Drei-Maenner im Schnee E.Kaestner (549575), страница 16
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Die Sonne ging unter. Es schimmerten nur noch die höchstenGipfel. — Die Eisbahn befand sich auf dem Tennisgelände. Aber es lief niemand Schlittschuh.Die Eisfläche war hoch mit Schnee bedeckt. Am anderen Ende der Bahn schippten zwei Männer.59Hagedorn hörte sie reden und lachen. Er ging an dem hohen Drahtgitter entlang, um den Platzherum. Als er nahe genug war, rief er: »Entschuldigen Sie, haben Sie einen großen älteren Herrngesehen, der Schlittschuh laufen wollte?«Einer der beiden Arbeiter rief laut zurück: »Jawohl, mein Lieber! Der große ältere Herr schipptSchnee!«»Schulze?« fragte Hagedorn. »Sind Sie's wirklich? Ihnen ist wohl die Sicherungdurchgebrannt?«»Keineswegs!« antwortete Schulze heiter. »Ich treibe Ausgleichsgymnastik!« Er hatte die rotePudelmütze auf dem Kopf sitzen, trug die schwarzen Ohrenklappen, die dickenStrickhandschuhe und zwei Paar Pulswärmer.
»Der Portier hat mich als technische Nothilfeeingesetzt.«Hagedorn betrat, tastenden Schritts, die gekehrte Eisfläche und lief vorsichtig zu den beidenMännern hinüber.Schulze schüttelte ihm die Hand.»Aber das gibt's doch gar nicht«, meinte der junge Mann verstört. »So eine Unverschämtheit!Das Hotel hat doch Angestellte genug!«Sepp, der Gärtner und Skihallenwächter, spuckte in die Hände, schippte weiter und sagte:»Freilich hat es das. Es dürfte eine Schikane sein.«»Ich kann das nicht finden«, erklärte Schulze.
»Der Portier ist um meine Gesundheit besorgt.«»Kommen Sie sofort hier weg!« sagte Hagedorn. »Ich werde den Kerl ohrfeigen, bis er weißeMäuse sieht!«»Mein Lieber«, sagte Schulze. »Ich bitte Sie noch einmal, sich nicht in diese Angelegenheithineinzumischen. «»Ist noch eine Schippe da?« fragte der junge Mann.»Das schon«, meinte der Sepp. »Aber der halbe Platz ist gekehrt. Das andere schaff ich allein.Gehen S' jausen, Herr Schulze!«»War ich sehr im Wege?« fragte der ältere Herr schüchtern.Der Sepp lachte. »Leicht! Studiert haben S' nicht auf das Schippen.«Schulze lachte auch. Er verabschiedete sich kollegial, drückte dem Einheimischen ein paarGroschen in die Hand, lehnte sein Handwerkszeug ans Gitter und ging mit Hagedorn durch denPark ins Hotel zurück. »Morgen lauf ich Schlittschuh«, sagte er. »Aber vielleicht kann ich's garnicht mehr.
Zu dumm, daß keine Wärmbude da ist. Das war immer das Schönste am Eislaufen.«»Ich ärgere mich«, gestand Hagedorn. »Wenn Sie jetzt keinen Krach machen, werden Siespätestens übermorgen die Treppen scheuern. Beschweren Sie sich wenigstens beim Direktor!«»Der Direktor steckt doch auch dahinter. Man will mich hinausekeln.
Ich finde es sehr60spannend.« Schulze schob seinen Arm unter den des jungen Mannes. »Es ist eine Marotte vonmir. Knurren Sie nicht! Vielleicht verstehen Sie mich später einmal!«»Das glaube ich kaum«, antwortete Hagedorn. »Sie sind zu gutmütig. Deshalb haben Sie's auchin Ihrem Leben zu nichts gebracht.«Der andere mußte lächeln. »Genauso ist es. Ja, es kann nicht jeder Mensch Thronfolger vonAlbanien sein.« Er lachte. »Und nun erzählen Sie mir ein bißchen von Ihren Liebesaffären! Waswollte denn die dunkle Schönheit, die auf die Terrasse kam, um Ihren Schlaf zu bewachen?«»Es ist eine Frau von Mallebré.
Und ich soll sie unbedingt retten. Sie gehört nämlich zu denFrauen, die das Niveau des Mannes annehmen, in den sie gerade verliebt sind. Auf diesem Wegehat sie sich nun eine Oberflächlichkeit zugezogen, die sie endlich wieder loswerden will. Zudieser Kur braucht sie umgehend einen gebildeten, geistig hochstehenden Menschen. Und derbin ich!«»Sie Ärmster«, sagte Schulze. »Wenn die Person nur nicht so hübsch wäre! Na, und dieBlondine aus Bremen, will die auch gerettet werden?«»Nein.
Frau Casparius ist für die einfachere Methode. Sie behauptet, wir zwei seien jung undunbeschäftigt; und es sei eine Sünde, wenn wir einander etwas abschlügen. Sie wollte sichbereits gestern abend die drei siamesischen Katzen ansehen.«»Vorsicht, Vorsicht!« sagte Schulze. »Welche gefällt Ihnen besser?«»Ich bin für Flirts zu schwerfällig. Und ich möchte so bleiben. Auf Erlebnisse, über die man sichhinterher ärgert, bin ich nicht mehr neugierig. Andererseits: Wenn sich Frauen etwas in den Kopfgesetzt haben, führen sie es meistens durch. Sagen Sie, Schulze, könnten Sie nicht ein bißchenauf mich aufpassen?«»Wie eine Mutter«, erklärte der andere pathetisch.
»Die bösen Frauen dürfen Ihnen nichts tun.«»Verbindlichen Dank«, sagte Hagedorn.»Als Belohnung kriege ich aber jetzt in Ihrem Salon einen Kognak. Schneeschippen machtdurstig. Außerdem muß ich den kleinen Katzen guten Tag sagen. Wie geht's ihnen denn?«»Sie haben schon nach Ihnen gefragt«, erklärte der junge Mann.Währenddessen saß der angebliche Schiffahrtslinienbesitzer Kesselhuth in seinem Zimmer undverfaßte einen verzweifelten Brief.
Er schrieb:»Liebes Fräulein Hildegard!Ich habe mich wieder einmal zu früh gefreut. Ich dachte schon, es wäre alles soweit gut undschön. Aber als Doktor Hagedorn und ich heute nachmittag den Herrn Geheimrat suchten,fanden wir ihn nicht. Hagedorn hat natürlich keine blasse Ahnung, wer Herr Schulze in61Wirklichkeit ist.Wir suchten den Herrn Geheimrat in seinem Zimmer. Und das ist wohl das Verheerendste, wassich denken läßt. Dieses Zimmer liegt im fünften Stock, hat lauter schiefe Wände und istüberhaupt kein Zimmer, sondern eine Rumpelkammer mit Bett.
Es gibt keinen Ofen und nichts.Das Fenster ist direkt überm Kopf. Der Schnee tropft herein und wird zu kleinen Eiszapfen. EinSchrank ist keiner da. Sondern die Wäsche liegt auf dem Tisch und in dem Spankorb, den Sie jakennen.Wenn Sie diese hundekalte, elende Bude sehen würden, fielen Sie sofort um. Von Frau Kunkelgar nicht zu reden.Ich habe selbstverständlich sofort aufgeräumt. Und Zigarren und Äpfel auf den Tisch gelegt.Nebst einer Vase mit Tannenzweigen drin. Als Schmuck. Morgen kauf ich eine elektrischeHeizsonne im Ort. Hoffentlich gibt es eine solche.
Die stelle ich heimlich hin. Ein Kontakt ist da.Heute hat mich niemand gesehen. Das ist ein Glück. Denn der Herr Geheimrat will nicht, daß ichhinaufkomme. Weil ich ein reicher Mann sein muß. Und weil ich nicht merken soll, wie erwohnt. Er hat mir nämlich erzählt, sein Zimmer sei reizend und luftig. Luftig ist es ja wirklich.Wenn er uns bloß nicht krank wird!Nicht einmal die Zimmernummer hat er mir gesagt! Das Zimmer hat gar keine Nummer. Aber erverschwieg sie nicht nur deswegen, sondern auch, damit ich die Rumpelkammer nicht finde. Erhätte sie allerdings auch nicht sagen können, wenn er gewollt hätte. Doch er wollte ja gar nicht.Ich weiß kaum, was ich machen soll.
Denn wenn ich ihn bitte, umzuziehen oder abzureisen, wirder mich wieder beschimpfen. Oder ich muß sofort nach Berlin zurück, und was soll dannwerden? Sie kennen ihn ja.Wenn auch nicht so lange wie ich. In dieser Rumpelkammer würde bestimmt kein Dienerwohnen bleiben, sondern beim Arbeitsgericht klagen.Über mich ist nichts weiter zu erzählen. Heute früh hatte ich die erste Skistunde. Die Brettelnsind sehr teuer.
Doch mir kann es nur recht sein. Ich soll ja das Geld hinauswerfen. Der Skilehrerheißt Toni Graswander. Toni ist Anton. Ich habe ihn gefragt. — Er hat mir auf einerÜbungswiese gezeigt, wie man's machen soll. Das Absatzheben und die Stöcke und andereDinge. Leider lag die Wiese auf einem Berg.
Und plötzlich fuhr ich ab, obwohl ich gar nichtwollte. Es hat sicher sehr komisch ausgesehen. Trotzdem hatte ich Angst, weil es so rasch fuhr.Ich bin, glaube ich, bloß vor Schreck nicht hingefallen. Zum Glück waren keine Bäume in derGegend. Ich sauste sehr lange bergab. Dann fuhr ich über eine große Wurzel. Und sprang hoch.Und fiel mit dem Kopf in den Schnee. Mindestens einen Meter tief.Später wurde ich von zwei Herren herausgezogen. Sonst wäre ich eventuell erstickt. Die zweiHerren waren der Herr Geheimrat und der Doktor Hagedorn. Das war sicher Schicksal. Finden62Sie nicht auch? Morgen habe ich die zweite Stunde.
Das hilft nun alles nichts.Liebes Fräulein Hilde, jetzt ziehe ich den Smoking an und gehe zum Abendessen. Vorläufig dieherzlichsten Grüße. Ich lasse das Kuvert offen. Womöglich ist schon wieder etwas Neueseingetreten. Hoffentlich nein. Also bis nachher.«Das Abendessen verlief ohne Störungen. Hagedorn bekam Nudeln mit Rindfleisch. DieHerrschaften, die an den Nachbartischen saßen und Hors d'ceuvres und gestowte Rebhühnerverzehrten, blickten auf Hagedorns Terrine, als sei Nudelsuppe mit Rindfleisch dieausgefallenste Delikatesse.Schulze bekam einen Teller ab, weil er sagte, er esse es für sein Leben gern. Dann ging erschlafen.