Drei-Maenner im Schnee E.Kaestner (549575), страница 22
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Einer der Passagiere war ein junges, herzhaftes Mädchen.Sie hatte eine besonders geradlinige Art, die Menschen anzuschauen. (Womit nicht nur gesagtwerden soll, daß sie nicht schielte.) Neben ihr saß eine dicke, verstört gutmütige Frau, die vondem Mädchen »Tante Julchen« genannt wurde.Hagedorn hätte Tante Julchens Nichte stundenlang anstarren können. Außerdem wurde er dasGefühl nicht los, das junge Mädchen schon einmal gesehen zu haben. Tante Julchen warziemlich umständlich. Daß die Koffer auf dem Autobus verstaut worden waren, beschäftigte ihr81Innenleben aufs lebhafteste. Bei jeder Kurve griff sie sich ans Herz und jammerte vor Schreck.Außerdem war ihr kein Berg zu niedrig — sie wollte seinen Vor- und Zunamen wissen.Hagedorn machte sich nützlich und log zusammen, was ihm gerade einfiel.
Einige Fahrgäste,welche die Gegend von früher her zu kennen schienen, musterten ihn mißtrauisch. Sie nahmenihm seine frei erfundene Geographie ein bißchen übel.Tante Julchen hingegen sagte: »Vielen Dank, mein Herr. Man kommt sich sonst vor wie in einerfremden Stadt bei Nacht. Jede Straße heißt anders, aber man kann die Schilder nicht lesen. Dabeiwar ich noch nie in den Alpen.«Das junge Mädchen sah ihn, um Nachsicht bittend, an, und dieser Blick gab ihm den Rest. Erlächelte blöde, hätte sich ohrfeigen können und erwog den Plan, aufzustehen und während derFahrt abzuspringen.Er blieb natürlich sitzen.Vorm Hotel half er den beiden beim Aussteigen.
Und da Tante Julchen das Abladen der Kofferaufs strengste überwachte, waren das junge Mädchen und er plötzlich allein.»Das ist aber ein schöner Schneemann«, rief sie.»Gefällt er Ihnen?« fragte er stolz. »Den haben Eduard und ich errichtet. Und ein Bekannter, dereine große Schiffahrtslinie besitzt. Eduard ist mein Freund.«»Aha!« sagte sie.»Er hat leider seit gestern abgenommen.«»Der Besitzer der Schiffahrtslinie oder Ihr Freund Eduard?«»Der Schneemann«, erwiderte er. »Weil die Sonne so sehr schien.«Sie betrachteten den Schneemann und schwiegen verlegen.»Wir haben ihn Kasimir getauft«, erklärte er später. »Er hat nämlich einen Eierkopf. Und insolch einem Fall ist es ein wahres Glück, Kasimir zu heißen.«Sie nickte verständnisvoll und zeigte auf die Teddybären, die neben Kasimir hockten.
»Es sindEisbären geworden. Ganz weiß. Wie nennt man das gleich?«»Mimikry«, gab er zur Antwort.»Ich bin so vergeßlich«, sagte sie. »Was die Bildung anbelangt.«»Werden Sie lange hierbleiben?« fragte er.Sie schüttelte den Kopf. »Ich muß bald wieder nach Berlin zurück.«»Ich bin auch aus Berlin«, meinte er.
»Welch ein Zufall!«Geheimrat Tobler hielt, oben im fünften Stock, sein Nachmittagsschläfchen. In Bruckbeurenhatte er sich eigentlich, aus Hochachtung vor den Schönheiten der Natur, dieses Brauchesentäußern wollen. Aber man war eben doch nicht mehr der Jüngste.
Und so hatte er Johanns82Heizsonne in Betrieb gesetzt, sich ins Bett gelegt und schlief.Dann aber wurde die Tür aufgerissen. Er erwachte und blickte mißmutig auf. Hagedorn stand vorihm, setzte sich aufs Bett und sagte: »Wo hast du denn die Heizsonne her, Eduard?«»Das ist 'ne Stiftung«, bemerkte Schulze mit verschlafener Stimme. »Solltest du gekommen sein,um mich das zu fragen, so nennen wir uns wieder Sie.«»Mensch! Schulze!« stieß Hagedorn hervor.
»Ich mußte es dir sofort sagen. Ich bin verloren. Ichhabe mich soeben verliebt!«»Ach, bleib mir mit deinen albernen Weibern vom Halse«, befahl Eduard und drehte sich zurWand. »Gute Nacht, mein Junge!«»Sie ist kein albernes Weib«, sagte Fritz streng. »Sie ist enorm hübsch. Und gescheit! UndHumor hat sie. Und ich glaube, ich gefalle ihr auch.«»Du bist größenwahnsinnig!« murmelte Schulze.»Welche ist es denn? Die Mallebré oder die Circe aus Bremen?«»Höre schon endlich mit denen auf!« rief Hagedorn entrüstet.
»Es ist doch eine ganz andere! Sieist doch nicht verheiratet! Das wird sie doch erst sein, wenn ich ihr Mann bin! Eine Tante ist mitdabei. Die hört auf den Namen Julchen.«Schulze war nun wach geworden. »Du bist ein Wüstling! « sagte er. »Warte mit dem Heiratenwenigstens bis morgen! Du wirst dich doch nicht etwa in eine Gans vergaffen, die mit einerTante namens Julchen auf Männerfang geht! Wir werden schon wen für dich finden.«Hagedorn stand auf. »Eduard, ich verbiete dir, in einem derartigen Ton von meiner zukünftigenGemahlin zu sprechen! Sie ist keine Gans.
Und sie fängt keine Männer. Sehe ich vielleicht wieeine gute Partie aus?«»Gott bewahre!« sagte Schulze. »Aber sie hat doch natürlich davon gehört, daß du einThronfolger bist!«»Diesen Quatsch kann sie noch gar nicht gehört haben«, meinte der junge Mann. »Sie istnämlich eben erst aus Berlin eingetroffen.«»Und ich erlaube es ganz einfach nicht«, erklärte Schulze kategorisch. »Ich vertrete Mutterstellean dir.
Ich verbiete es dir. Damit basta! Ich werde dir schon eines schönen Tages die richtigeFrau aussuchen.«»Geliebter Eduard«, sagte Fritz. »Schau sie dir erst einmal an. Wenn du sie siehst, wird dir dieLuft wegbleiben!«Hagedorn setzte sich in die Halle und behielt den Lift und die Treppe im Auge. Seine ersteBegeisterung wich, während er ungeduldig auf das junge Mädchen und auf die Zukunft wartete,einer tiefen Niedergeschlagenheit. Ihm war plötzlich eingefallen, daß man zum Heiraten Geld83braucht und daß er keines hatte. Früher, als er Geld verdiente, war er an die verkehrten Fräuleinsgeraten. Und jetzt, wo er Tante Julchens Nichte liebte, war er stellungslos und wurde für einenThronfolger gehalten!»Sie sehen aus, als wollten Sie ins Kloster gehen«, sagte jemand hinter ihm.Er fuhr hoch.
Es war Tante Julchens Nichte. Er sprang auf. Sie setzte sich und fragte: »Was istdenn mit Ihnen los?«Er blickte sie so lange an, bis sie die Lider senkte. Er hustete und meinte dann: »Außer HerrnKesselhuth und Eduard weiß es in dem Hotel noch kein Mensch. Ihnen muß ich es aber sagen.Man hält mich für einen Millionär oder, wie Eduard behautet, für den Thronfolger von Albanien.Wieso, weiß ich nicht. In Wirklichkeit bin ich ein stellungsloser Akademiker.«»Warum haben Sie denn das Mißverständnis nicht aufgeklärt?« fragte sie.»Nicht wahr?« meinte er.
»Ich hätte es tun sollen. Ich wollte es ja auch! Ach, ich bin ein Esel!Sind Sie mir sehr böse? Eduard meinte nämlich, ich solle den Irrtum auf sich beruhen lassen.Vor allem wegen der drei siamesischen Katzen. Weil er so gern mit ihnen spielt.«»Wer ist denn nun eigentlich dieser Eduard?« fragte sie.»Eduard und ich haben ein Preisausschreiben gewonnen. Dafür lassen wir uns hier gratisdurchfüttern.«»Von dem Preisausschreiben habe ich in der Zeitung gelesen«, meinte sie. »Es handelt sich umein Ausschreiben der Toblerwerke, ja?«Er nickte.»Dann sind Sie Doktor Hagestolz?«»Hagedorn«, verbesserte er.
»Mein Vorname ist Fritz.«Anschließend schwiegen sie. Dann wurde sie rot. Und dann sagte sie: »Ich heiße Hildegard.«»Sehr angenehm«, antwortete er. »Der schönste Vorname, den ich je gehört habe!«»Nein«, erklärte sie entschieden. »Fritz gefällt mir besser!«»Ich meine die weiblichen Vornamen.«Sie lächelte. »Dann sind wir uns ja einig.«Er faßte nach ihrer Hand, ließ sie verlegen wieder los und sagte: »Das wäre wundervoll.«Endlich trat Schulze aus dem Lift. Hagedorn nickte ihm schon von weitem zu und meinte zuTante Julchens Nichte: »Jetzt kommt Eduard!«Sie drehte sich nicht um.Der junge Mann ging dem Freund entgegen und flüsterte: »Das ist sie.«»Was du nicht sagst!« erwiderte Schulze spöttisch. »Ich dachte, es wäre schon die nächste.« Ertrat an den Tisch.
Das junge Mädchen hob den Kopf, lächelte ihm zu und meinte: »Das ist gewiß84Ihr Freund Eduard, Herr Doktor. So hab ich ihn mir vorgestellt.«Hagedorn nickte fröhlich. »Jawoll. Das ist Eduard. Ein goldnes Herz in rauher Schale. Und dasist ein gewisses Fräulein Hildegard.«Schulze war wie vor den Kopf geschlagen und hoffte zu halluzinieren. Das Mädchen lud zumSitzen ein. Er kam der Aufforderung, völlig geistesabwesend, nach und hätte sich beinahe nebenden Stuhl gesetzt.Hagedorn lachte.»Sei nicht so albern, Fritz!« sagte Schulze mürrisch.Aber Fritz lachte weiter. »Was hast du denn, Eduard? Du siehst wie ein Schlafwandler aus, denman laut beim Namen gerufen hat.«»Gar kein übler Vergleich«, meinte das junge Mädchen beifällig.Sie erntete einen vernichtenden Blick von Schulze.Hagedorn erschrak und dachte: »Das kann ja heiter werden!« Anschließend redete er, fast ohneAtem zu holen, über den Lumpenball, und weswegen Schulze keinen Kostümpreis erhalten hätte,und über Kesselhuths erste Skistunde, und über Berlin einerseits und die Natur andererseits, unddaß seine Mutter geschrieben habe, ob es in Bruckbeuren Lawinen gebe, und –»Tu mir einen Gefallen, mein Junge!« bat Eduard.
»Hole mir doch aus meinem Zimmer dasFläschchen mit den Baldriantropfen! Ja? Es steht auf dem Waschtisch. Ich habeMagenschmerzen.«Hagedorn sprang auf, winkte dem Liftboy und fuhr nach oben.»Sie haben Magenschmerzen?« fragte Tante Julchens Nichte.»Halte den Schnabel!« befahl der Geheimrat wütend. »Bist du plötzlich übergeschnappt? Waswillst du hier?«»Ich wollte nur nachsehen, wie dir's geht, lieber Vater«, sagte Fräulein Hilde.Der Geheimrat trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte.
»Dein Benehmen ist beispiellos!Erst informierst du, hinter meinem Rücken, die Hoteldirektion, und vier Tage später kommst duselber angerückt!«»Aber Papa«, entgegnete seine Tochter. »Der Anruf nützte doch nichts. Man hielt doch HerrnHagedorn für den Millionär!«»Woher weißt du das?«»Er hat mir's eben erzählt.«»Und weil er dir das eben erzählt hat, bist du vorgestern von Berlin weggefahren?«»Das klingt tatsächlich höchst unwahrscheinlich«, meinte sie nachdenklich.»Und seit wann hast du eine Tante, die Julchen heißt?«»Seit heute früh, lieber Vater.
Willst du sie kennenlernen? Dort kommt sie gerade!«85Tobler wandte sich um. In ihrem zweitbesten Kleid kam, dick und kordial, Frau Kunkel treppabspaziert. Sie suchte Hilde und entdeckte sie. Dann erkannte sie den violett gekleideten Mannneben ihrer Nichte, wurde blaß, machte kehrt und steuerte schleunigst wieder auf die Treppe zu.»Schaffe mir auf der Stelle diese idiotische Person herbei!« knurrte der Geheimrat.Hilde holte die Kunkel auf den ersten Stufen ein und schleppte sie an den Tisch.