Drei-Maenner im Schnee E.Kaestner (549575), страница 21
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Denn im Rahmen der Hoteltür stand der Graswander Toni undhatte zwei Paar Schneeschuhe auf der Schulter. Die dritte Lehrstunde nahte. Das Geheimnis desStemmbogens sollte enträtselt werden.Eduard und Fritz brachen etwas später auf. Sie planten einen Spaziergang. Zunächst statteten siejedoch ihrem Schneemann einen kurzen Besuch ab.
Der Ärmste taute. »Kasimir weint«,behauptete Hagedorn. »Das weiche Gemüt, Eduard, hat er von dir.«»Er weint nicht«, widersprach Schulze. »Er macht eine Abmagerungskur.«»Wenn wir Geld hätten«, meinte Hagedorn, »könnten wir ihm einen großen Sonnenschirmschenken, in den Boden stecken und über ihm aufspannen.
Ohne Schirm wird er zugrundegehen.«»Mit dem Geld ist das so eine Sache«, meinte Schulze. »Auch wenn wir welches hätten, —spätestens Anfang März stünde hier nur noch ein Schirm herum, und Kasimir wäreverschwunden. Die Vorteile des Reichtums halten sich sehr in Grenzen.«»Du sprichst, als ob du früher ein Bankkonto gehabt hättest«, sagte Hagedorn und lachtegutmütig. »Meine Mutter behauptet, Besitz sei häufig nichts anderes als ein Geschenk derVorsehung an diejenigen, die im übrigen schlecht weggekommen sind.«»Das wäre allzu gerecht«, erklärte Schulze. »Und allzu einfach.«Dann wanderten sie, in beträchtliche Gespräche vertieft, nach Schloß Kerms hinaus, sahen denBauern beim Eisschießen zu, folgten quellwärts einem zugefrorenen Gebirgsbach, mußten steilbergan klettern, glitten aus, schimpften, lachten, atmeten schwer, schwiegen, kamen durch weißeWälder und entfernten sich mit jedem Schritt mehr von allem, was an den letzten Schöpfungstagerinnert.Schließlich war die Welt zu Ende.
Es gab keinen Ausweg. Hohe Felswände behoben den letztenZweifel. Dahinter befand sich, sozusagen offensichtlich, das leere Nichts.Und von einem dieser Felsen stürzte ein Wasserfall herab. Nein, er stürzte nicht. Der Frost hatteihn mit beiden Armen im Sturz aufgehalten. Er war vor Schreck erstarrt. Das Wasser hatte sichin Kristall verwandelt.»Im Baedeker vergleicht man diesen Wasserfall mit einem Kronleuchter«, bemerkte Hagedorn.Schulze setzte sich auf eine eisgekühlte Baumwurzel und sagte: »Ein Glück, daß die Natur nicht77lesen kann!«Nach dem Kaffeetrinken ging Hagedorn auf sein Zimmer. Schulze versprach baldnachzukommen.
Wegen der kleinen Katzen und wegen eines großen Kognaks. Aber als er ausdem Lesesaal trat und auf die Treppe zusteuerte, wurde er von Onkel Folter gestört. »Sie sehenaus, als ob Sie sich langweilten«, meinte der Portier.»Machen Sie sich meinetwegen kein Kopfzerbrechen!« bat Schulze. »Ich langweile michniemals.« Er wollte gehen.Onkel Folter tippte ihm auf die Schulter.
»Hier ist eine Liste! Den Rucksack bekommen Sie inder Küche.«»Ich brauche keinen Rucksack«, meinte Schulze.»Sagen Sie das nicht!« erklärte der Portier und lächelte grimmig. »Das Kind der Botenfrau hatdie Masern.«»Gute Besserung! Aber was hat das arme Kind in dem Rucksack zu suchen, den ich in derKüche holen soll?«Der Portier schwieg und legte Briefe und Zeitungen in verschiedene Schlüsselfächer.Schulze betrachtete die Liste, die vor ihm lag, und las staunend:»100 Karten Wolkenstein-Panorama à 152, Tuben Gummiarabikum1 Rolle dunkelrote Nähseide50 Briefmarken à 253 Dutzendpackungen Rasierklingen2 Meter schmales weißes Gummiband5 Riegel Wasserglasseife1 Packung Pyramidon, große Tabl.1 Flasche Füllfedertinte1 Paar Sockenhalter, schwarz1 Paar Schuhspanner, Größe 371 Tüte Pfefferminztee1 Stahlbürste für Wildlederschuhe3 Schachteln Mentholdragees1 Hundeleine, grün, Lack4 Uhrreparaturen abholen1 Dutzend Schneebrillen1 kl.
Flasche Birkenwasser781 Aluminiumbrotkapsel für Touren.«Die Liste war keineswegs zu Ende. Aber Schulze hatte fürs erste genug. Er sah erschöpft hoch,lachte und sagte: »Ach, so ist das gemeint!«Der Portier legte einige Geldscheine auf den Tisch. »Schreiben Sie hinter jeden Posten den Preis.Am Abend rechnen wir ab.«Schulze steckte die Liste und das Geld ein. »Wo soll ich das Zeug holen?«»Im Dorf«, befahl Onkel Polter. »In der Apotheke, beim Friseur, auf der Post, beim Uhrmacher,in der Drogerie, beim Kurzwarenhändler, im Schreibwarengeschäft.
Beeilen Sie sich!«Der andere zündete sich eine Zigarre an und sagte, während er sie in Zug brachte: »Ich hoffe, eshier noch weit zu bringen. Daß ich jemals Botenfrau würde, hätte ich noch vor einer Woche fürausgeschlossen gehalten.« Er nickte dem Portier freundlich zu. »Hoffentlich bilden Sie sich nichtein, daß Sie mich auf diese Weise vor der Zeit aus Ihrem Hotel hinausgraulen.«Onkel Folter antwortete nicht.»Darf man schon wissen, was Sie morgen mit mir vorhaben?« fragte Schulze.
»Wenn es Ihnenrecht ist – ich möchte für mein Leben gern einmal Schornstein fegen! Wäre es Ihnen möglich zuveranlassen, daß der Schornsteinfeger morgen Zahnschmerzen kriegt?« Er ging strahlend seinerWege.Onkel Folter nagte über eine Stunde an der Unterlippe. Später fand er keine Zeit mehr dazu. DieGäste kehrten in Scharen von den Skiwiesen und von Ausflügen heim.Schließlich kam sogar der Hoteldirektor Kühne nach Hause.
»Was ist denn mit Ihnen los?«fragte er besorgt. »Haben Sie die Gelbsucht?«»Noch nicht«, sagte der Portier. »Aber es kann noch werden. Dieser Schulze benimmt sichunmöglich. Er wird immer unverschämter.«»Streikt er?« fragte Karl der Kühne.»Im Gegenteil«, meinte der Portier. »Es macht ihm Spaß!«Der Direktor öffnete wortlos den Mund.»Morgen möchte er Schornstein fegen!« berichtete Folter. »Es sei ein alter Traum von ihm.«Karl der Kühne sagte: »Einfach tierisch!« und ließ Herrn Folter in trübe Gedanken versunkenzurück.Geheimrat Tobler alias Herr Schulze brauchte zwei Stunden, bis er, von der Last des Rucksacksgebeugt, ins Hotel zurückkehrte. Er hatte sich übrigens nie so gut unterhalten wie während dieservon seltsamen Einkäufen ausgefüllten Zeit.
Der Uhrmacher hatte ihn beispielsweise über diepolitische Lage in Ostasien weitestgehend aufgeklärt, und über die wachsende wirtschaftlicheEinflußnahme Japans auf dem Weltmarkt. Der Provisor in der Apotheke hatte die Homöopathie79verteidigt und ihn für einen der nächsten Abende zu einem Viertel Roten in die Dorfschenkeeingeladen. Das blonde Ladenfräulein beim Friseur hatte ihn für den Ehemann der Botenfraugehalten. Und der Drogist hatte ihm, im Flüsterton, bei künftigen größeren Einkäufen Prozentein Aussicht gestellt.Er lud den Rucksack in der Hotelküche ab und begab sich in den fünften Stock, um dieAbrechnung für den Portier fertigzumachen. Er öffnete die Tür zu seinem Zimmer und mußtefeststellen, daß er Besuch hatte! Ein fremder, gutgekleideter Herr lag, mit dem Kopf vorneweg,unter dem Waschtisch, hämmerte emsig und hatte anscheinend keine Ahnung, daß er nicht mehrallein war.
Jetzt begann er sogar zu pfeifen. »Sie wünschen?« fragte Schulze laut und streng.Der Eindringling fuhr hoch, stieß mit dem Hinterkopf gegen die Tischkante und kam, rückwärtskriechend, ans Tageslicht.Es war Herr Kesselhuth! Er hockte auf dem Fußboden und machte ein schuldbewußtes Gesicht.»Sie sind wohl nicht bei Tröste!« sagte Schulze. »Stehen Sie gefälligst auf!«Kesselhuth erhob sich und klopfte seine Beinkleider sauber.
Mit der Hand, die übrigblieb,massierte er den Hinterkopf.»Was haben Sie unter meinem Waschtisch zu suchen?« fragte Schulze energisch.Der andere wies auf einen großen Karton, der auf dem Stuhl lag. »Es ist wegen der Steckdose,Herr Geheimrat«, sagte er verlegen. »Die war nicht ganz in Ordnung.«»Ich brauche keine Steckdosen!«»Doch, Herr Geheimrat«, antwortete Johann und öffnete den Karton. Es kam einenickelglänzende elektrische Heizsonne zum Vorschein. »Sie erkälten sich sonst zu Tode.« Erstellte das Gerät auf den Tisch, kroch erneut unter den Waschtisch, fügte den Stecker in denKontakt, kam wieder hervor und wartete gespannt.Allmählich begann das Drahtgitter zu erglühen, erst rosa, dann rot; und schon spürten sie, wiesich die eisige Dachkammer mit sanfter Wärme füllte.
»Das Wasser in der Waschschüssel tautauf«, sagte Johann und schaute selig zu seinem Gebieter hinüber.Tobler empfand diesen Blick, aber er erwiderte ihn nicht.»Und hier ist ein Kistchen Zigarren«, erklärte Kesselhuth schüchtern. »Ein paar Blumen habe ichauch besorgt.«»Nun aber nichts wie raus!« meinte der Geheimrat. »Sie hätten Weihnachtsmann werdensollen!«Inzwischen hatte auch Doktor Hagedorn Besuch erhalten. Es hatte geklopft. Er hatte, müde aufdem Sofa liegend, »Herein!« gerufen und gefragt: »Warum kommst du so spät, Eduard?«Aber der Besucher hatte geantwortet: »Ich heiße nicht Eduard, sondern Hortense.« Kurz und gut,80es war Frau Casparius! Sie war erschienen, um mit den drei siamesischen Katzen zu spielen.
Unddas tat sie denn auch. Sie saß auf dem Teppich und stellte Gruppen.Schließlich fand sie, daß sie sich lange genug als Tierfreundin betätigt hatte, und wandte sichdem eigentlichen Zweck ihrer Anwesenheit zu. »Sie sind nun schon drei Tage hier«, sagte sievorwurfsvoll. »Wollen wir morgen einen Ausflug machen? Wir nehmen den Lunch mit undgehen bis zur Lamberger Au.
Dort legen wir uns in die Sonne. Und wer zuerst den Sonnenstichhat, darf sich etwas wünschen.«»Ich wünsche mir gar nichts«, erklärte der junge Mann. »Nicht einmal den Sonnenstich.«Sie hatte sich in einen geräumigen Lehnstuhl gesetzt, zog die Beine hoch und legte die Arme umdie Knie. »Wir könnten auch folgendes unternehmen«, meinte sie leise. »Wir könnten die Kofferpacken und ausreißen. Was halten Sie von Garmisch?«»Garmisch ist meines Wissens ein reizender Ort«, sagte er. »Aber Eduard wird es wahrscheinlichnicht erlauben.«»Was geht uns denn Eduard an?« fragte sie ärgerlich.»Er vertritt Mutterstelle an mir.«Sie wiegte den Kopf.
»Wir könnten mit dem Nachtzug fahren. Kommen Sie. Jede Stunde istkostbar. An ein Fortleben nach dem Tode glaube ich nämlich nicht recht.«»Also deswegen haben Sie's so eilig!« meinte er. Es klopfte. Er rief: »Herein!«Die Tür ging auf. Schulze trat ein. »Entschuldige, Fritz. Ich hatte ein paar Besorgungen zumachen. Bist du allein?«»Sofort!« sagte Frau Hortense Casparius, sah durch Herrn Schulze hindurch, als sei er aus Glas,und ging.Das vierzehnte KapitelDie Liebe auf den ersten BlickAm nächsten Nachmittag geschah etwas Außergewöhnliches: Hagedorn verliebte sich! Er tatdies im Hotelautobus, der neue Gäste vom Bahnhof brachte und den er, von einem kleinenAusflug kommend, unterwegs bestieg.