Drei-Maenner im Schnee E.Kaestner (549575), страница 27
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»Folgen Sie mir endlich!« Hierbei legte er seine Rechteauf Schutzes Schulter. »Ein bißchen plötzlich, bitte!«Da aber drehte sich Schulze herum und schlug dem Portier energisch auf die Finger. »NehmenSie sofort die Hand von meinem Anzug!« fügte er drohend hinzu. »Ich möchte Sie daraufaufmerksam machen, daß ich jähzornig bin.«Der Portier bekam Fäuste. Sein Atem pfiff. Er erinnerte an eine Kaffeemaschine, die denSiedepunkt erreicht hat. Aber er sagte nur: »Wir sprechen uns noch.« Dann ging er.
An denNebentischen wurde erregt geflüstert. Die Augen der Bremer Blondine schillerten giftig.»Hätten Sie ihm doch eine geklebt«, meinte Tante Julchen. »Es ist immer dasselbe, HerrGeheimrat. Sie sind zu gutmütig.«»Ruhe!« flüsterte Tobler. »Die Kinder kommen.«Als sich Doktor Hagedorn fürs Abendessen umkleidete, brachte der Liftboy einenEinschreibebrief und, mit Empfehlungen vom Portier, ein paar ausländische Briefmarken. Fritzquittierte.
Dann öffnete er den Umschlag. Wer schickte ihm denn Einschreibebriefe nachBruckbeuren? Er stolperte lesend über den Teppich. Er fiel aufs Sofa, mitten zwischen die dreispielenden Katzen, und starrte hypnotisiert auf das Schreiben. Dann drehte er das Kuvert um.
EinStück Papier rutschte heraus. Ein Scheck über fünfhundert Mark! Er fuhr sich aufgeregt durchsHaar.Eine der Katzen kletterte auf seine Schulter, rieb ihren Kopf an seinem Ohr und schnurrte. Erstand auf, hielt sich, weil ihm schwindelte, am Tisch fest und trat langsam zum Fenster. Vor ihmlagen der verschneite Park, die spiegelglatte Eisbahn, die Skihalle mit dem weißen Dach.
Einpaar Liegestühle waren vergessen worden. Hagedorn sah nichts von alledem.Die Katze krallte sich ängstlich in dem blauen Jackett fest. Sie machte einen Buckel. Er liefkreuz und quer durchs Zimmer. Sie miaute kläglich. Er nahm sie von seiner Schulter, setzte sieauf den Rauchtisch und ging weiter. Er bückte sich, nahm den Scheck hoch, den Brief auch.Dann sagte er: »Nun ist der Bart ab!« Etwas Passenderes fiel ihm nicht ein.Plötzlich rannte er aus dem Zimmer. Im Korridor begegnete ihm das Stubenmädchen. Sie blickteihn lächelnd an, wünschte guten Abend und fragte: »Haben der Herr Doktor absichtlich keineKrawatte umgebunden?«Er blieb stehen.
»Wie bitte? Ach so. Nein. Danke schön.« Er ging in seine Gemächer zurück.Hier begann er zu pfeifen. Etwas später begab er sich, die Tür weit offen lassend, zum Portierhinunter und verlangte ein Telegrammformular.»Entschuldigung, Herr Doktor. Haben Sie absichtlich keine Krawatte umgebunden?«102»Wieso?« fragte Hagedorn. »Ich war doch extra deswegen noch einmal in meinem Zimmer!« Ergriff sich an den Hemdkragen und schüttelte den Kopf.»Tatsächlich! Na, erst muß ich depeschieren.« Er beugte sich über das Formular und adressiertees an: »Fleischerei Kuchenbuch, Charlottenburg, Mommsenstraße.« Dann schrieb er: »AnrufeDienstag 10 Uhr stop erbitte Mutter ans Telefon stop vorbereitet freudige Mitteilung.
FritzHagedorn.«Er reichte das Formular über den Tisch. »Wenn meine Mutter eine Depesche kriegt, denkt sie,ich bin unter eine Lawine gekommen. Drum depeschiere ich dem Fleischer von nebenan. DerMann hat Gemüt.«Der Portier nickte höflich, obwohl er nicht verstand, worum es sich handelte.Hagedorn ging in den Speisesaal. Die anderen saßen schon bei Tisch. Er sagte: »Mahlzeit!« undnahm Platz.»Haben Sie absichtlich keine Krawatte umgebunden?« fragte Tante Julchen.»Ich bitte um Nachsicht«, meinte er. »Ich habe heute einen Webefehler.«»Wovon denn, mein Junge?« erkundigte sich Schulze.Hagedorn klopfte mit einem Löffel ans Glas.
»Wißt ihr, was los ist? Ich bin engagiert! Ich habevom nächsten Ersten ab eine Anstellung! Mit achthundert Mark im Monat! Es ist zumÜberschnappen! Eduard, hast du noch keinen Brief bekommen? Nein? Dann kriegst du ihn noch.Verlaß dich drauf! Man schreibt mir, wir zwei hätten künftig geschäftlich miteinander zu tun.Freust du dich, oller Knabe? Hach, ist das Leben schön!« Er blickte den SchifffahrtsbesitzerJohann Kesselhuth an. »Haben Sie vielen Dank! Ich bin so glücklich!« Er drückte demsoignierten alten Herrn gerührt die Hand. »Eduard, bedanke dich auch!«Schulze lachte. »Das hätte ich fast vergessen. Also, besten Dank, mein Herr!«Kesselhuth rutschte verlegen auf seinem Stuhl hin und her.
Tante Julchen sah verständnislos voneinem zum anderen.Hagedorn griff in die Tasche und legte den Scheck über fünfhundert Mark neben Hildes Teller.»Eine Sondergratifikation! Kinder, ist das eine noble Firma! Fünfhundert Mark, noch ehe manden kleinen Finger krumm gemacht hat! Der Abteilungschef schreibt, ich möge mich imInteresse des Unternehmens bestens erholen. Bestens! Was sagt ihr dazu?«»Prächtig, prächtig«, meinte Hilde.
»Da kannst du morgen gleich deiner Mutter etwas schicken,nicht?«Er nickte. »Jawohl! Zweihundert Mark! Außerdem kommt sie früh zu Kuchenbuchs. Ich erzähleihr alles am Telefon.«»Kuchenbuchs?« fragte Eduard.»Das ist der Fleischer, bei dem wir kaufen. Ich habe ihm eben eine Depesche geschickt. Er soll103meine Mutter schonend vorbereiten.
Sonst erschrickt sie zu Tode.«Hilde sagte: »Ich gratuliere dir zu deiner Anstellung von ganzem Herzen.«»Ich dir auch«, antwortete er fröhlich. »Nun kriegst du endlich einen Mann.«»Wen denn?« fragte Tante Julchen. »Ach, so, ich weiß schon. Na ja. Damit Sie's wissen, HerrDoktor, ich bin nicht sehr dafür.«»Es tut mir leid«, sagte er. »Aber ich kann leider auf Hildes Tanten keine Rücksicht nehmen.Das würde zu weit führen. Liebling, ob dein Vater einverstanden sein wird? Achthundert Marksind doch 'ne Stange Geld.«Frau Kunkel lachte despektierlich.»Paß mal auf«, sagte Hilde.
»Wir werden sogar sparen. Wir brauchen kein Dienstmädchen,sondern ich lasse dreimal in der Woche eine Aufwartefrau kommen.«»Aber wenn der Junge da ist, nehmen wir ein Dienstmädchen«, erklärte Hagedorn besorgt. •;»Welcher Junge?« fragte die Tante.»Unser Junge!« sagte Hilde stolz.»Wir werden ihn Eduard nennen«, bemerkte der künftige Papa. »Im Hinblick auf meinenFreund.«»Und wenn es ein Mädchen ist?« fragte Schulze besorgt.»Für diesen Fall möchte ich Eduardine vorschlagen«, erklärte Herr Kesselhuth.»Sie sind ein findiger Kopf«, sagte Schulze anerkennend.»Es wird bestimmt ein Junge«, versicherte Hagedorn.Hilde meinte: »Ich habe auch so das Gefühl.« Und dann wurde sie rot bis über beide Ohren.Tante Julchen rang nach neuem Gesprächsstoff.
Sie fragte: »Welche Firma hat Sie dennengagiert?«Hagedorn warf sich in die Brust: »Sie werden staunen, Tantchen. Die Toblerwerke!«Tante Julchen staunte wirklich. Sie staunte so sehr, daß ihr ein Hühnerknochen in dieSpeiseröhre geriet. Die Augen traten ihr faustdick aus dem Kopf. Sie hustete aus tiefster Seele.Man flößte ihr Wasser ein.Man hielt ihr die Arme hoch. Sie riß sich los, warf einen gequälten Blick auf Herrn Schulze undentwich.»Hat sie das häufig?« fragte Fritz, als sie fort war.»Seit sie meine Tante ist«, wollte Hilde eigentlich sagen.
Aber sie sah die Augen ihres Vatersund die des Dieners Johann auf sich gerichtet und erklärte: »Die Freude wird sie überwältigthaben.«Am gleichen Abend fand, eine Stunde später, ein Gespräch statt, das nicht ohne Folgen bleiben104sollte. Frau Casparius kam zu Onkel Folter, der hinter seinem Ladentisch saß und eine englischeZeitung überflog. »Ich habe mit Ihnen zu reden«, erklärte sie.Er stand langsam auf. Die Füße taten ihm weh.»Wir kennen einander seit fünf Jahren, nicht wahr?«»Jawohl, gnädige Frau.
Als Sie das erstemal bei uns waren, wohnten gerade die akademischenSkiläufer im Hotel.« Das klang etwas anzüglich.Sie lächelte, griff in ihre kleine Brokattasche und gab ihm ein Bündel Banknoten. »Es sindfünfhundert Mark«, erklärte sie obenhin. »Ich habe die Summe gerade übrig.«Er nahm das Geld. »Gnädige Frau, verfügen Sie über mich!«Sie holte eine Zigarette aus dem goldenen Etui. Er gab ihr Feuer. Sie rauchte und blickte ihnprüfend an.
»Hat sich eigentlich noch keiner der Gäste über Herrn Schulze beschwert?«»O doch«, sagte er. »Man hat sich wiederholt erkundigt, wieso ein derart abgerissen gekleideterMensch ausgerechnet in unserem Hotel wohnt. Dazu kommt ja noch, daß sich der Mann imhöchsten Grade unverschämt aufführt. Ich selber hatte heute nachmittag einen Auftritt mit ihm,der jeder Beschreibung spottet.«»Diese Beschreibung wäre zudem überflüssig«, erklärte sie.
»Ich saß am Nebentisch. Es warskandalös! Sie sollten sich eine solche Unverfrorenheit nicht bieten lassen. Das untergräbt denguten Ruf Ihres Hotels.«Der Portier zuckte die Achseln. »Was kann ich dagegen tun, gnädige Frau? Gast bleibt Gast.«»Hören Sie zu! Mir liegt daran, daß Herr Schulze umgehend verschwindet. Die Gründe tunnichts zur Sache.«Er verzog keine Miene.»Sie sind ein intelligenter Mensch«, sagte sie.
»Beeinflussen Sie den Hoteldirektor! ÜbertreibenSie die Beschwerden, die gegen Schulze geführt wurden. Fügen Sie hinzu, daß ich niemalswieder hierherkomme, falls nichts unternommen wird. Herr Lenz geht übrigens mit mird'accord.«»Und was soll praktisch geschehen?«»Herr Kühne soll morgen dem Schulze vorschlagen, im Interesse der Gäste und des Hotelsabzureisen. Der Mann ist offensichtlich sehr bedürftig. Bieten Sie ihm eine pekuniäreEntschädigung an! Die Höhe der Summe ist mir gleichgültig.