Drei-Maenner im Schnee E.Kaestner (549575), страница 24
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Esgilt, diese Köpfe zum besetzten Gebiet zu machen, Herr Geheimrat Tobler! Man darf dieKonkurrenz nicht erst auf dem Markt, man muß sie bereits im Gedankenkreis derer besiegen, diemorgen kaufen wollen. Wir Werbefachleute bringen es fertig, aus einem Verkaufsartikel, derdem freien Wettbewerb unterliegt, mit Hilfe der Psychologie einen Monopolartikel zu machen!Geben Sie uns Bewegungsfreiheit, Sire!« Hagedorn holte Atem.»Großartig!« meinte Schulze. »Bravo, bravo! Wenn uns der Tobler auch dann noch nichtengagiert, verdient er sein Glück überhaupt nicht.«90»Du sagst es«, erklärte Fritz pathetisch. »Aber so dämlich wird er ja nicht sein.«Schulze zuckte zusammen.»Vielleicht frag ich sie schon heute abend«, sagte Fritz entschlossen.»Wen?«»Hilde.«»Was?«»Ob sie meine Frau werden will.«»Und wenn sie nicht will?«»Auf diesen Gedanken bin ich noch gar nicht gekommen«, sagte Hagedorn.
Er war ehrlicherschrocken. »Mach mir keine Angst, Eduard!«»Und wenn die Eltern nicht wollen?«»Vielleicht hat sie keine mehr. Das wäre das bequemste.«»Sei nicht so roh, Fritz! Na, und wenn der Bräutigam nicht will? Was dann?«Hagedorn wurde blaß. »Du bist übergeschnappt. Meine Hilde hat doch keinen Bräutigam!«»Ich verstehe dich nicht«, sagte Schulze. »Warum soll so ein hübsches, kluges, lustigesMädchen, das ein Grübchen hat und in der Iris goldne Pünktchen —, warum soll sie denn keinenBräutigam haben? Meinst du, sie hat dich seit Jahren vorgeahnt?«Fritz sprang auf.
»Ich bringe dich um! Aber zuvor gehe ich auf ihr Zimmer. Bleib sitzen, Eduard!Solltest du recht gehabt haben, werde ich dich nachher aufs Rad flechten. Besorge, bitte,inzwischen ein passendes Rad!« Und dann rannte Doktor Hagedorn treppauf.Geheimrat Tobler sah ihm lächelnd nach.Einige Minuten später kam Herr Johann Kesselhuth, bereits im Smoking, in die Halle zurück. Erhinkte noch immer ein bißchen. »Sind Sie mir sehr böse, Herr Geheimrat?« fragte er bekümmert.»Ich hatte Fräulein Hildegard versprochen, jeden Tag über unser Befinden zu berichten. Werkonnte denn ahnen, daß sie hierherkämen? Daran ist aber bloß die Kunkel schuld, dieserTrampel.«»Schon gut, Johann«, sagte Tobler.
»Es ist nicht mehr zu ändern. Wissen Sie schon dasNeueste?«»Ist es etwas mit der Wirtschaftskrise?«»Nicht direkt, Johann. Nächstens gibt es eine Verlobung.«»Wollen Sie sich wieder verheiraten, Herr Geheimrat?«»Nein, Sie alter Esel. Doktor Hagedorn wird sich verloben!«»Mit wem denn, wenn man fragen darf?«»Mit Fräulein Hilde Schulze!«Johann begann wie die aufgehende Sonne zu strahlen. »Das ist recht«, meinte er. »Da werden91wir bald Großvater.«Nach längerem Suchen fand Hagedorn die Zimmer von Tante Julchen und deren Nichte.»Das gnädige Fräulein hat einundachtzig«, sagte das Stubenmädchen und knickste.Er klopfte.Er hörte Schritte.
»Was gibt's?«»Ich muß Sie dringend etwas fragen«, sagte er gepreßt.»Das geht nicht«, antwortete Hildes Stimme. »Ich bin beim Umziehen.«»Dann spielen wir drei Fragen hinter der Tür«, meinte er.»Also, schießen Sie los, Herr Doktor!« Sie legte ein Ohr an die Türfüllung, aber sie vernahm nurdas laute, aufgeregte Klopfen ihres Herzens.
»Wie lautet die erste Frage?«»Genau wie die zweite«, sagte er.»Und wie ist die zweite Frage?«»Genau wie die dritte«, sagte er.»Und wie heißt die dritte Frage?«Er räusperte sich. »Haben Sie schon einen Bräutigam, Hilde?«Sie schwieg lange.
Er schloß die Augen. Dann hörte er, es schien eine Ewigkeit vergangen zusein, die drei Worte: »Noch nicht, Fritz.«»Hurra!« rief er, daß es im Korridor widerhallte. Dann rannte er davon.Die Tür des Nebenzimmers öffnete sich vorsichtig. Tante Julchen spähte aus dem Spalt undmurmelte: »Diese jungen Leute! Wie im Frieden!«Das sechzehnte KapitelAuf dem WolkensteinFrau Kunkel hatte sich hinsichtlich ihrer Trinkfestigkeit geirrt. Vielleicht vertrug sie nichts, weilsie seit der Hochzeit ihrer Schwester, Anno 1905, aus der Übung gekommen war. Tatsache ist,daß sie am Tage nach ihrer Ankunft in Bruckbeuren mit einem katastrophalen Ölkopf aufwachte.Sie konnte sich an nichts mehr erinnern, und ihr Frühstück bestand aus Pyramidon.»Wie war das eigentlich gestern nacht?« fragte sie.
»Habe ich sehr viel Blödsinn geredet?«»Das wäre nicht so schlimm gewesen«, meinte Hilde. »Aber Sie begannen die Wahrheit zusagen! Deswegen mußte ich ununterbrochen mit Doktor Hagedorn tanzen.«»Sie Ärmste!«»Das nun wieder nicht. Aber meine weißen Halbschuhe drückten entsetzlich. Und das durfte ichmir nicht anmerken lassen. Sonst hätte er nicht mehr tanzen wollen, und dann wären sämtlicheGeheimnisse, die wir vor ihm haben, herausgekommen.«92»Eines Tages wird er sie ja doch erfahren müssen!«»Gewiß, meine Dame.
Aber weder am ersten Abend, noch von meiner angetrunkenen Tante, diegar nicht meine Tante ist.«Frau Kunkel rümpfte die Stirn. Sie fühlte sich beleidigt. »Und was geschah dann?« fragte sieunwillig.»Dann hat Johann Sie ins Bett gebracht.«»Um des Himmels willen!« rief Tante Julchen. »Das hat mir noch gefehlt!«»Das hat Johann auch gesagt. Aber es mußte sein.
Sie forderten nämlich einen Herrn nach demanderen zum Tanzen auf. Erst tanzten Sie mit Herrn Spalteholz, einem Fabrikanten aus Gleiwitz;dann mit Mister Sullivan, einem englischen Kolonialoffizier; dann mit Herrn Lenz, einemKunsthändler aus Köln; schließlich machten Sie sogar vor dem Oberkellner einen Knicks, und dafanden wir's an der Zeit, Sie zu beseitigen.«Frau Kunkel sah puterrot aus. »Habe ich schlecht getanzt?« fragte sie leise.»Im Gegenteil. Sie haben die Herren mit Bravour herumgeschwenkt.
Man war von Ihnenbegeistert.«Die alte, dicke Dame atmete auf. »Und hat sich der Doktor erklärt?«»Wollen Sie sich deutlicher ausdrücken?« fragte Hilde.»Hat er die vierte Frage hinter der Tür gestellt?«»Ach so! Sie haben gestern nachmittag gehorcht! Nein, die vierte Frage hat er nicht gestellt.«»Warum denn nicht?«»Vielleicht war keine Tür da«, meinte Fräulein Tobler. »Außerdem waren wir ja nie allein.«Frau Kunkel sagte: »Ich verstehe Sie ja nicht ganz, Fräulein Hilde.«»Meines Wissens verlangt das auch kein Mensch.«»So ein arbeitsloser Doktor, das ist doch kein Mann für Sie.
Wenn ich bedenke, was für PartienSie machen könnten!«»Werden Sie jetzt nicht ulkig!« sagte Hilde. »Partien machen! Wenn ich das schon höre! EineEhe ist doch kein Ausflug!« Sie stand auf, zog die Norwegerjacke an und ging zur Tür.»Kommen Sie! Sie sollen Ihren Willen haben. Wir werden eine Partie machen!«Tante Julchen schusselte hinterher. Auf der Treppe mußte sie umkehren, weil sie die Taschevergessen hatte. Als sie in der Halle eintraf, standen die andern schon vor der Hoteltür undwarfen nach dem schönen Kasimir mit Schneebällen.Sie trat ins Freie und fragte: »Wo soll denn die Reise hingehen?«Herr Schulze zeigte auf die Berge.
Und Hagedorn rief: »Auf den Wolkenstein!«Tante Julchen schauderte. »Gehen Sie immer voraus!« bat sie. »Ich komme gleich nach. Ich habedie Handschuhe vergessen.«93Herr Kesselhuth lächelte schadenfroh und sagte: »Bleiben Sie nur hier. Ich borge Ihnen meine.«Als Frau Kunkel die Talstation der Drahtseilbahn erblickte, riß sie sich los.
Die Männer mußtensie wieder einfangen. Sie strampelte und jammerte, als man sie in den Wagen schob. Es war, alswürde Vieh verladen. Die andern Fahrgäste lachten sie aus.»Dort hinauf soll ich?« rief sie. »Wenn nun das Seil reißt?«»Dieserhalb sind zwei Reserveseile da«, meinte der Schaffner.»Und wenn die Reserveseile reißen?«»Dann steigen wir auf freier Strecke aus«, behauptete Hagedorn.Sie randalierte weiter, bis Hilde sagte: »Liebe Tante, willst du denn, daß wir andern ohne dichabstürzen?«Frau Kunkel verstummte augenblicklich, blickte ihre Nichte und Herrn Schulze treuherzig anund schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte sie sanft wie ein Lamm, »dann will ich auch nichtweiterleben.«Der Wagen hob sich und glitt aus der Halle. Während der ersten zehn Minuten hielt TanteJulchen die Augen fest zugekniffen. Jedesmal, wenn man, schaukelnd und schwankend, einender Pfeiler passierte, bewegte sie lautlos die Lippen.Die Hälfte der Strecke war ungefähr vorüber.
Sie hob vorsichtig die Lider und blinzelte durchsFenster. Man schwebte gerade hoch über einem mit Felszacken, Eissäulen und erstarrtenSturzbächen reichhaltig ausgestatteten Abgrund. Die andern Fahrgäste schauten andächtig in diegrandiose Tiefe. Tante Julchen stöhnte auf, und ihre Zähne schlugen gegeneinander.»Sind Sie aber ein Angsthase!« meinte Schulze ärgerlich.Sie war empört. »Ich kann Angst haben, so viel ich will! Warum soll ich denn mutig sein? Wiekomme ich dazu? Mut ist Geschmackssache. Habe ich recht, meine Herrschaften? Wenn ichGeneral wäre, meinetwegen! Das ist etwas anderes.