kruess_james_timm_thaler_oder_das_verkau fte_lachen(1) (857789), страница 11
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Und man erkennt den Menschen stets daran, daß er zur rechtenStunde lachen kann… lachen kann… lachen…“Da ging der Vorhang wieder auf, und eine sehr blasse, sehr ernstePrinzessin, die aus einem Schloßfenster heraussah, zog die Augenund nach und nach auch die Gedanken Timms auf sich.Im Schloßgarten unter dem Fenster erschien jetzt der königlicheVater der Prinzessin. Als seine Tochter ihn sah, zog sie sich raschund leise vom Fenster zurück.Seine Majestät, der König, ließ sich auf dem Rand einesSpringbrunnens nieder und klagte dem Wasser und den Blumen seinLeid: daß er alle denkbaren Spaße und Spaßmacher bemüht habe, umseine Tochter zum Lachen zu bringen, aber leider, leider ohneErfolg.Seufzend erhob der König sich wieder, und die Kinder im Saalwaren jetzt mucksmäuschenstill.Seine Majestät wanderte im Schloßgarten auf und ab, jammerteüber sich und über seine Tochter und blieb plötzlich stehen und rief:„Wenn doch jemand sie zum Lachen brächte! Ich gäbe ihm auf derStelle die Prinzessin zur Frau und das halbe Königreich dazu!“In diesem Augenblick bog der Vagabund mit dem fremdentraurigen König gerade in den Schloßgarten ein.
Er hatte denverzweifelten Ausruf des königlichen Vaters gehört und rief ohneUmschweife: „Majestät, ich nehme Euch beim Wort! Wenn ich diePrinzessin zum Lachen bringe, bekomme ich sie zur Frau! Das halbeKönigreich könnt ihr behalten; denn dieser Herr, der mich begleitet,wird mir sein ganzes geben.“Der König sah die beiden Wanderer, die ihm unfreiwilligzugehört hatten, verwundert an.
Der blasse fremde König gefiel ihmbesser als der rotwangige gesunde Vagabund. (Könige haben insolchen Dingen einen eigenen Geschmack.) Trotzdem hielt er sich ansein Wort und sagte: „Wenn es dir gelingt, Fremder, die Prinzessinzum Lachen zu bringen, wirst du ein Prinz und ihr Gemahl!“Das genügte dem Vagabunden. Er sprang davon und ließ diebeiden Könige allein unter sich zurück.Dann fiel der Vorhang, und eine kurze Pause trat ein. Für diekleinen Zuschauer wurde es jetzt spannend. Würde die Prinzessinlachen?Timm Thaler hoffte insgeheim, daß sie ernst bleiben würde.
Siewar ihm unter dem kurzen Spiel zu einer Schwester geworden, mitder er Hand in Hand einer lachenden Welt hätte Trotz bieten mögen.Aber Timm wußte zu gut, wie die meisten Märchen enden. Erwartete mit Beklemmung auf den Augenblick, da die Prinzessinlachen würde.Und leider brauchte Timm nicht lange zu warten. Als derVorhang aufging, lehnte die Prinzessin wieder am Fenster, und diebeiden Könige saßen auf dem Springbrunnenrand. Hinter der Bühnewar Gesang und Gelächter zu hören, und plötzlich bog der Vagabundin den Schloßgarten ein.
Er führte an einem goldenen Halsbandeinen Schwan mit sich. Ein dicker Mann hielt die rechte Hand aneine Schwanzfeder des Schwans, als sei sie daran festgeklebt. Mitder linken Hand zog er ein dünnes Männlein hinter sich her, und daszog wiederum eine alte Frau mit sich und die Frau einen Buben undder Bub ein Mädchen und das Mädchen einen Hund. Und alleschienen wie von Zaubergewalt aneinandergekettet zu sein. Auchsprangen und hüpften sie, wie von unsichtbaren Federn bewegt, aufund ab und hin und her. Und sie lachten, daß der Schloßgarten davonwiderhallte.Die Prinzessin beugte sich jetzt weit aus dem Fenster vor, umbesser sehen zu können. Sie machte große Augen, aber sie bliebernst.„Lache nicht, kleine Schwester!“ bat Timm sie insgeheim.
„Laßuns beide ernst bleiben, wenn alle Welt lacht!“Aber Timm bat umsonst. Der traurige fremde König war soungeschickt, den Hund am Ende des Zuges zu streicheln, undplötzlich schien er am Hundeschwanz mit der Hand haften zubleiben. Er erschrak und ergriff mit der freien Hand die Rechte desanderen Königs, des Vaters der Prinzessin. Nun klebten auch diebeiden Könige fest und bildeten das Ende des seltsamen Aufzuges.Man merkte ihren zuckenden Bewegungen an, daß sie sich gernwieder von diesem unbegreiflichen Zauber gelöst hätten. Aber esgelang ihnen nicht. Sie mußten sich in ihre absonderliche Lageschicken, und fast schien es, als fänden sie sogar Spaß daran.Ihre Beine versuchten sich ungeschickt im Tanz, ihreMundwinkel zuckten, und mit einem Male fingen sie täppisch undkomisch zu hüpfen und dann prustend zu lachen an.In diesem Augenblick klang vom Fenster herunter das Lachen derPrinzessin.
Musik setzte ein. Alles tanzte und hüpfte und lachte, undauch die Kinder im Saal lachten mit und trampelten vor Vergnügen.Der arme Timm saß wie ein Stein in einem Meer von Lachen. Diealte Frau Rickert neben ihm lachte so sehr, daß sie das Gesicht in dieHände nehmen und sich nach vorn überbeugen mußte, weil ihr vorLachen die Tränen aus den Augen kullerten.In diesem Augenblick bemerkte Timm zum erstenmal, wieähnlich sich die Gebärden des Lachens und des Weinens sind. Under tat etwas Schreckliches: Er nahm sein Gesicht in die Hände,beugte sich vornüber und tat, als lache er auch.Und dabei weinte Timm. Er murmelte zwischen den Tränen:„Schwester Prinzessin, warum hast du gelacht? Warum, warum hastdu gelacht?“Als der Vorhang fiel und das Licht anging, nestelte die alte FrauRickert ein Spitzentaschentuch aus ihrer Handtasche, tupfte sich dasWasser aus den Augen, gab dann das Taschentuch dem Jungen undsagte: „Da, Timm, wisch dir auch die Lachträn’ ab.
Hab’ ich jagewußt, daß du bei so einer Vors-tellung lachen würdest!“ Und diealte Frau sah ihren Sohn, den Herrn Rickert, triumphierend an.„Ja, Mutter“, sagte Herr Rickert höflich. „Das war wirklich einguter Einfall von dir.“ Aber sein Gesicht war traurig, als er das sagte.Er wußte, daß der Junge die alte Frau aus Gutmütigkeit undVerzweiflung getäuscht hatte.
Und Timm sah, daß Herr Rickert ihndurchschaut hatte.Zum erstenmal seit jenem verhängnisvollen Tag auf demRennplatz stieg in dem Jungen eine ohnmächtige Wut gegen denBaron Lefuet auf. Er verbiß sich geradezu in diese Wut und warfester als je entschlossen, sein Lachen zurückzugewinnen – koste es,was es wolle!ZWEITES BUCHVerwirrungenTeach me laughter,save my soul!Lehre mich lachen,rette meine Seele!Englisches SprichwortElfter BogenDer unheimliche BaronZu Timms Erleichterung ging das Schiff am folgenden Tag nachGenua ab. Die alte Frau Rickert winkte ihm von den Stufen derweißen Villa nach, und Timm winkte zurück, solange er sie sehenkonnte.Der Reedereidirektor brachte den Jungen selbst aufs Schiff.
Erhatte ihm Kleidung und Schuhe, eine Armbanduhr und einennagelneuen Seesack gekauft. Als er Timm auf der Mole die Handgab, sagte er: „Halt die Ohren steif, Junge! Wenn du in drei Wochenzurückkommst, sieht die Welt ganz anders aus. Dann wirst du gewißauch wieder lachen. Abgemacht?“Timm zögerte. Dann sagte er schnell: „Wenn ich zu Ihnenzurückkomme, Herr Rickert, werde ich wieder lachen. Abgemacht!“Er stammelte noch ein Dankeschön, weil ihm die Kehle wiezugeschnürt war, und hastete dann über die Laufplanke an Deck.Der Kapitän des Schiffes war ein mürrischer Mann, der gern trankund im übrigen fünf gerade sein ließ.
Er sah Timm kaum an, als derJunge sich vorstellte, und brummte: „Wende dich an den Steward. Erist auch ein neuer Mann, und ihr habt zusammen eine Kabine.“Timm, der zum erstenmal in seinem Leben ein Schiff betretenhatte, irrte ratlos über eiserne Treppen, durch enge Gänge und überdas Vorderund Achterdeck, um den Steward zu suchen. DieMannschaft des Dampfers trug keine Matrosenuniform. Sieunterschied sich von den zahlenden Fahrgästen nur durch dieArbeitskleidung. So wußte der Junge nicht recht, an wen er sichwenden sollte. Er irrte weiter und trat auf dem Mitteldeck durch eineoffene Tür schließlich in eine Art Aufenthaltsraum ein, in dessenMitte eine teppichbelegte Treppe mit geschwungenem,lackglänzendem Geländer nach unten in den Bauch des Schiffesführte.
Der Geruch gebratener Fische stieg von dort herauf, undTimm vermutete, daß hier in der Tiefe wohl sein künftigerArbeitsplatz sei.Am Fuß der Treppe lag gleich zur Rechten die Kombüse, aus derdie Speisegerüche drangen. Geradeaus hinter einer geöffnetenFlügeltür war der geräumige Speisesalon mit den Tischen undStühlen, die am Boden festgeschraubt waren.Ein Mann in einer weißen Jacke deckte gerade die Tische. SeineGestalt und der Rundkopf mit dem krausen braunen Haar kamenTimm bekannt vor, ohne daß er zu sagen wußte, wer dieser Mannwar.Als der Junge in den Salon eintrat, drehte der Mann in der weißenJacke sich um und sagte ohne jede Überraschung: „Da bist du ja!“Timm aber war überrascht.
Diesen Mann kannte er. Sogar denNamen wußte er merkwürdigerweise noch. Er hieß Kreschimir. Eswar der Mann, der ihm auf dem Rennplatz so peinliche Fragengestellt, dann aber hinzugefügt hatte: „Vielleicht kann ich dir einmalhelfen!“ Es war der Mann, dessen stechende wasserblaue Augen anLefuet erinnerten, an den Baron, den Timm suchte.Herr Kreschimir ließ Timm nicht zum Nachdenken kommen. Erführte den Jungen in ihre gemeinsame Kabine, wo er Timms Seesackaufs Bett warf und ihm dann eine karierte Hose und eine weiße Jackegab, wie er selbst sie trug.Die neue Kluft stand dem Jungen nicht übel.