kruess_james_timm_thaler_oder_das_verkau fte_lachen(1) (857789), страница 7
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„Es müssen zweitausend Mark sein.“„Haste nachgezählt, Timm? Meinstedasses stimmt?“„Wird schon stimmen“, erwiderte der Junge.„Papperlappapp! Gibherund laßmich nachzählen!“ Sie riß ihremStiefsohn das Geld fast aus der Hand, zählte die Banknoten,verzählte sich, zählte abermals nach und sagte endlich: „Es stimmt!Es sind zweitausend Mark!“Dann sagte plötzlich niemand mehr etwas. Die Stiefmutter starrteauf das Bündel Banknoten in ihrer Hand, Erwin stand mit offenemMunde da, und Timm machte sein gewohnliches ernstes Gesicht.Endlich brach die Stiefmutter das Schweigen.„Was fangenwir bloßmit alldem vielengeldan?“„Ich weiß nicht“, sagte Timm.
„Es ist dein Geld!“Da fing die Stiefmutter plötzlich zu weinen an; man wußte nicht,war es Freude, Überraschung, Rührung oder alles das zusammen. Sieküßte abwechselnd die beiden Jungen, wischte sich die Augen miteinem Taschentuch und sagte dann: „Kommt, Kinder! Das müssenwir feiern!“Und wieder einmal saß Timm unter dem Kastanienbaum desGasthausgartens, unter dem er mit dem Vater, mit den Gaunern undzuletzt mit dem karierten Herrn gesessen hatte.Die Stiefmutter war munter und geschwätzig: „Habichja geahnt,daß Timm aus einem ganz besonderengrund auffortunagesetzt hat!Bist doch ein Schlaumeier!“ Und sie zwickte ihn ins Ohrläppchen.Dann ließ sie Kuchen und Limonade kommen.
Aber keinenBienenstich.Erwin redete von elektrischen Eisenbahnen und braunen Schuhenmit Gummisohlen. Nur Timm saß stumm wie ein Fisch dabei, einJunge, der nicht mehr lachen konnte.Siebenter BogenDer arme ReicheTimm mußte nun an allen Sonntagen mit der Stiefmutter und Erwinzu den Pferderennen gehen und wetten. Er tat es nicht gern.Manchmal stellte er sich krank. Manchmal stahl er sich amSonntagmorgen aus dem Haus und ließ sich erst am Abend wiederblicken. Dann gingen die Stiefmutter und Erwin allein zurRennbahn. Aber die beiden hatten kein Glück. Bestenfalls gewannensie ein paar Mark.So mußte Timm immer wieder mit ihnen gehen und immergrößere Summen wetten.
Er war auf dem Rennplatz bald so bekanntwie ein bunter Hund, und sein Wettglück wurde sprichwörtlich. Vonglücklichen Gewinnern sagte man: „Er hat Glück wie Timm!“Der Junge wußte es im übrigen so geschickt einzurichten, daß ereinmal mehr und einmal weniger gewann. Setzte er zum Beispiel aufein Pferd, auf das sehr viele Leute gesetzt hatten, so war der Gewinnnicht sehr hoch.
Wettete er dagegen auf einen Außenseiter, auf denfast niemand gesetzt hatte, dann gewann er ungewöhnlich viel.Die Stiefmutter, die anfangs erklärt hatte, daß alles Geld Timmgehöre und daß sie es nur für ihn verwalte, sprach bald nur noch von„unseren Gewinnen“ und von „unserem Geld“ und „unseremKonto“. Timm bekam nie mehr als ein kleines Taschengeld.Immerhin sparte der Junge sich so viel zusammen, daß es am Endefür einen Marmorgrabstein reichte. Diesen Betrag legte er sich zurSeite. Er hatte ihn in Papiergeld gewechselt und versteckte dieScheine in der Standuhr, von der er durch Zufall entdeckt hatte, daßsie einen doppelten Boden besaß, dessen oberen Teil man abhebenkonnte.Der Stiefmutter stieg das viele unerwartete Geld zu Kopfe.
Siehatte bald so viele Feinde, als Leute in der kleinen Gasse wohnten.Ihrer alten Kuchenfreundin sagte sie ins Gesicht, daß sie schlechtgekleidet sei und daß sie sich auf der Straße nicht mehr mit ihr sehenlassen könne. (Auf den Gedanken, ihrer sehr viel ärmeren Freundinein Kleid zu kaufen, kam sie offenbar nicht.) Frau Bebbers Kuchentadelte sie vor allen Leuten und kaufte weit teureres Gebäck in einerKonditorei der Innenstadt. (Daß Frau Bebber ihr wochenlang ganzeBerge von Kuchen angeschrieben hatte, war ihr offenbar entfallen.)Erwin, dem Frau Thaler heimlich zusätzliches Taschengeld gab,spielte jetzt reicher Leute Kind.
Er trug Schuhe mit lächerlich dickenSpecksohlen, Anzüge mit langen Hosen und sehr bunte Krawatten.Auch rauchte er heimlich und spielte den Pferdekenner.Timm, von dem der Reichtum stammte, war der einzige, der ihnheimlich verfluchte. Er lief oft stundenlang in abgelegenen Teilender Großstadt herum in der Hoffnung, Herrn Lefuet zu begegnen. Erhoffte, daß der karierte Herr ihm sein Lachen wiedergäbe, wenn erkünftig auf allen Reichtum verzichtete. Aber Herr Lefuet zeigte sichniemals.Der karierte Herr jedoch hatte den Jungen keineswegs aus denAugen verloren. Manchmal nämlich fuhr ein viertüriges Auto durchTimms Wohngegend, und auf den Rückpolstern saß ein Herr miteiner karierten Ballonmütze.
Wenn dieser Mann Timm irgendwoentdeckte, befahl er dem Chauffeur zu halten und beobachtete denJungen mit besorgter, wenn nicht sogar mit ängstlicher Miene.Dieser Herr hatte auch dafür gesorgt, daß ein Werbekalender in dieGassenwohnung kam, in dem zwischen Reklameversen für Kaffee,Kakao oder Butter Aussprüche berühmter Leute standen. Nichtzufällig las man auf der ersten Seite:„Man sollte einen Vertrag wie eine Heirat behandeln: genau undsorgsam überlegen, ehe man ihn eingeht; aber treu daran festhalten,wenn man ihn geschlossen hat.L.
Lefuet“Zum Glück für Timm schnitt die Stiefmutter dieses Blatt aus, weildie Rückseite mit Sterndeuterei gefüllt war. (Sie war unter demSternbild des Skorpions geboren.)Das Schlimmste für Timm wurde mit der Zeit die Feindseligkeitin der Gasse. Man nahm sein immer ernstes Gesicht als Zeichen fürHochmut und Dünkel und warf ihn mit Erwin und der Stiefmutter ineinen Topf. Und auf diesem Topf stand in großen, fetten Letterngeschrieben: „Neureiche Protze!“Niemand war deshalb so froh wie Timm (soweit er noch froh seinkonnte), als die Stiefmutter die Gassenwohnung verließ und einStockwerk in einer teuren Straße mietete.Die Möbel, sofern sie nicht neu angeschafft worden waren,verschenkte die Stiefmutter an die wenigen Leute in der Gasse, mitdenen sie noch sprach. Sie wollte auch die Standuhr verschenken, inder Timms Ersparnisse versteckt waren.
Zum Glück hörte der Jungefrüh genug davon und bat, die Standuhr in sein Zimmer in der neuenWohnung stellen zu dürfen. Er bat so eindringlich darum, daß dieStiefmutter es mehr verwundert als verärgert gestattete. So zog derstundenschlagende Geldschrank mit in Timms erstes eigenesZimmer, in dem der Junge zum erstenmal allein und in Ruhe seineSchularbeiten machen konnte.Die Stiefmutter nahm sich in der neuen Wohnung einDienstmädchen. Aber kein Mädchen hielt es längere Zeit bei ihr aus.Auf die Marie folgte Berta, auf die Berta Klara, auf Klara folgteJohanna, und schließlich kam eine alte Frau, die Griet hieß.
Dieblieb, weil sie sich nichts gefallen ließ und zurückzankte, wennTimms Stiefmutter mit ihr stritt.Unter dem Zanken und Wiederversöhnen der beiden Frauenvergingen die Jahre, bis Timm vierzehn war und einen Berufergreifen mußte.Die Stiefmutter wünschte und befahl, daß Timm als Lehrling inein Wettbüro eintreten sollte.
Das hatte einen guten Grund: Genau anseinem dreizehnten Geburtstag hatte Timm sehr viel Geld auf einPferd gesetzt, das nur durch eine Gefälligkeit der Rennleitung zumletzten Male mitlaufen durfte, bevor es sein Gnadenbrot erhielt. Aufdieses Pferd hatte niemand gewettet – außer Timm! Und weil Timmdarauf gewettet hatte, gewann das Pferd zum Staunen allerFachleute. Der Junge erhielt bare dreißigtausend Mark. Und nachdiesem Gewinn erklärte er seiner Stiefmutter, sie seien jetzt reichgenug, und er werde nicht mehr wetten.
Weder Tränen noch Schlägekonnten ihn umstimmen. Niemals mehr ging er zur Pferderennbahn.Erwin und die Stiefmutter versuchten noch einige Male allein ihrGlück. Aber als sie am Ende dreitausend Mark verwettet und kaumdreihundert Mark gewonnen hatten, hörten auch sie mit dem Wettenauf.Nun hoffte die Stiefmutter, Timm werde wieder Geschmack anden Pferderennen finden, wenn er in ein Wettbüro als Lehrlingeinträte. Sie hatte sogar schon Verhandlungen mit dem reichstenWettunternehmer der Stadt geführt. Aber Timm trotzte ihr und sagte,er wolle zur See fahren und nichts mehr mit Pferdewetten zu tunhaben.Eines Tages – Timm war seit ein paar Tagen aus der Schuleentlassen – fing die Stiefmutter auf die bekannte Art wieder einmalvon Timms zukünftigem Beruf zu reden an: „Nunbistekeinkindmehr, Timm! Und irgendwasmußte dochnunan –fangen!Indemwettbürokannstemitdeinengabennochmaleinreichermannwerden, Timm! Ichwilljanurdein Bestesjunge!Ichdenknichan mich! Ichdenkdochnur an dich!“„Ich gehe aber nicht in ein Wettbüro.
Ich will zur See fahren!“sagte Timm.Nun wurde die Stiefmutter erst ärgerlich, dann zornig und amEnde rührselig. Sie fing wie gewöhnlich an zu weinen und rief, erwolle sie alleinlassen, damit sie im Alter kein Geld mehr habe undbetteln müsse, und er wolle sie und seinen Bruder Erwin ins Unglückstürzen und allein ein reicher Mann werden, und überhaupt habe ernie ein Herz für die Familie gehabt. Er könne ja nicht einmal mehrlachen!Die letzte Bemerkung traf Timm schwerer, als die Stiefmutterahnte. Das Blut schoß ihm in den Kopf.
Er wäre am liebstendavongerannt. Aber seit er sein Lachen verloren hatte, hatte er sosehr an Selbstbeherrschung gewonnen, daß es für einen Jungen inseinem Alter beängstigend war. Auch diesmal konnte er sich sobeherrschen, daß die Stiefmutter von seiner Erregung nichtsbemerkte außer der Röte im Gesicht.„Gib mir am nächsten Sonntag ebenso viel Geld wie damals, alsich zuletzt wettete“, sagte er. „Ich werde wahrscheinlich vielgewinnen.“Ehe die Stiefmutter zugestimmt hatte, verließ Timm dieWohnung, rannte an den Fluß, setzte sich auf eine abgelegeneUferbank und versuchte, seiner Erregung Herr zu werden. Aberdiesmal gelang es ihm nicht. Er weinte.