Drei-Maenner im Schnee E.Kaestner (549575), страница 17
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Er war müde.Als er in seine Dachkammer trat, staunte er nicht wenig. Er kannte sich nicht mehr aus,bewunderte die Ordnung, beschnupperte die Zigarren und Äpfel und streichelte dieTannenzweige. Die Gummiwärmflasche schob er verächtlich beiseite. Aber die Kamelhaardeckebreitete er übers Bett.Er war über Johanns heimliche Fürsorge gerührt, nahm sich jedoch vor, Herrn Kesselhuth amnächsten Tag auszuzanken. Dann kleidete er sich zum Schlafengehen an, holte einen der Äpfelvom Tisch, kroch ins Bett, löschte das Licht aus und biß begeistert in den Apfel hinein.Es war fast wie in der Kindheit. —Hagedorn und Kesselhuth saßen noch in der Halle und rauchten Zigarren. Sie schauten demeleganten Treiben zu.
Karl der Kühne kam an den Tisch und erkundigte sich, ob die Herren denTag angenehm verbracht hätten. Dann entfernte er sich wieder, um andere Gäste zu begrüßenund um sich in der Bar als Tänzer zu betätigen. Fräulein Marek tanzte mit ihm am liebsten.Hagedorn erzählte sein Erlebnis von der Eisbahn. Herr Kesselhuth geriet vollkommen außersich. Er war unfähig, sich noch zu unterhalten, entschuldigte sich und ging stracks in seinZimmer.Hagedorn wurde etwas später von einem schlesischen Fabrikanten ins Gespräch gezogen, derherausfinden wollte, ob der junge Millionär geneigt sei, sich mit etlichen hunderttausend Markan der Wiedereröffnung einer vor Jahren stillgelegten Großspinnerei zu beteiligen.
Hagedornbetonte unentwegt, daß er keinen Pfennig Geld besitze. Aber Herr Spalteholz hielt das fürAusflüchte und pries die Gewinnmöglichkeiten in immer glühenderen Farben. Schließlich lud erden Herrn Doktor in die Bar ein. Hagedorn lief geduldig mit. Um den reichlich zwecklosenGesprächen zu entgehen, tanzte er abwechselnd mit Frau von Mallebré und Frau Casparius. HerrSpalteholz aus Gleiwitz saß meistens allein am Tisch und lächelte gewinnend.Hagedorn merkte allmählich, daß es sich lohnte, bald mit der einen, bald mit der anderen Damezu tanzen. Die Eifersucht wuchs.
Die Rivalin trat in den Vordergrund. Und der Mann, um den63sich's drehte, wurde Nebensache.Er verschwand, ohne sich lange zu verabschieden, besuchte rasch noch den SchneemannKasimir, verschönte ihn durch einen Schnurrbart aus zwei Raubvogelfedern, die er im Waldegefunden hatte, und ging in sein Appartement. Auch er war müde.Inzwischen beendete Johann den Brief an Fräulein Tobler. Der Schluß lautete folgendermaßen:»Ich habe schon wieder etwas erfahren. Etwas Entsetzliches, gnädiges Fräulein! Am Nachmittaghat der Portier, ein widerlicher Kerl, den Herrn Geheimrat auf die Eisbahn geschickt. Dort mußteer mit einem gewissen Sepp Schnee schippen. Ist es nicht grauenhaft, daß ein so gebildeter Mannwie Ihr Herr Vater in einem Hotel als Straßenkehrer beschäftigt wird? Der Herr Geheimrat sollallerdings sehr gelacht haben.
Und er hat dem Doktor Hagedorn verboten, etwas dagegen zuunternehmen. Dabei könnte der Herr Doktor sehr viel erreichen, da man ihn ja für den Millionärhält.Ich bin restlos durcheinander, liebes Fräulein Hilde! Soll ich mich hineinmischen? Ihr Herr Vatertut ja trotzdem, was er will.
Schreiben Sie mir doch bitte umgehend! Falls Sie es für richtighalten sollten, werde ich mit dem Herrn Geheimrat furchtbar zanken und verlangen, daß er einanderes Zimmer nimmt oder abreist oder sich zu erkennen gibt. Der Herr Doktor sagt selber:Wenn das so weitergeht, muß Schulze nächstens die Treppen scheuern und Kartoffeln schälen.Glauben Sie das auch? Der Herr Geheimrat soll in Bruckbeuren scheuern? Er hat doch keineAhnung, wie das gemacht wird!Ich warte dringend auf Nachricht von Ihnen und verbleibe mit den besten GrüßenIhr unverbrüchlicher Johann Kesselhuth.«Das elfte KapitelDer einsame SchlittschuhläuferAm nächsten Morgen frühstückten die drei Männer gemeinsam.
Der Tag war noch schöner alsder vorige. Es hatte nachts nicht geschneit. Die Luft war frostklar. Die Sonne malte tiefblaueSchatten in den Schnee. Und der Oberkellner teilte mit, daß soeben vom Wolkenstein herrlichsteFernsicht gemeldet worden sei.
Die Gäste wimmelten im Frühstückssaal wie einNomadenstamm, der zur Völkerwanderung aufbricht.»Was unternimmt man heute?« fragte Schulze. Dann holte er, mit gespielter Umständlichkeit,eine Zigarre hervor, zündete sie an und musterte, über das brennende Streichholz hinweg, denedlen Spender.64Johann wurde rot. Er griff in die Tasche und legte drei Billetts auf den Tisch. »Wenn es Ihnenrecht ist«, sagte er, »fahren wir mit der Drahtseilbahn auf den Wolkenstein. Ich habe mir erlaubt,Fahr- und Platzkarten zu besorgen. Der Andrang ist sehr groß.
In einer halben Stunde sind wirdran. Allein möchte ich nicht fahren. Haben Sie Lust mitzukommen? Mittags muß ich allerdingswieder zurück. Wegen der zweiten Skistunde.«Dreißig Minuten später schwebten sie in einem rhombischen Kasten, der fünfzehn Personenfaßte, über den waldigen Hügeln, die dem Wolkenstein vorgelagert sind, und fuhren in einemziemlich steilen Winkel in den Himmel empor.So oft sie einen der betonierten Riesenmasten passierten, schwankte der Kasten bedenklich, undeinige der eleganten Sportsleute wurden unter der braunen Gesichtsfarbe blaß.Die Landschaft, auf die man hinunterblickte, wurde immer gewagter. Und der Horizont wichimmer weiter zurück.
Die Abgründe vertieften sich. Die Baumgrenze wurde überquert.Sturzbäche fielen an schroffen Felswänden hinab ins Ungewisse.Im Schnee sah man Wildspuren.Endlich, nach dem siebenten Pfeiler, waren die Abgründe überwunden. Die Erde kam wiedernäher. Die Landschaft nahm, auf einer höheren Ebene, wieder gemäßigte Formen an. Und diesonnenüberglänzten, weißen Hänge wimmelten von Skifahrern.»Es sieht aus wie weißer Musselin mit schwarzen Tupfen«, sagte eine Frau. Die meistenFahrgäste lachten.
Aber sie hatte recht.Kurz darauf gab es einen letzten herzhaften Ruck, und die Endstation, zwölfhundert Meter überBruckbeuren, war erreicht. Die Passagiere stolperten, von der Fahrt und der dünnen Luftbenommen, ins Freie, bemächtigten sich ihrer Schneeschuhe, schulterten sie und kletterten zumBerghotel Wolkenstein hinauf, um von dort aus eine der gepriesenen fünfundvierzig Abfahrtenin Angriff zu nehmen.Wohin man sah, zogen Schneeschuhkarawanen. Noch an den fernsten Steilhängen saustenwinzige Skirudel zu Tale.
Vor den Veranden des Hotels standen Touristen in Scharen undbohnerten ihre Bretteln; denn hier oben hatte es nachts Neuschnee gegeben.Nur auf der großen hölzernen Sonnenterrasse ging es friedlich zu. Hier gab es lange Reihen vonLiegestühlen. Und in diesen Liegestühlen schmorten eingeölte Gesichter und Unterarme.»Fünfzehn Grad unter Null«, sagte das eine Gesicht. »Und trotzdem kriegt man denSonnenstich.«»Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, erklärte ein anderes krebsrotes Gesicht.Schulze hielt seine Begleiter fest. »Meine Herren«, meinte er, »jetzt kaufen wir uns einFläschchen Nußöl, salben alles, was aus dem Anzug herausguckt, und pflanzen uns hin.«Hagedorn verschwand im Haus und besorgte Öl.
Kesselhuth und Schulze annektierten drei65Liegestühle. Dann fetteten sie sich ein und ließen sich rösten.»Der reinste Grill-Room«, behauptete Schulze.Wenn man die Augen halb öffnete, erblickte man unabsehbare Gipfelketten, in vielenZackenreihen hintereinander geschichtet, und dort, wo sie mit dem Firmament zusammenstießen,blitzte, durch die gesenkten Wimpern, ein eisiges Feuerwerk aus Gletschern und Sonne.Eine Stunde hielten sie das Gebratenwerden aus, dann erhoben sie sich. Sie lobten wechselseitigihre Hautfarbe, tranken Limonade und ergingen sich.Kesselhuth ließ sich von einem steinalten Fernrohrbesitzer die bekanntesten Berge zeigen undruhte nicht, bis er Gemsen gesehen hatte. Es konnte auch ein Irrtum gewesen sein.Die unermüdliche Drahtseilbahn spie immer neue Skifahrer aus.
Die schmalen, von hohenSchneemauern eingesäumten Wege waren belebter als die Straßen der Weltstädte. Und nachdemes einer schicken jungen Dame, die ihre Schneeschuhe geschultert trug, mit Hilfe einerunbedachten Wendung gelungen war, Herrn Schulze die Pudelmütze vom Kopf zu schlagen,gaben sie die Wanderung durch die Stille der Natur auf.