Drei-Maenner im Schnee E.Kaestner (549575), страница 19
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»Ich hatte mich vorübergehend in meinemAlter geirrt.« Er lächelte freundlich. »Wie gefallen Ihnen aber meine Dekorationen, jungerFreund?« Er schaute sich zufrieden um.Hagedorn erklärte, hingerissen zu sein.»Das ist recht«, sagte Schulze. »Wo jedoch steckt unser lieber Kesselhuth?«In diesem Augenblick füllte jemand, der hinter ihnen stand, die drei Weingläser.»Wir haben keinen Wein bestellt«, sagte Hagedorn erschrocken. »Ich möchte ein helles Bierhaben.«»Ich meinerseits auch«, meinte Schulze.Da lachte der Kellner. Und als sie sich erstaunt umdrehten, war es gar kein Kellner, sondern HerrJohann Kesselhuth.
Er trug die Toblersche Livree, seinen altgewohnten, geliebten Anzug, undblickte Herrn Schulze, um Entschuldigung bittend, in die Augen.»Großartig!« rief Hagedorn. »Ich will Sie nicht kränken, Herr Kesselhuth, aber Sie sehen wie dergeborene herrschaftliche Diener aus!«»Ich fühle mich nicht gekränkt, Herr Doktor«, sagte Kesselhuth. »Wenn ich nicht Alexanderwäre, möchte ich Diogenes sein.«Die drei Männer amüsierten sich königlich. Jeder auf seine Weise. Herr Kesselhuthbeispielsweise stand, obwohl er schließlich Besitzer einer Schiffahrtslinie war, glückseliglächelnd hinter dem Stuhl, auf dem Schulze saß, und nannte den armen Kerl, der die Eisbahnhatte kehren müssen, bei jeder Gelegenheit »gnädiger Herr«. Und Schulze rief den ReederKesselhuth unentwegt beim Vornamen.
»Johann, bitte Feuer!« Und: »Johann, Sie trinkenzuviel!« Und: »Johann, besorgen Sie uns drei Schinkenbrote!«70Hagedorn meinte: »Kinder, das klappt, als ob ihr die Rollen jahrelang einstudiert hättet.«»Sie sind ein Schlaumeier«, sagte Schulze. Und Kesselhuth lachte geschmeichelt. Später kam derdicke Herr Lenz an den Tisch. Er hatte sich als Kaschemmenwirt verkleidet, trug eine halbleereFlasche Danziger Goldwasser unterm Arm und fragte Schulze, ob er sich denn nicht an derPrämiierung der drei gelungensten Lumpenkostüme vormerken lassen wolle.
»Sie kriegentodsicher den ersten Preis«, sagte er. »So echt wie Sie können wir andern gar nicht aussehen!Wir sind ja bloß verkleidet.«Schulze ließ sich überreden und ging mit Lenz zu Professor Heltai, der die Startnummern für denWettbewerb zu verteilen hatte. Doch der Tanzlehrer zwirbelte den Schnurrbart und sagte: »Tutmir leid, mein Lieber. Sie fallen nicht unter die Bestimmungen. Sie sind nicht kostümiert. Siesehen nur so aus. Sie sind ein Professional.«Lenz war, weil er Rheinländer war, leicht erregbar. Aber der Professor blieb hart. »Ich habemeine Anweisungen«, erklärte er abschließend.»Na denn nicht, liebe Tante!« sagte Schulze und machte kehrt.
Als er zum Tisch zurückkam, warHagedorn verschwunden.Johann hockte solo und sprach dem Alkohol zu. »Ein kleines Schulmädchen, in einem kurzenRock und mit einem Ranzen auf dem Rücken, hat ihn weggeholt«, berichtete er. »Es war dieDame aus Bremen.«Sie gingen auf die Suche und gerieten versehentlich an die Tombola. Johann kaufte, auf Toblersleisen Befehl, dreißig Lose. Acht Gewinne waren darunter! Und zwar eine gerahmteAlpenlandschaft, die von einem einheimischen Ölmaler stammte. Ein großer Teddybär, der»Muh!« sagen konnte.
Eine Flasche Kölnischwasser. Noch eine Flasche Kölnischwasser. Nochein Teddybär. Eine Rolle Papierschlangen. Ein Karton Briefpapier. Und noch eine FlascheKölnischwasser.Sie beluden sich mit den Gewinnen und ließen im Nebenraum eine Blitzlichtaufnahme machen.»Des Jägers Heimkehr«, meinte der Geheimrat. Und dann drängten sie sich weiter durch dasGewühl. Von Saal zu Saal. Durch alle Korridore. Aber Hagedorn war nicht zu finden.»Wir müssen ihn finden, Johann«, sagte der Geheimrat. »Das Bremer Schulmädchen hat ihnnatürlich verschleppt. Dabei hat er mich auf beiden Knien beschworen, ihm eine Art Mutter zusein.«In der Bar war der verlorene Sohn auch nicht.
Johann nahm die Gelegenheit wahr und beganndie Gewinne wegzuschenken. Das Kölnischwasser fand bei den Bauernmädchen reißendenAbsatz. Eine der Holländerinnen bekam ungefragt die ölgemalte Alpenlandschaft in die Handgedrückt und bedankte sich holländisch.
»Wir verstehen dich ja doch nicht«, erwiderte Johannunwillig, gab ihr den Karton mit dem Briefpapier als Zugabe und sagte: »Kein Wort weiter!«71Sie kehrten an ihren Tisch zurück. Hagedorn war noch immer nicht da. Johann setzte die zweiTeddybären auf den dritten Stuhl. Der Geheimrat nahm die schwarzen Ohrenklappen ab. »Es istmerkwürdig«, erklärte er. »Aber ohne Ohrenklappen schmeckt der Wein besser. Was, um alles inder Welt, hat das Gehör mit den Geschmacksnerven zu tun?«»Nichts«, sagte Johann.Anschließend begannen sie zu experimentieren.
Sie hielten sich die Ohren zu und tranken. Siehielten sich die Augen zu und tranken.»Fällt Ihnen etwas auf?« fragte Tobler.»Jawohl«, antwortete Johann. »Sämtliche Leute starren herüber und halten uns für blödsinnig.«»Was fällt Ihnen sonst noch auf?«»Man kann machen, was man will, — der Wein schmeckt großartig. Prosit!«Währenddem saß Frau Casparius, eine große Schleife im Haar, und auch sonst als halbwüchsigesSchulmädchen verkleidet, mit dem Apachen Fritz Hagedorn in dem verqualmten, überfülltenBierkeller. An ihrem Tisch saßen außerdem noch viele andere Gäste. Sie waren ebenfallskostümiert, aber sie litten darunter.Das rund dreißigjährige Schulkind klappte den Ranzen auf, holte eine Puderdose heraus undbetupfte sich die freche Nase mit einer rosa Quaste.Der junge Mann sah ihr zu.
»Was machen die Schularbeiten, Kleine?«»Ich brauche dringend ein paar Nachhilfestunden. Vor allem in Menschenkunde. Da tauge ichgar nichts.«»Du mußt warten, bis du größer wirst«, riet er. »Auf diesem Gebiet lernt man nur durchErfahrung.«»Falsch«, sagte sie. »Wenn es darnach ginge, müßte ich die Beste in der ganzen Klasse sein.Aber es geht nicht darnach.«»Schade.
Dann war dein ganzer Fleiß vergeblich? Oh, du armes Kind!«Sie nickte.»Was willst du denn mal werden, wenn du aus der Schule kommst?«»Straßenbahnschaffner«, sagte sie. »Oder Blumenförster. Oder, am allerliebsten, Spazierführer.«»Aha. Das ist aber auch ein interessanter Beruf! Ich wollte eigentlich Schneemann werden.Schneeleute haben über ein halbes Jahr Ferien.«»Heißt es nicht Schneemänner?«»Es heißt Schneeleute. Aber als Schneemann braucht man das Abitur.«»Und was sind Sie statt dessen geworden?« fragte sie.»Erst war ich Tortenzeichner«, antwortete er.
»Und jetzt bin ich Selbstbinder. Man hat sein72Auskommen. Ich besitze einen eigenen Wagen. Einen Autobus. Wegen der großenVerwandtschaft. Wenn du einmal in Berlin bist, fahr ich dich herum. Ich habe Blumenkästen amChassis.«Das Schulmädchen klatschte in die Hände. »Schön!« rief sie. »Mit Pelargonien?«»Natürlich«, sagte er. »Andere Blumen passen überhaupt nicht zu Autobussen.«Nun wurde es den anderen Leuten am Tisch endgültig zuviel. Sie zahlten und gingen fluchtartigihrer Wege.Das Schulkind freute sich und sagte: »Wenn wir noch lauter sprechen, haben wir in zehnMinuten das Lokal ganz für uns allein.«Der Plan zerschlug sich.
Erst kam Lenz, der Kaschemmenwirt. Seine Flasche Goldwasser warleer. Er bestellte Burgunder und sang rheinische Lieder. Und dann erschien Frau von Mallebré.Mit Baron Keller. Sie ging, weil sie schöne, schlanke Beine hatte, als Palastpage gekleidet.Keller trug seinen Frack. Man begrüßte einander so freundlich wie möglich.»Im Frack?« fragte Hagedorn erstaunt.Keller klemmte das Monokel noch fester. »Ich kostümiere mich nie. Es liegt mir nicht.
Ich kannso was nicht komisch finden.«»Aber im Frack zum Lumpenball!« meinte das kleine Schulmädchen.»Warum denn nicht?« bemerkte der dicke Lenz. »Es gibt auch Lumpen im Frack!« Und dannlachte er ausschweifend.Der Baron verzog den Mund. Und Hagedorn erklärte, leider gehen zu müssen.»Bleiben Sie doch noch«, bat der Page. Und das Schulmädchen begann laut zu schluchzen.»Ich habe mein Wort verpfändet«, meinte der junge Mann. »Wir Apachen sind ein emsigesVolk. Es handelt sich um einen Einbruch.«»Was wollen Sie denn stehlen?« fragte Lenz.»Einen größeren Posten linker Handschuhe«, sagte Hagedorn geheimnisvoll. Er legte einenFinger an den Mund und entfernte sich schnell.Die beiden älteren Herren winkten, als sie ihn kommen sahen.
»Wo waren Sie mit demSchulmädchen?« fragte Schulze sittenstreng. »Habt ihr gut gefolgt?« »Lieber, mütterlicherFreund«, sagte der junge Mann. »Wir haben nur davon gesprochen, was die Kleine, wenn sie ausder Schule kommt, werden will.«»Pfui, Herr Doktor!« rief Kesselhuth.»Na, und was will sie werden?« fragte Schulze.»Sie weiß es noch nicht genau. Entweder Blumenförster oder Spazierführer.«Die beiden älteren Herren versanken in Nachdenken.