Drei-Maenner im Schnee E.Kaestner (549575), страница 30
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»Herr Doktor«, flehte Karl der Kühne, »das dürfen Sie unsnicht antun.«»Strengen Sie sich nicht unnötig an!« sagte Hagedorn.An der Tür stieß er mit der Verkäuferin aus dem Blumenladen zusammen. Sie brachte dieGeschenke, die er vor knapp zwei Stunden eingekauft hatte. »Ich habe mich etwas verspätet«,meinte sie.»Ein wahres Wort«, sagte er.»Der Strauß ist dafür besonders schön geworden«, versicherte sie.Er lachte ärgerlich. »Das Bukett können Sie sich ins Knopfloch stecken! Behalten Sie dasGemüse!«Sie staunte, knickste und entfernte sich eilends.Nun stand Fritz, mit einem Zinnkrug, einer Kiste Zigarren und einem originellen Ohrgehänge,allein in Bruckbeuren!113Der Direktor fragte: »Dürfen wir Sie wenigstens bitten, in Ihren Kreisen über den höchstbedauerlichen Zwischenfall zu schweigen?«»Der Ruf unseres Hotels steht auf dem Spiele«, bemerkte Onkel Folter ergänzend.»In meinen Kreisen?« meinte Hagedorn verwundert.
Dann lachte er. »Ach richtig! Ich bin Ihnennoch eine Erklärung schuldig! Sie halten mich ja für einen Millionär, nicht wahr? Damit ist esallerdings Essig. Vor meinen Kreisen ist Bruckbeuren zeitlebens sicher. Ich war bis gesternarbeitslos. Da staunen Sie! Irgend jemand hat Sie zum Narren gehalten. Guten Tag, meineHerren!« Das Portal schloß sich hinter ihm.»Er ist gar kein Millionär? fragte der Direktor heiser. »Glück muß der Mensch haben, Polter!Menschenskind, das junge Mädchen hat uns verkohlt? Gott sei Dank! Wir waren bloß dieDummen? Einfach tierisch!«Der Portier winkte aufgeregt ab.
Plötzlich schlug er sich vor die Stirn. Es sah aus, als wolle ereinen Ochsen töten. »Grauenhaft! Grauenhaft!« rief er. »Das beste ist, wir bringen uns um!«»Gern«, erklärte der Direktor, noch immer obenauf. »Aber wozu, bittschön? Es sind einige Gästevor der Zeit weggefahren. Und? Ein junges Mädchen hat uns auf den Besen geladen. Das kannich verschmerzen.«»Die Geschichte bricht uns das Genick«, sagte der Portier. »Wir waren komplette Idioten!«»Na, na«, machte Karl der Kühne. »Sie tun mir unrecht.«Onkel Folter erhob lehrhaft den Zeigefinger. »Hagedorn war kein Millionär. Aber das jungeMädchen hat nicht gelogen. Es war ein verkleideter Millionär hier! Oh, das ist furchtbar! Wirsind erschossen.«»Nun wird mir's zu bunt!« rief der Direktor nervös. »Drücken Sie sich endlich deutlicher aus!«»Der verkleidete Millionär wurde von uns vor einer Stunde hinausgeworfen«, sagte der Portiermit Grabesstimme.
»Er hieß Schulze!«Herr Kühne schwieg.Der Portier verfiel zusehends. »Und diesen Mann habe ich die Eisbahn kehren lassen! Mit demRucksack mußte er ins Dorf hinunter, weil das Kind der Botenfrau die Masern hatte! Der Heltaihat ihn auf die Bockleiter geschickt! Oh!«»Einfach tierisch!« murmelte der Hoteldirektor. »Ich muß mich legen, sonst trifft mich derSchlag im Stehen.«Am Nachmittag wurde der bettlägerige Herr Kühne von einem Boy gestört.»Eine Empfehlung vom Herrn Portier«, sagte der Junge. »Ich soll Ihnen mitteilen, daß FrauCasparius mit dem Abendzug fährt.«Der Direktor stöhnte weidwund.»Sie käme nie wieder nach Bruckbeuren, läßt der Portier sagen.
Ach so, und Herr Lenz aus Köln114reist auch.«Der Direktor drehte sich ächzend um und biß knirschend ins Kopfkissen.Das neunzehnte KapitelVielerlei SchulzesIn München hatte Doktor Hagedorn volle sechs Stunden Aufenthalt. Er gab seinenVulkanfiberkoffer am Handgepäckschalter ab. Dann ging er über den Stachus, dieKaufingerstraße entlang, bog links ein und nahm gegenüber der Theatinerkirche Aufstellung.Damit begann jeder seiner Münchner Besuche.
Er liebte diese Kirchenfassade seit derStudentenzeit.Heute stand er hier wie die Kuh vorm neuen Tor. Er dachte immerzu an Hilde. An Eduardnatürlich auch. Das Bild der Kirche drang nur bis zur Netzhaut.Er steckte die Hände in den abgeschabten Mantel, lief in die Stadt zurück, saß, ehe er sich dessenversah, in einem Münchner Postamt und blätterte im Berliner Adreßbuch.
Er studierte die Rubrik»Schulze«. Neben ihm lagen Notizblock und Bleistift.Einen Werbefachmann Eduard Schulze gab es nicht. Vielleicht hatte sich Eduard als»Kaufmann« eingetragen? Hagedorn schrieb sich die einschlägigen Adressen auf. WasHildegard anbetraf, war der Fall noch schwieriger. Welchen Vornamen hatte, um alles in derWelt, sein künftiger Schwiegervater? Und welchen Beruf? Man konnte doch unmöglich zu allenin Berlin wohnhaften Schulzes laufen und fragen: »Haben Sie erstens eine Tochter, und ist diesezweitens meine Braut?« Das war ja eine Lebensaufgabe!Später sah sich Hagedorn ein Filmlustspiel an.
So oft er lachte, ärgerte er sich. Glücklicherweisebot der Film nur wenige Möglichkeiten zum Lachen. Sonst wäre der junge Mann bestimmtinnerlich mit sich zerfallen.Anschließend aß er in einem Bräu Rostwürstchen mit Kraut. Dann begab er sich zum Bahnhofzurück und hockte, Paulaner trinkend, im Wartesaal. Er war entschlossen, kühne Einfalle fürkünftige Reklamefeldzüge zu finden. Es fiel ihm aber auch nicht das mindeste ein. Immerzudachte er an Hilde. Wenn er sie nun nicht fand? Und wenn sie nichts mehr von sich hören ließ?Was dann?Der Zug war nur schwach besetzt.
Fritz hatte ein Abteil für sich allein. Bis Landshut lief er indem Kupee wie in einem Käfig hin und her. Dann legte er sich lang, schlief sofort ein undträumte wilde Sachen. Einer der Träume spielte auf dem Berliner Einwohnermeldeamt:An den Türen standen, alphabetisch geordnet, alle möglichen Familiennamen. Vor demTürschild »Schnabel bis Schütze« machte Hagedorn halt, klopfte an und trat ein.115Hinter der Barriere saß der Schneemann Kasimir.
Er trug einen Schupohelm und fragte: »Siewünschen?« Hierbei strich er sich den Schnurrbart und sah überhaupt sehr streng aus.»Haben Sie die Schulzes unter sich?« fragte Fritz.Kasimir sagte: »Alle Schulzen.«»Wie kommen Sie zu diesem Plural?« fragte Fritz.»Verfügung des Präsidiums«, meinte Kasimir barsch.»Verzeihung«, sagte Fritz. »Ich suche ein Fräulein Hildegard Schulze. Wenn sie lacht, kriegt sieein Grübchen. Nicht zwei, wie andere Mädchen. Und in ihren Pupillen hat sie goldenePünktchen.«Kasimir blätterte umständlich in etlichen Karteikästen. Dann nickte er. »Die gibt's. Sie hat früherauf dem Funkturm gewohnt.
Dann hat sie sich nach den Alpen abgemeldet.«»Sie muß aber wieder in Berlin sein«, behauptete Fritz.»Dem Funkturm ist davon nichts bekannt«, sagte der Schneemann. »Sie scheint überhaupt nichtzu wohnen. Vielleicht ist sie abgegeben worden. Folgen Sie mir unauffällig!«Sie stiegen in den Keller.
Hier standen in langen Reihen viele Schränke. Kasimir schloß einennach dem anderen auf. In jedem Schrank waren vier Fächer. Und in jedem Fach stand einMensch. Das waren die Leute, die polizeilich nicht gemeldet waren, und andere, die totalvergessen hatten, wo sie wohnten. Und schließlich Kinder, die nicht mehr wußten, wie siehießen.»Das ist ja allerhand«, meinte Hagedorn erschrocken.Die Erwachsenen standen verärgert oder auch versonnen in ihren Fächern.
Die Kinder weinten.Es war ein ausgesprochen trauriger Anblick. In einem Fach stand ein alter Gelehrter, einHistoriker übrigens; der hielt sich für einen vergessenen Regenschirm und verlangte vonKasimir, man solle ihn endlich zumachen. Er hatte die Arme ausgebreitet und die Beinegespreizt. Und er sagte fortwährend: »Es regnet doch gar nicht mehr!«Fritz schlug die Tür zu.Sie hatten schon in fast alle Schränke geguckt. Aber Hildegard hatten sie noch immer nichtgefunden.Fritz hielt plötzlich die Hand hinters Ohr. »Im letzten Schrank heult ein Fräulein!«Der Schneemann schloß die Tür auf. In der äußersten Ecke, mit dem Rücken zum Beschauer,stand ein junges Mädchen und weinte heftig.Hagedorn stieß einen Freudenschrei aus.
Dann sagte er gerührt: »Herr Schneepo, das ist sie.«»Sie steht verkehrt«, knurrte Kasimir. »Ich sehe kein Grübchen.«»Hilde!« rief Fritz. »Schau uns, bitte, an! Sonst mußt du hierbleiben.«Hilde drehte sich um. Das kleine hübsche Gesicht war total verheult.116»Ich sehe kein Grübchen«, sagte der Schneemann. »Ich schließe wieder zu.«»Hildchen!« rief Fritz. »Lach doch mal! Der Onkel will nicht glauben, daß du ein Grübchen hast.Tanze ihm den Sterbenden Schwan vor! Stehen Sie auf, teuerste Gräfin! Morgen versetzen wirdeinen Ring und fahren für zweitausend Mark Achterbahn! Aber lache! Lache!«Es war vergebens. Hilde erkannte ihn nicht.
Sie lächelte nicht und lachte nicht. Sie stand in derEcke und weinte.Kasimir steckte den Schlüssel ins Türschloß. Fritz fiel ihm in den Arm. Der Schneemann packteden jungen Mann am Schöpf und rüttelte ihn.»Unterlassen Sie das!« rief Hagedorn wütend.»Na, na, na«, sagte jemand. »Kommen Sie zu sich!«Vor ihm stand der Zugschaffner. »Bitte, die Fahrkarten!« Und draußen dämmerte der Tag.Am Morgen klingelte es bei Frau Hagedorn in der Mommsenstraße.
Die alte Dame öffnete.Draußen stand Karlchen, der Lehrling des Fleischermeisters Kuchenbuch.»Hallo!« sagte sie. »Telefoniert mein Sohn schon wieder?«Karlchen schüttelte den Kopf. »Einen schönen Gruß von meinem Meister, und heute wäre dieÜberraschung noch größer als vorgestern. Und Sie sollen, bitte, nicht erschrecken. Siebekommen Besuch.«»Besuch?« meinte die alte Dame.