Drei-Maenner im Schnee E.Kaestner (549575), страница 18
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Der Verkehr war lebensgefährlich.Als sie in den Wagen der Drahtseilbahn steigen wollten, stießen sie mit Frau Caspariuszusammen. Sie war eben angekommen. Der dicke Herr Lenz schleppte seine und ihreSchneeschuhe und dampfte.Die Bremer Blondine trat zu Hagedorn und brachte ihren schwungvollen Jumper zur Geltung.»Sie kommen doch heute abend zu dem Kostümfest?« sagte sie.
Dann nickte sie und stiefeltebetont burschikos bergan.Nach dem Mittagessen wurde Kesselhuth feierlich vom Graswander Toni abgeholt.»Bittschön«, sagte der Toni. »Es ist wegen der Regelmäßigkeit. Gehn wir!«Johann nickte, trank einen Schluck Kaffee und zog an seiner Zigarre.»Sie sollten über Tag nicht rauchen«, erklärte der Toni.
»Das ist unsportlich, bittschön.«Kesselhuth legte folgsam die Zigarre beiseite und stand auf.»Please, Sir«, sagte der Toni und trollte sich.Herr Kesselhuth verabschiedete sich traurig und trabte hinter dem Skilehrer her.»Als ob er zur Schlachtbank geführt würde«, meinte Hagedorn. »Aber der Skianzug istfabelhaft!«»Kein Wunder«, sagte Schulze stolz. »Er ist ja auch bei meinem Schneider gearbeitet worden.«Hagedorn lachte herzlich und fand die Bemerkung großartig.Geheimrat Tobler war froh, daß seine unbedachte Äußerung als Witz aufgenommen worden war,und lachte, allerdings ein bißchen krampfhaft, mit. Dann blieb er jedoch nicht mehr lange sitzenund sagte: »Mahlzeit! Jetzt geht Papa Schlittschuh laufen.«66»Darf ich mitkommen?«Schulze hob abwehrend die Hand.
»Lieber nicht! Sollte sich wider Erwarten herausstellen, daßich es überhaupt noch kann, führe ich morgen vor geladenem Publikum etliche Eistänze vor. Dasmag Ihnen zum Trost gereichen.«Der junge Mann wünschte Hals- und Beinbruch und zog sich ins Schreibzimmer zurück, umseiner Mutter einen ausführlichen Brief zu schreiben.Herr Schulze holte seine Schlittschuhe aus der fünften Etage und begab sich zur Eisbahn. Erhatte Glück, er war der einzige Fahrgast.
Mühsam schnallte er die rostigen Schlittschuhe an dieschweren rindsledernen Stiefel. Dann stellte er sich auf die blitzblanke Fläche und wagte dieersten Schritte.Es ging.Er verschränkte die Hände auf dem Rücken und lief, noch etwas zaudernd, einmal rund um dieBahn. Dann blieb er aufatmend stehen und freute sich. Man war eben doch ein verfluchter Kerl!Nun wurde er wagemutiger. Er begann Bogen zu fahren. Der Rechtsbogen klappte besser als derlinke. Aber das war schon so gewesen, als er noch in die Schule ging. Das war nicht mehr zuändern.Er überlegte sich, was er damals alles gekonnt hatte.Er holte mit dem linken Bein Schwung und fuhr eine Drei.
Erst einen Auswärtsbogen, dann einewinzige Schleife und abschließend einen Rückwärtsbogen.»Donnerwetter«, sagte er hochachtungsvoll zu sich selber. »Gelernt ist gelernt.« Und nunriskierte er eine aus rechten Auswärts- und Einwärtsbogen zusammengestellte Acht. Das klappteauch! Die beiden Ziffern waren groß und deutlich in die Eisfläche graviert.»Und jetzt eine Pirouette«, sagte er laut, holte mit dem linken Bein und beiden Armen Schwung,drehte sich etwa zehnmal wie ein Kreisel um sich selber, lachte übermütig, da zog ihm eineunsichtbare Macht die Füße vom Eis! Er gestikulierte, es half nichts, er schlug lang hin, derHinterkopf dröhnte, das Eis knisterte, die Rippen schmerzten, Schulze lag still.
Er lag mitoffenen Augen und blickte verwundert himmelwärts.Minutenlang rührte er sich nicht. Dann schnallte er die Schlittschuhe ab. Ihn fröstelte. Er stelltesich auf die Füße, hinkte übers Eis zur Gittertür, drehte sich noch einmal um, lächelte wehmütigund sagte: »Wenn's dem Esel zu wohl wird...«Am späten Nachmittag saßen die drei Männer im Lesezimmer, studierten die Zeitungen undsprachen über wichtige Ereignisse der letzten Zeit. Sie wurden von Professor Heltai, demTanzlehrer des Hotels, unterbrochen. Er trat an den Tisch und bat Herrn Schulze, ihm zu folgen.Schulze ging mit.67Nach einer Viertelstunde fragte Kesselhuth: »Wo bleibt eigentlich Schulze?«»Vielleicht läßt er sich Unterricht in modernen Tänzen geben?«»Nicht sehr wahrscheinlich«, meinte Kesselhuth.
(Er hatte Hagedorns Bemerkung ernstgenommen.)Nach einer weiteren Viertelstunde brachen sie auf, Schulze zu entdecken. Sie fanden ihn, ohnegrößere Schwierigkeiten, in einem der Speisesäle.Er stand spreizbeinig auf einer hohen Leiter, schlug gerade einen Nagel in die Wand undverknotete an diesem eine Wäscheleine. Dann kletterte er herunter und schleppte die Leitervoller Eifer an die Nebenwand.»Haben Sie Fieber?« fragte Hagedorn besorgt.Schulze stieg auf die Leiter, nahm einen Nagel aus dem Mund und den Hammer aus derAnzugtasche. »Ich bin gesund«, sagte er.»Ihr Benehmen spricht dagegen.«»Ich dekoriere«, erklärte Schulze und schlug mit dem Hammer auf seinen Daumen.
Dannknotete er das andere Ende der Leine fest. Sie hing jetzt quer durch den Saal. »Eine allerliebsteBeschäftigung«, meinte er und kletterte wieder herunter. »Ich bin dem Professor der Tanzkunstbehilflich.«Da rückte Heltai mit zwei Stubenmädchen an, die einen großen Korb trugen. Die Mädchenreichten Schulze alte, zerlöcherte Wäschestücke hinauf, und er hängte sie dekorativ über dieLeine.Der Professor betrachtete die herabhängenden Hemden, Hosen, Strümpfe und Leibchen, kniffein Auge zu, zwirbelte sein schwarzes Schnurrbärtchen und rief: »Sehr fesch, mein Lieber!«Schulze schob in einem fort die Leiter durch den Saal, kletterte hinauf und herunter und hängteunermüdlich die dekorativen Fetzen auf.
Die Stubenmädchen kicherten über die zerlöcherte,vorsintflutliche Unterwäsche. Sogar ein riesiges Fischbeinkorsett war dabei.Der Professor rieb sich die Hände. »Sie sind ein Künstler, mein Lieber. Wann haben Sie dasgelernt?«»Soeben, mein Lieber«, sagte Schulze.Der Professor ließ, ob dieser burschikosen Entgegnung, seinen Schnurrbart los.
»AndereSaalseite gleichfalls!« rief er. »Ich hole Luftschlangen und Ballons.« Er verschwand.Schulze schäkerte mit den Zimmermädchen und tat überhaupt, als seien Hagedorn undKesselhuth längst fort.Johann ertrug den Anblick nicht länger. Er trat auf die Leiter zu und sagte: »Lassen Sie michhinauf!«»Für zwei ist kein Platz«, erwiderte Schulze.68»Ich will allein hinauf«, sagte Kesselhuth.»Das könnte Ihnen so passen«, antwortete Schulze hochmütig. »Spielen Sie lieber Bridge! FeineLeute können wir hier nicht gebrauchen!«Kesselhuth ging zu Hagedorn.
»Wissen Sie keinen Rat, Herr Doktor?«»Ich hab's ja kommen sehen«, meinte der junge Mann. »Passen Sie auf: Morgen läßt man ihnKartoffeln schälen!« Dann gingen die beiden, betrübt und im Gleichschritt, ins Lesezimmerzurück.Das zwölfte KapitelDer LumpenballNach dem Abendessen, das eine Stunde früher als sonst stattgefunden hatte, eilten die Gäste inihre Zimmer und verkleideten sich.Gegen zehn Uhr abends füllten sich die Säle, die Halle, die Bar und die Korridore mit Apachen,Bettlern, Zigeunerinnen, Leierkastenmännern, Indianerinnen, Einbrechern, Wilddieben, Zofen,Negern, Schulmädchen, Prinzessinnen, Schutzleuten, Menschenfressern, Spanierinnen,Vagabunden, hochbeinigen Pagen und Trappern.\ Es trafen übrigens auch auswärtige Verbrecher, Gepäckträger und Wahrsagerinnen ein.
Gästeanderer Hotels. Sie unterschieden sich von den andern dadurch, daß sie Eintritt zahlen mußten.Sie taten es gern. Die Kostümbälle im Grandhotel dauerten bis zum Morgengrauen.Die Direktion hatte zwei dörfliche Kapellen engagiert. In sämtlichen Sälen erscholl Tanzmusik.Scharen von Einheimischen waren da, in ihren wunderschönen alten Trachten.
Die Bauernsollten gegen Mitternacht bodenständige Tänze vorführen, Schuhplattler, Watschentänze undandere international berühmte Sitten und Gebräuche.Die Tanzweisen vermischten sich, da in jedem Saal etwas anderes gespielt wurde, zu einemwilden, ohrenbetäubenden Lärm.
Papierschlangen und Konfetti flogen durch die Luft.Bauernburschen trieben etliche Ziegen und ein schreckhaftes Schwein durch die Säle. Das Ferkelund die zur Lustigkeit entschlossenen Damen quiekten um die Wette. In der Halle war eineTombola errichtet. Alles, wasüberflüssig und entbehrlich ist, war in Pyramidenform vereinigt worden. (Die Lose und dieGewinne bezog der Tanzlehrer seit Jahren von einer Münchner Firma. Und der Reingewinn derLotterie fiel, auf Grund eines Gewohnheitsrechtes, an ihn.)Kesselhuth hatte während des Abendessens mitgeteilt, daß im Großen Saal ein Tisch mit dreiStühlen reserviert sei. Schulze und Hagedorn saßen, von verkleideten Menschen umgeben, andem für sie bestellten Tisch und warteten auf den Besitzer der gutgehenden Schiffahrtslinie.69Doktor Hagedorn war hemdsärmlig. Den Hals umschlang ein großes rotes Taschentuch.
Aufdem Kopf trug er eine schief und tief ins Gesicht gezogene Reisemütze. Er stellte ganzoffensichtlich einen Apachen dar.Schulze hatte sich noch weniger verwandelt. Er trug, diesmal allerdings innerhalb des Hotels,seine übliche sportliche Ausrüstung: den violetten Anzug, die Wickelgamaschen, diekleeblättrigen Manschettenknöpfe, die schwarzsamtenen Ohrenklappen und die feurig rotePudelmütze.
Ihm wurde langsam heiß.»Wo sind die Schlittschuhe?« fragte Hagedorn.»Hören Sie auf!« bat Schulze. »Erinnern Sie mich nicht an meinen Hinterkopf! Ich hatte völligvergessen, wie hart so eine Eisbahn sein kann. Als Schlittschuhläufer werde ich nicht mehrauftreten.«»Und Sie hatten sich so darauf gefreut«, sagte Hagedorn mitleidig.»Das ist nicht weiter schlimm«, erklärte Schulze.