte sich um und sagte: „Und wenn du um eine Millionwetten würdest: Ich glaub’s trotzdem nicht. Dafür kenne ich zweiDinge viel zu gut: Genua und die Straßenbahnen!“„Dann können Sie ja beruhigt wetten. Eine Flasche Rum ist dochfür einen Steuermann ein Klacks!“„Gibst du mir dein Ehrenwort, daß du dich wieder hinlegst unddie Augen zumachst, wenn ich mit dir wette?“„Mein Ehrenwort!“ rief Timm.Da gab der Steuermann dem Jungen die Hand und sagte: „Wennes in Genua…“ Er stockte, weil etwas Hartes ans Fenster desSteuerhauses flog.
Es schien aber nichts von Bedeutung zu sein. Sowiederholte Jonny: „Wenn ich in Genua eine fliegende Straßenbahnsehe, habe ich die Wette verloren, und du kriegst eine Flasche Rum.Sehe ich keine, dann gehört die Flasche in deinem Seesack mir. So,und nun leg dich gefälligst wieder hin! In drei Stunden beginnt deinDienst.“Diesmal schlief Timm wirklich ein. Und im Traum hörte er sichselber lachen. Aber in das Gelächter schrillte das blecherne Bimmelneiner Straßenbahn, die über seinem Kopf durch den Himmel fuhr.Als der Steuermann ihn bei Anbruch des Tages weckte, hatte derJunge immer noch das Geläute in den Ohren, und das ängstigte ihn.Timm fürchtete sich vor Genua.Vierzehnter BogenDie unmögliche WetteTimm fürchtete sich vor Genua; aber zugleich sehnte er die Stadtherbei.Seine bange Ungeduld wurde auf eine harte Probe gestellt; dennes dauerte viele Tage, bis der Dampfer „Delphin“ endlich in denHafen von Genua einschwenkte.
Es war an einem strahlend blauenTag kurz vor Mittag. Timm war unter einem Vorwand in dasSteuerhaus getreten. Hier stand er nun neben Jonny, demSteuermann, und schaute hinüber zur Oberstadt von Genua. Er trugdie schwarz-weiß karierte Hose und die Schürze aus dickem grauemLeinen, die ihm der Koch Enrico zum Kartoffelschälen gegebenhatte. Die Häuser Genuas sah man schon deutlich.
Sogar Omnibusseund Autos konnte man in den Straßen der Oberstadt erkennen. Undmit jedem Augenblick wurde die Sicht klarer.Plötzlich gab Jonny einen überraschten Laut von sich, halb war’sein Glucksen, halb ein Brummen. Timm sah ihn verwundert an: DerSteuermann hatte die Augen zusammengekniffen. Jetzt öffnete er siewieder, aber nur, um sie gleich darauf abermals zu schließen und siedanach wieder weit aufzureißen.
Dann sagte Jonny ganz langsamund beinahe feierlich: „Ich werd’ verrückt!“Timm ahnte etwas. Er hatte einen sehr trockenen Hals. Aber erwagte nicht, den Blick wieder auf Genua zu richten. Er starrte weiterunverwandt den Steuermann an.Jonny sah ihn jetzt auch an und sagte kopfschüttelnd: „Du hattestrecht, Timm; es gibt in Genua fliegende Straßenbahnen. Die Wettehast du gewonnen.“Timm schluckte schwer.
Es hatte keinen Sinn mehr, die Augenvon dem Unvermeidlichen abzuwenden. Er drehte den Kopf undblickte hinüber zur Oberstadt. Dort schwebte in einer Straße, mittenzwischen den Häusern, eine Straßenbahn durch die Luft, einerichtige Straßenbahn. Es war deutlich zu erkennen.Aber mit einem Male erschien Pflaster unter der Straßenbahn,festes Straßenpflaster mit Schienen darin. Mit einem Male schwebtedie Straßenbahn nicht mehr, sondern rollte auf Schienen die Straßeentlang.„Es war nur eine Luftspiegelung“, rief Timm fast jubelnd. „Ichhabe die Wette verloren!“„Du tust, als freutest du dich über die verlorene Wette“, sagteJonny erstaunt, und Timm merkte, daß er einen Fehler gemachthatte.
Aber ehe er sich korrigieren konnte, fuhr Jonny fort: „Du hastdie Wette trotzdem gewonnen, Timm. Die Wette ging nämlichdarum, ob man in Genua fliegende Straßenbahnen sehen kann, undnicht darum, ob es sie wirklich gibt. Und gesehen habe ich sie, daranist kein Zweifel.“„Dann habe ich also doch gewonnen. Wie schön!“ sagte Timm.Und diesmal versuchte er, seiner Stimme einen freudigen Ton zugeben.
Aber die Stimme blieb heiser und ohne Spur vonFröhlichkeit. Es war nur gut, daß Jonny auf das Steuerruderachtgeben mußte.„Wie bist du nur auf diese verrückte Wette gekommen?“ fragte erüber die Schulter. „Hast du öfter solch merkwürdiges Wettglück?“„Ich habe noch nie eine Wette verloren“, antwortete Timmgleichgültig. „Ich gewinne jede.“Der Steuermann warf ihm einen kurzen Blick zu. „Spiel dichnicht auf, Junge! Es gibt Wetten, die kann man einfach nichtgewinnen.“„Zum Beispiel welche?“ fragte Timm gespannt. „Nennen Sie mireine solche Wette!“Wieder ein kurzer forschender Blick des Steuermanns. An demJungen war ihm irgend etwas nicht geheuer. Aber er war gewohnt,auf Fragen Antwort zu geben.
So schob er seine weiße Mütze in dieStirn und kratzte sich am Hinterkopf. Wieder flog etwas Hartes ansFenster. Jonny drehte den Kopf, sah aber nichts. Und plötzlich fielihm eine Antwort ein.„Ich wüßte eine Wette, die du unmöglich gewinnen kannst,Timm.“„Auf diese Wette gehe ich ein, ehe ich sie gehört habe,Steuermann. Wenn ich sie verliere, können Sie Ihre Flasche Rumbehalten!“„Du willst die Katze im Sack kaufen, Junge? Meinetwegen. Rumist Rum, und wenn du unbedingt verlieren willst: Bitte schön! Wettealso mit mir…“Der Steuermann unterbrach sich, sah den Jungen an und fragte:„Du schließt diese Wette bestimmt mit mir ab? Ich frage nur wegender Flasche Rum.“„Ich gehe auf diese Wette ein!“ sagte Timm so bestimmt, daßJonny beruhigt war.„Also dann wette mit mir, daß du noch heute abend reicher seinwirst als der reichste Mann der Welt.“„Reicher als Lefuet also?“ fragte Timm fast atemlos.„Genau das!“Da streckte der Junge die Rechte schneller vor, als Jonny erwartethatte. Dies war die unmögliche Wette.
Die Wette, die er verlierenmußte. Mit lauter Stimme sagte Timm: „Ich wette mit Ihnen um eineFlasche Rum, daß ich noch heute abend reicher sein werde als derBaron Lefuet.“„Junge, du bist plemplem“, sagte Jonny und ließ Timms Hand los.„Aber ich habe wenigstens meine Flasche Rum zurück.“In diesem Augenblick kam der Kapitän ins Steuerhaus.„Was macht denn der Moses hier?“ fragte er mürrisch.„Er soll mir eine Tasse Kaffee bringen, Käptn!“ sagte Jonny.„Dann soll er sich gefälligst tummeln!“ Timm mußtehinunterspringen in die Kombüse. Er hätte dabei singen mögen.
Aberwer nicht lachen kann, kann auch nicht singen.Als er die Kaffeetasse, die nur an zwei Stellen ein bißchenübergeschwappt war, in das Steuerhaus brachte, stand der Kapitänimmer noch dort. Jonny kniff hinter dem Rücken des Alten grinsendein Auge zu. Timm tat das gleiche, aber mit ernster Miene. Dannsprang er hinunter aufs Oberdeck. Am liebsten hätte er laut gelacht.Aber sein Mund formte nur die Grimasse des Lachens. Keinmunterer Gluckser kam aus dem Bauch herauf.Eine kleine ältere Holländerin, die dem Jungen auf Deckentgegenkam, war erschrocken über den wilden Ausdruck seinesGesichts.
Sie sagte später zu ihrer Kabinennachbarin: „In diesemKnaben steckt der Teufel. Schließen Sie nachts Ihre Kabinentür zu.“Timm verkroch sich in seiner Aufregung hinter der Ankerwindeam Heck, hockte sich auf einen Haufen eingerollter Taue und warentschlossen, hier bis zur Ankunft in Genua sitzen zu bleiben. Erhatte gehört, daß es in Genua ein berühmtes Marionettentheatergäbe. Dorthin wollte er gehen, um zwischen lachenden Leuten einlachender Junge zu sein. Noch schöner aber war die Vorstellung, inden Straßen spazierenzugehen und irgendeinem netten unbekanntenMenschen zuzulächeln, einem kleinen Mädchen oder einer altenFrau.