Drei-Maenner im Schnee E.Kaestner (549575), страница 4
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»Den Brief mit den Freifahrscheinenbrachte der Postbote heute früh.«»Es ist eine bodenlose Schweinerei!« knurrte Herr Franke. »Ein so talentierter Mensch findetkeine Anstellung! Man sollte doch tatsächlich ...«»Vorsicht, Vorsicht!« warnte Frau Hagedorn. »Er ist heute zeitig fort.
Ob er's schon weiß? Erwollte sich wieder einmal irgendwo vorstellen.«13»Warum ist er denn nicht Lehrer geworden?« fragte Franke. »Dann wäre er jetzt an irgendeinemGymnasium, würde Diktathefte korrigieren und hätte sein festes Einkommen.«»Reklame war schon immer seine Leidenschaft«, sagte sie. »Seine Doktorarbeit handelte auchdavon. Von den psychologischen Gesetzen der Werbewirkung. Nach dem Studium hatte ermehrere Stellungen.
Zuletzt mit achthundert Mark im Monat. Weil er so tüchtig war. Aber dieFirma ging bankrott.« Frau Hagedorn stand auf. »Nun will ich aber endlich die Hemdeneinweichen.«»Und ich werde die Diktate zu Ende korrigieren«, erklärte Herr Franke. »Hoffentlich reicht dierote Tinte. Mitunter habe ich das dumpfe Gefühl, die Bengels machen nur so viele Fehler, ummich vor der Zeit ins kühle Grab zu bringen. Morgen halte ich ihnen eine Strafrede, daß siedenken sollen ...«»Vorsicht, Vorsicht!« sagte die alte Dame, steckte die Zeitung wieder ein und segelte in dieKüche.Als Doktor Hagedorn heimkam, dämmerte es bereits.
Er war müde und verfroren. »GutenAbend«, sagte er und gab ihr einen Kuß.Sie stand am Waschfaß, trocknete rasch die Hände und reichte ihm den Brief der PutzblankWerke.»Bin im Bilde«, sagte er. »Ich las es in der Zeitung. Wie findest du das? Ist das nicht, um aus dernackten Haut zu fahren? Mit der Anstellung war es übrigens wieder Essig. Der Mann geht erst ineinem halben Jahr nach Brasilien. Und den Nachfolger haben sie auch schon. Einen Neffen vomPersonalchef.« Der junge Mann stellte sich an den Ofen und wärmte die steifen Finger.»Kopf hoch, mein Junge!« sagte die Mutter. »Jetzt fährst du erst einmal zum Wintersport. Das istbesser als gar nichts.«Er zuckte die Achseln. »Ich war am Nachmittag in den Putzblank-Werken draußen. Mit derStadtbahn.
Der Herr Direktor freute sich außerordentlich, den ersten Preisträger persönlichkennenzulernen, und beglückwünschte mich zu den markanten Sätzen, die ich für ihrWaschpulver und ihre Seifenflocken gefunden hätte. Man verspreche sich einen beachtlichenWerbeerfolg davon. Ein Posten sei leider nicht frei.«»Und warum warst du überhaupt dort?« fragte die Mutter.Er schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Ich machte dem Direktor einen Vorschlag. Seine Firmasolle mir statt der Gratisreise eine kleine Barvergütung gewähren.«Die alte Frau hielt mit Waschen inne.»Es war das übliche Theater«, fuhr er fort. »Es sei unmöglich.
Die Abmachungen seien bindend.Überdies sei Bruckbeuren ein entzückendes Fleckchen Erde. Besonders im Winter. Er wünsche14mir viel Vergnügen. Ich träfe dort die beste internationale Gesellschaft und solle ihm eineAnsichtskarte schicken. Er habe keine Zeit, im Winter zu reisen. Er hänge an der Kette.
Und ichsei zu beneiden.«»Es war das übliche Theater?« fragte die Mutter. »Du hast das schon öfter gemacht?«»Ich habe dir nichts davon erzählt«, sagte er. »Du zerbrichst dir wegen deiner paar Groschen denHinterkopf! Und ich gondle in einem fort quer über die Landkarte. Gratis und franko nennt mandas! Jawohl, Kuchen! Jedesmal, bevor ich losfahre, wandert die Witwe Hagedorn stehendenFußes zur Städtischen Sparkasse und hebt fünfzig Mark ab. Weil sonst der Herr Sohn kein Geldhat, unterwegs eine Tasse Kaffee oder ein kleines Helles zu bezahlen.«»Man muß die Feste feiern, wie sie fallen, mein Junge.«»Nicht arbeiten und nicht verzweifeln«, sagte er. »Eine Variation über ein altes Thema.« Ermachte Licht. »Diese Putzblank-Werke gehören dem Tobler, einem der reichsten Männer, dieder Mond bescheint. Wenn man diesen alten Onkel einmal zu fassen kriegte!«»Nun weine mal nicht«, meinte die Mutter.»Oder wenn wenigstens du auf meine Fahrkarte verreisen könntest! Du bist dein Leben langnicht über Schildhorn und Werder hinausgekommen.«»Du lügst wie gedruckt«, sagte die Mutter.
»Mit deinem Vater war ich vor dreißig Jahren inSwinemünde. Und mit dir 1910 im Harz. Als du Keuchhusten hattest. Wegen derLuftveränderung. Ferner möchte ich dir mitteilen, daß wir noch heute abend ins Kino gehen. Esläuft ein Hochgebirgsfilm. Wir nehmen zweites Parkett und werden uns einbilden, wir säßen aufdem Matterhorn.«»Ich nehme die Einladung dankend an«, entgegnete er. »Und wenn ich jemals König vonEngland werden sollte, verleihe ich dir den Hosenbandorden. Das soll meine erste Regierungstatsein.
Eventuell erhebe ich dich in den erblichen Adelsstand. Das hängt allerdings davon ab, wases heute abend zu essen gibt.«»Sülze mit Bratkartoffeln«, sagte die Mutter.»Oha!« rief Herr Doktor Hagedorn. »Dann wirst du sogar Herzogin von Cumberland. Das isteine alte, gute Familie. Einer ihrer Vorfahren hat die englische Sauce entdeckt.«»Vielen Dank«, sagte Frau Hagedorn. »Werden Majestät den blauen Anzug mitnehmen?«»Natürlich«, meinte er. »Es ist einer der glänzendsten Anzüge, die es je gegeben hat.«Später zog die Mutter, vom Fensterriegel bis zum oberen Türscharnier, eine Leine und hängtedie Oberhemden des siebenfachen Preisträgers zum Trocknen auf. Dann aßen sie, amKüchentisch, im Schatten der tropfenden Hemden, Sülze mit Bratkartoffeln.
Dann brachte diealte Dame dem Lehrer Franke Tee, Teller und Besteck. Und schließlich gingen Mutter und Sohn15ins Kino. Es lag in einer verschneiten Seitenstraße und nannte sich großspurig Viktoria-Palast.»Zweimal Fremdenloge«, verlangte Hagedorn.»Fremdenloge gibt es leider bei uns nicht«, sagte das Fräulein an der Kasse.»Wie dumm, wie dumm!« meinte er. »Nein, ist uns das peinlich! Das verändert die Sachlagegewaltig! Was meinst du, liebe Tante, wollen wir unter diesen Umständen lieber wieder nachHause gehen?«»Ach nein«, sagte die Mutter. »Nun bin ich schon in Berlin zu Besuch.
Nun will ich auch etwaserleben.« Währenddem drückte sie ihm heimlich eine Mark und fünfzig Pfennig in die Hand.Das Fräulein dachte nach. »Nehmen Sie doch Orchestersitz. «»Das geht nicht. Wir sind unmusikalisch«, sagte er. »Wissen Sie was, geben Sie zweimal zweitesParkett!«»Das ist aber ganz vorn«, sagte das Fräulein.»Das wollen wir hoffen«, bemerkte die alte Dame hoheitsvoll. »Im Perleberger Stadttheatersitzen wir auch in der ersten Reihe. Wir nehmen stets die vordersten Plätze.«»Mein Onkel ist nämlich Feuerwehrhauptmann«, sagte Doktor Hagedorn erklärend und nicktedem Fräulein zu.
»Er kann sich's leisten.« Dann reichte er seiner Mutter den Arm, und sie tratengemessenen Schritts in den dunklen Zuschauerraum.Das vierte KapitelGelegenheitskäufeAn den folgenden Tagen ließ sich Geheimrat Tobler wiederholt im Auto nach dem Norden undOsten Berlins fahren. Er besorgte seine Expeditionsausrüstung. Die Schlipse, es waren Stückevon prähistorischem Aussehen, erstand er in Tempelhof.
Die Hemden kaufte er in derLandsberger Allee. Drei impertinent gestreifte Flanellhemden waren es. Dazu zwei vergilbteMakohemden, etliche steife Vorhemdchen, zwei Paar Röllchen und ein Paar vernickelterManschettenknöpfe, deren jeder ein vierblättriges Kleeblatt vorstellte.In der Neuen Königstraße kaufte er — besonders billig, wegen Aufgabe des Geschäfts — einePartie Wollsocken. Und in der Münzstraße derbe rindslederne Stiefel.
Am Tag der Abreiseerwarb er endlich den Anzug! Das ging hinter dem Schlesischen Bahnhof vor sich. In derFruchtstraße. Der Laden lag im Keller. Man mußte sechs Stufen hinunterklettern.Der Trödler, ein bärtiger Greis, breitete einige seiner Schätze auf dem Ladentisch aus. »So gutwie nicht getragen«, sagte er unsicher.Tobler erblickte zunächst einen verwitterten Cutaway aus Marengo und hatte nicht übel Lust, ihnzu nehmen. Andrerseits war ein Cutaway doch wohl nicht das geeignetste Kostüm für dreißig16Zentimeter Neuschnee.Daneben lag ein hellbrauner Jackettanzug. Mit kleinen Karos und großen Fettflecken.
Und nebendiesem der Anzug, den Tobler schließlich wählte. Die Farbe war vor Jahren violett gewesen. Mithellen Längsstreifen. Die Zeit vergeht.»Scheußlich schön«, sagte Tobler. »Was kostet das Gewand?«»Achtzehn Mark«, entgegnete der Alte. »Es ist der äußerste Preis.«Der Geheimrat nahm das Jackett vom Bügel und zog es an. Der Rücken spannte. Die Ärmelwaren viel zu kurz.»Nehmen Sie den Cutaway!« riet der alte Mann.
»Er kostet zweiundzwanzig Mark, aber die vierMark Unterschied lohnen sich. Der Stoff ist besser. Sie werden es nicht bereuen.«»Haben Sie keinen Spiegel?« fragte Tobler.»Im Hinterzimmer«, sagte der Greis. Sie gingen in das Hinterzimmer. Es roch nach Kohl. DerGeheimrat starrte in den Spiegel, erkannte sich dann doch und mußte lachen. »Gefalle ichIhnen?« fragte er.Der Ladenbesitzer griff, einen Halt suchend, in seinen Bart. »Nehmen Sie den Cutaway!«Tobler blieb standhaft. »Ich nehme das violette Modell«, antwortete er.
»Es soll eineÜberraschung sein.«»Insofern haben Sie recht«, meinte der Alte.Tobler zog sich wieder an und zahlte. Der Trödler wickelte den Anzug in braunes Packpapierund brachte den Kunden zur Tür. Bevor er öffnete, befühlte er Toblers Gehpelz, pustetefachmännisch in den Otterkragen und sagte: »Wollen Sie den Mantel verkaufen?Ich würde ihn vielleicht nehmen. Für hundertzwanzig Mark.«Der Geheimrat schüttelte den Kopf.»Der Cutaway war Ihnen zu teuer«, fuhr der alte Mann fort. »Sie haben kein Geld. Das kommtbei reichen Leuten öfter vor, als arme Leute denken. Na schön. Hundertfünfzig Mark. Bar in dieHand! Überlegen Sie sich's!«»Es ist ein Andenken«, sagte Tobler freundlich und ging.
Der Trödler blickte ihm nach und sahden schweren Wagen und den Chauffeur, der beflissen den Schlag öffnete.Das Auto fuhr ab. Der alte Mann legte ein Brikett nach und trat vor ein Vogelbauer, das hintermLadentisch an der Wand hing. »Verstehst du das?« fragte er den kleinen gelben Kanarienvogel.»Ich auch nicht.«In Toblers Arbeitszimmer sah es beängstigend aus.
Neben den Neuanschaffungen lagenGegenstände, die der Geheimrat auf dem Oberboden in staubigen Truhen und knarrendenSchränken entdeckt hatte. Ein Paar verrostete Schlittschuhe. Ein warmer Sweater, der aussah, als17habe er die Staupe. Eine handgestrickte knallrote Pudelmütze. Ein altmodischer Flauschmantel,graukariert und mindestens aus der Zeit der Kreuzzüge. Eine braune Reisemütze.