kruess_james_timm_thaler_oder_das_verkau fte_lachen(1) (857789), страница 4
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Manchmal überlegte er sich,ob der Vater den karierten Herrn vielleicht gebeten habe, auf Timmachtzugeben, falls ihm etwas zustoßen sollte. Aber dann schien ihm,daß der Vater sich dafür wohl einen netteren, freundlicheren Herrnausgesucht hätte.Trotz allem: Timm war zu dem Geschäft mit dem Fremden bereit,und der Gedanke daran machte ihm Spaß. Er lachte plötzlich wiedersein altes Kinderlachen. Und allen Leuten gefiel das Lachen. Er hattemit einem Male mehr Freunde als je zuvor.Es war kurios: Dieser Junge, der sich durch leidenschaftliehernste Annäherungsversuche und durch Hilfsbereitschaft undfreiwillige Botengänge keine Freunde hatte schaffen können, dieserselbe Junge gewann durch nichts als sein Lachen beinahe jedermannzum Freund; zumindest mochte man ihn gern.
Man verzieh ihm jetztsogar Unarten, die man vorher getadelt hatte. So mußte Timm mittenin einer Rechenstunde plötzlich daran denken, wie er vor lauter Eifergegen den karierten Herrn angerannt war. Bei dieser Erinnerunglachte er unvermittelt sein kullerndes Lachen mit dem Schlucker amSchluß. Gleich darauf, als ihm das Ungehörige seines plötzlichenLachens bewußt wurde, nahm er vor Schreck eine Hand vor denMund. Aber der Lehrer war weit davon entfernt, mit ihm zuschimpfen.
Das Gelächter kam so unerwartet und wirkte so drollig,daß die ganze Klasse lachen mußte, einschließlich des Lehrers. Derhob nur den Finger und sagte: „Lachkanönchen sind die einzigenKanonen, die ich schätze, Timm! Aber laß deine Salven nicht geradein der Stunde los!“Nun wurde Timm das „Lachkanönchen“ genannt, und es gabMitschüler, die in den Pausen nur noch mit ihm spielen wollten.Selbst die Stiefmutter und Erwin wurden jetzt manchmal von TimmsLachen angesteckt.Es war unbegreiflich, was der karierte Herr mit Timm angestellthatte, aber diese neue Unbegreiflichkeit wurde dem Jungen nichtbewußt.
.Trotz mancher bitteren Erfahrung in der Gassenwohnung war ernoch ein Kind, das arglos und ohne Mißtrauen war. Er merkte nicht,daß sein Lachen den Leuten gefiel und daß er dieses Lachen seit demTode des Vaters verborgen hatte wie ein Geizhals seinen Reichtum.Er meinte in seinen kindlichen Gedanken, die Erfahrungen undErlebnisse auf der Rennbahn hätten ihn klüger gemacht und deshalbkäme er jetzt mit aller Welt so gut aus. Leider war es schlimm, daßTimm so dachte. Hatte er damals schon gewußt, wie kostbar seinLachen war, ihm wäre vieles in seinem Leben erspart geblieben.Aber er war eben noch ein Kind.Einmal, als Timm aus der Schule kam, begegnete er demkarierten Herrn auf der Straße.
Der Junge beobachtete gerade eineHummel, die auf dem Ohr einer schlafenden Katze zu landenversuchte. Es sah sehr ulkig aus, und Timm lachte wieder einmal.Aber kaum erkannte er den Fremden vom Rennplatz, als alleLustigkeit wie weggeblasen war. Timm machte einen Diener undsagte guten Tag.Der Fremde tat, als sähe er den Jungen nicht. Er knurrte nur imVorbeigehen: „In der Stadt kennen wir uns nicht!“ Dann ging erweiter, ohne ein einziges Mal den Kopf zu wenden.„DiesesmerkwürdigeBenehmengehörtwohlzumGeschäftemachen“, dachte Timm. Dann lachte er schon wieder, weildie Katze erschrocken aus dem Schlaf auffuhr und mit dem Ohrschnippte, auf das die Hummel sich niedergelassen hatte.
Ärgerlichbrummend flog das dicke Insekt davon, während Timm pfeifend inseine Gasse wanderte.Vierter BogenDas verkaufte LachenAm langerwarteten Sonntag wollte Timm sich früher als sonst zurRennbahn schleichen. Aber zu seinem Unglück fiel der Blick seinerStiefmutter gegen halb drei Uhr zufällig auf den Kalender an derWand, und plötzlich erinnerte sie sich daran, daß ihr Hochzeitstagwar, der Tag, an dem sie Timms Vater geheiratet hatte. Sieschluchzte kurz auf (denn das tat sie sehr gern), und dann mußtentausend Dinge auf einmal erledigt werden: Blumen mußten auf dasGrab gebracht, Kuchen mußte geholt, Kaffee mußte gemahlen undeine Nachbarin mußte eingeladen werden; das Kleid mußtegewechselt und das neue Kleid gebügelt werden; Timm mußtesämtliche Schuhe putzen und Erwin Blumen kaufen. Timm hättegern den Auftrag für die Blumen und das Grab übernommen. Dennwenn er sich dabei beeilte, konnte er immer noch rechtzeitig zu denRennen kommen.
Aber wenn die Stiefmutter aufgeregt war (und sieregte sich gern auf), konnte man sich schwer ihren Anordnungenwidersetzen, weil sie am Ende nur noch aufgeregter wurde undschließlich heulend in einen Sessel sank, so daß man erst rechtgehorchen mußte. Timm verzichtete daher auf jeden Widerspruchund ging gehorsam zum Bäcker.
(„Hintenrum! Dreimal klopfen!Sag, ‘s is wichtig!“)Er kümmerte sich auch nicht um das brummige Gesicht derBäckersfrau. („Scher dich nicht um ihr Grunzen! Laß dich nicht ohneKuchen wegschicken! Bleib bei dem alten Brummpott stehen, bissedir was gibt!“)Und er richtete die Bestellung seiner Stiefmutter genau aus.(„Sechs Bienenstich! Keine zweite Ware! Nur vom Besten! Sag ihrdas!“)Leider bekam er von der Bäckersfrau eine Antwort, auf die seineStiefmutter ihn nicht vorbereitet hatte.
Frau Bebber – so hieß dieBäckersfrau – sagte nämlich: „Erst muß die alte Rechnung bezahltwerden, ehe ich wieder anschreibe! Kannste zu Hause bestellen! Wersich’s nicht leisten kann, soll keinen Kuchen kaufen! Sag das ruhig!Für Sechsundzwanzig Mark Kuchen! Möcht’ wissen, wer die allefrißt! So viel Kuchen kaufen nicht mal die Präsidents vomWasserwerk! Und die mögen Kuchen, das kann ich dir flüstern, meinJunge!“Timm stand einen Augenblick stumm vor Staunen.
Er bekamwohl hin und wieder eine Zuckerbrezel oder ein halbes StückBienenstich von der Mutter, aber für sechsundzwanzig MarkKuchen: Das waren ja ganze Kuchenberge! Sollte die Stiefmutterheimlich Kuchen essen, wenn die Nachbarin zum Kaffee kam? Erwußte, daß die Frauen oft zusammenhockten, wenn Erwin und er inder Schule waren. Oder sollte Erwin der gute Kuchenkunde sein?„Hat mein Bruder den Kuchen anschreiben lassen?“ fragte Timm.„Der ist mit beim Konto“, schnaufte Frau Bebber.
„Aberhauptsächlich sind es die Frühstückskuchen von deiner Mutter. OderStiefmutter ist sie ja wohl. Weißte wohl gar nichts von, was?“„Doch, doch“, versicherte Timm rasch. „Das weiß ich natürlich!“Aber in Wirklichkeit wußte er gar nichts. Es empörte ihn nicht; esmachte ihn auch nicht zornig; es machte ihn nur traurig, weil diesesKuchenschlecken so heimlich und hinter dem Rücken geschah undweil dabei Schulden gemacht wurden.„So“, sagte Frau Bebber abschließend, „und jetzt gehste ohneKuchen nach Haus und bestellst, was ich dir gesagt habe.
Klar?“Timm blieb eisern stehen. („Scher dich nicht um ihr Grunzen!Laß dich nicht ohne Kuchen wegschicken! Bleib bei dem altenBrummpott stehen, bisse dir was gibt!“)Er sagte: „Heute ist doch der Tag, an dem mein Vater meineMutter, ich meine, meine Stiefmutter, geheiratet hat. Undaußerdem…“ Plötzlich dachte Timm an das Geschäft mit demkarierten Herrn und an die Rennbahn und an die Wetten. Er fuhrschnell fort: „Außerdem, Frau Bebber, bringe ich Ihnen das Geldheute abend; und das Geld für die Bienenstiche, die Sie mir jetztgeben, kriegen Sie auch! Ganz bestimmt!“„Du willst mir das Geld bringen?“Frau Bebber zögerte, aber irgend etwas im Ton des Jungen schienihr zu sagen, daß sie mit dem Geld rechnen könne, wenigstensteilweise.Sicherheitshalber fragte sie: „Woher willst du das Geld nehmen?“Timm machte ein finsteres Gesicht wie die Räuber auf demTheater und sagte mit möglichst tiefer Stimme: „Ich klau es mir,Frau Bebber! Bei Präsidents vom Wasserwerk!“Der Junge spielte den Räuber so überzeugend, daß Frau Bebberlachte, weich wurde, und kurz und gut: Er bekam seine sechsBienenstiche und einen siebten dazu, der nicht berechnet wurde.Die Stiefmutter stand in der Tür, als Timm mit dem Kuchen kam.Sie wirkte noch immer (oder schon wieder?) aufgeregt und plapperteohne Punkt und Komma: „Ich hättelieber selbergehensollen,hatsiewas gesagtwegen Anschreibenoderso? Sind die Bienensticheinordnung, warum sagstedenn nichts?“Timm hätte sich lieber die Zunge abgebissen als seineUnterhaltung mit Frau Bebber wiedergegeben.
Außerdem mußte erzur Rennbahn, und Aufregungen und Auseinandersetzungen mit derStiefmutter brauchten ihre Zeit. So sagte er nur: „Sie hat mir einenBienenstich umsonst gegeben. Darf ich spielen geh’n, Mutt?“ (DasWort „Mutter“ brachte er der Stiefmutter gegenüber nie über dieLippen.)Ungewöhnlich schnell gab sie ihm die Erlaubnis fortzugehen. Siegab ihm sogar einen Bienenstich mit auf den Weg. („Wenn Frauenzusammen reden, langweilste dich ja doch nur. Geh ruhig spielen,aber komm zeitig nach Haus.
Sechse genügt.“)Timm rannte, so schnell er konnte, zur Pferderennbahn undfutterte unterwegs sogar den Bienenstich, wobei höchstens dreiKleckse Füllung herunterplumpsten; einer allerdings auf diedunkelblaue Sonntagshose.Der karierte Herr stand am Eingang der Rennbahn. Doch obwohldas erste Rennen schon lief, war er nicht im geringsten ungeduldigoder aufgeregt. Er war heute die Freundlichkeit in Person. Timmmußte sich mit ihm in den Gasthausgarten setzen, Limonade trinkenund wieder Bienenstich essen.
Der ganze Sonntag drehte sich umBienenstich.Übrigens machte der Fremde mit dem ernstesten Gesicht von derWelt solche Spaße, daß Timm sich vor Lachen kugelte.Er ist doch ein netter Kerl, dachte der Junge. Ich kann jetztverstehen, daß mein Vater ihn mochte.Überdies schaute der Fremde ihn mit warmen braunen Augen an,die freundlich blickten. Wenn Timm ein schärferer Beobachtergewesen wäre, hätte er wissen müssen, daß der Herr an denSonntagen zuvor kalte wasserblaue Augen wie ein Fisch gehabthatte.