Drei-Maenner im Schnee E.Kaestner (549574), страница 15
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Bleibe gesund und munter! Kein Tag, der vorüber ist, kommt wieder. Und benimm Dich! Du bist manchmal wirklich frech. Viele Grüße und Küsse von
Deiner Dich über alles liebenden Mutter.«
Nach dem Lunch saßen die drei Männer auf der Terrasse, und Doktor Hagedorn zeigte seine gesammelten Werke. Schulze betrachtete sie eingehend. Er fand sie sehr gelungen, und sie unterhielten sich lebhaft darüber. Herr Kesselhuth rauchte eine dicke schwarze Zigarre, schenkte allen Kaffee ein und sonnte sich in jeder Beziehung. Schließlich meinte er: »Also, heute abend schicke ich das Paket an Geheimrat Tobler.«
»Und vergessen Sie, bitte, nicht, bei ihm anzufragen, ob er auch für Herrn Schulze einen Posten hat«, bat Hagedorn. »Es ist dir doch recht, Eduard?«
Schulze nickte. »Gewiß, mein Junge. Der olle Tobler soll sich mal anstrengen und was für uns
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beide tun.«
Kesselhuth nahm die Arbeiten an sich. »Ich werde nichts unversucht lassen, meine Herren.« »Und er soll die Sachen, bitte, bestimmt zurückgeben«, erklärte der junge Mann. »Meine Mutter ist diesbezüglich sehr streng.«
»Selbstverständlich«, sagte Schulze, obwohl ihn das ja eigentlich gar nichts anging.
Kesselhuth zerdrückte den Rest seiner Zigarre im Aschenbecher, erhob sich ächzend, murmelte einiges und ging traurig davon. Denn im Rahmen der Hoteltür stand der Graswander Toni und hatte zwei Paar Schneeschuhe auf der Schulter. Die dritte Lehrstunde nahte. Das Geheimnis des Stemmbogens sollte enträtselt werden.
Eduard und Fritz brachen etwas später auf. Sie planten einen Spaziergang. Zunächst statteten sie jedoch ihrem Schneemann einen kurzen Besuch ab. Der Ärmste taute. »Kasimir weint«, behauptete Hagedorn. »Das weiche Gemüt, Eduard, hat er von dir.«
»Er weint nicht«, widersprach Schulze. »Er macht eine Abmagerungskur.«
»Wenn wir Geld hätten«, meinte Hagedorn, »könnten wir ihm einen großen Sonnenschirm schenken, in den Boden stecken und über ihm aufspannen. Ohne Schirm wird er zugrunde gehen.«
»Mit dem Geld ist das so eine Sache«, meinte Schulze. »Auch wenn wir welches hätten, — spätestens Anfang März stünde hier nur noch ein Schirm herum, und Kasimir wäre verschwunden. Die Vorteile des Reichtums halten sich sehr in Grenzen.«
»Du sprichst, als ob du früher ein Bankkonto gehabt hättest«, sagte Hagedorn und lachte gutmütig. »Meine Mutter behauptet, Besitz sei häufig nichts anderes als ein Geschenk der Vorsehung an diejenigen, die im übrigen schlecht weggekommen sind.«
»Das wäre allzu gerecht«, erklärte Schulze. »Und allzu einfach.«
Dann wanderten sie, in beträchtliche Gespräche vertieft, nach Schloß Kerms hinaus, sahen den Bauern beim Eisschießen zu, folgten quellwärts einem zugefrorenen Gebirgsbach, mußten steil bergan klettern, glitten aus, schimpften, lachten, atmeten schwer, schwiegen, kamen durch weiße Wälder und entfernten sich mit jedem Schritt mehr von allem, was an den letzten Schöpfungstag erinnert.
Schließlich war die Welt zu Ende. Es gab keinen Ausweg. Hohe Felswände behoben den letzten Zweifel. Dahinter befand sich, sozusagen offensichtlich, das leere Nichts.
Und von einem dieser Felsen stürzte ein Wasserfall herab. Nein, er stürzte nicht. Der Frost hatte ihn mit beiden Armen im Sturz aufgehalten. Er war vor Schreck erstarrt. Das Wasser hatte sich in Kristall verwandelt.
»Im Baedeker vergleicht man diesen Wasserfall mit einem Kronleuchter«, bemerkte Hagedorn. Schulze setzte sich auf eine eisgekühlte Baumwurzel und sagte: »Ein Glück, daß die Natur nicht
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lesen kann!«
Nach dem Kaffeetrinken ging Hagedorn auf sein Zimmer. Schulze versprach bald nachzukommen. Wegen der kleinen Katzen und wegen eines großen Kognaks. Aber als er aus dem Lesesaal trat und auf die Treppe zusteuerte, wurde er von Onkel Folter gestört. »Sie sehen aus, als ob Sie sich langweilten«, meinte der Portier.
»Machen Sie sich meinetwegen kein Kopfzerbrechen!« bat Schulze. »Ich langweile mich niemals.« Er wollte gehen.
Onkel Folter tippte ihm auf die Schulter. »Hier ist eine Liste! Den Rucksack bekommen Sie in der Küche.«
»Ich brauche keinen Rucksack«, meinte Schulze.
»Sagen Sie das nicht!« erklärte der Portier und lächelte grimmig. »Das Kind der Botenfrau hat die Masern.«
»Gute Besserung! Aber was hat das arme Kind in dem Rucksack zu suchen, den ich in der Küche holen soll?«
Der Portier schwieg und legte Briefe und Zeitungen in verschiedene Schlüsselfächer.
Schulze betrachtete die Liste, die vor ihm lag, und las staunend:
»100 Karten Wolkenstein-Panorama a 15 2, Tuben Gummiarabikum
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Rolle dunkelrote Nähseide 50 Briefmarken a 25
3 Dutzendpackungen Rasierklingen
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Meter schmales weißes Gummiband 5 Riegel Wasserglasseife
1 Packung Pyramidon, große Tabl.
1 Flasche Füllfedertinte 1 Paar Sockenhalter, schwarz 1 Paar Schuhspanner, Größe 37 1 Tüte Pfefferminztee 1 Stahlbürste für Wildlederschuhe
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Schachteln Mentholdragees 1 Hundeleine, grün, Lack
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Uhrreparaturen abholen 1 Dutzend Schneebrillen
1 kl. Flasche Birkenwasser
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1 Aluminiumbrotkapsel für Touren.«
Die Liste war keineswegs zu Ende. Aber Schulze hatte fürs erste genug. Er sah erschöpft hoch, lachte und sagte: »Ach, so ist das gemeint!«
Der Portier legte einige Geldscheine auf den Tisch. »Schreiben Sie hinter jeden Posten den Preis. Am Abend rechnen wir ab.«
Schulze steckte die Liste und das Geld ein. »Wo soll ich das Zeug holen?«
»Im Dorf«, befahl Onkel Polter. »In der Apotheke, beim Friseur, auf der Post, beim Uhrmacher, in der Drogerie, beim Kurzwarenhändler, im Schreibwarengeschäft. Beeilen Sie sich!«
Der andere zündete sich eine Zigarre an und sagte, während er sie in Zug brachte: »Ich hoffe, es hier noch weit zu bringen. Daß ich jemals Botenfrau würde, hätte ich noch vor einer Woche für ausgeschlossen gehalten.« Er nickte dem Portier freundlich zu. »Hoffentlich bilden Sie sich nicht ein, daß Sie mich auf diese Weise vor der Zeit aus Ihrem Hotel hinausgraulen.«
Onkel Folter antwortete nicht.
»Darf man schon wissen, was Sie morgen mit mir vorhaben?« fragte Schulze. »Wenn es Ihnen recht ist - ich möchte für mein Leben gern einmal Schornstein fegen! Wäre es Ihnen möglich zu veranlassen, daß der Schornsteinfeger morgen Zahnschmerzen kriegt?« Er ging strahlend seiner Wege.
Onkel Folter nagte über eine Stunde an der Unterlippe. Später fand er keine Zeit mehr dazu. Die Gäste kehrten in Scharen von den Skiwiesen und von Ausflügen heim.
Schließlich kam sogar der Hoteldirektor Kühne nach Hause. »Was ist denn mit Ihnen los?« fragte er besorgt. »Haben Sie die Gelbsucht?«
»Noch nicht«, sagte der Portier. »Aber es kann noch werden. Dieser Schulze benimmt sich unmöglich. Er wird immer unverschämter.«
»Streikt er?« fragte Karl der Kühne.
»Im Gegenteil«, meinte der Portier. »Es macht ihm Spaß!«
Der Direktor öffnete wortlos den Mund.
»Morgen möchte er Schornstein fegen!« berichtete Folter. »Es sei ein alter Traum von ihm.«
Karl der Kühne sagte: »Einfach tierisch!« und ließ Herrn Folter in trübe Gedanken versunken zurück.
Geheimrat Tobler alias Herr Schulze brauchte zwei Stunden, bis er, von der Last des Rucksacks gebeugt, ins Hotel zurückkehrte. Er hatte sich übrigens nie so gut unterhalten wie während dieser von seltsamen Einkäufen ausgefüllten Zeit. Der Uhrmacher hatte ihn beispielsweise über die politische Lage in Ostasien weitestgehend aufgeklärt, und über die wachsende wirtschaftliche Einflußnahme Japans auf dem Weltmarkt. Der Provisor in der Apotheke hatte die Homöopathie
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verteidigt und ihn für einen der nächsten Abende zu einem Viertel Roten in die Dorfschenke eingeladen. Das blonde Ladenfräulein beim Friseur hatte ihn für den Ehemann der Botenfrau gehalten. Und der Drogist hatte ihm, im Flüsterton, bei künftigen größeren Einkäufen Prozente in Aussicht gestellt.
Er lud den Rucksack in der Hotelküche ab und begab sich in den fünften Stock, um die Abrechnung für den Portier fertigzumachen. Er öffnete die Tür zu seinem Zimmer und mußte feststellen, daß er Besuch hatte! Ein fremder, gutgekleideter Herr lag, mit dem Kopf vorneweg, unter dem Waschtisch, hämmerte emsig und hatte anscheinend keine Ahnung, daß er nicht mehr allein war. Jetzt begann er sogar zu pfeifen. »Sie wünschen?« fragte Schulze laut und streng.
Der Eindringling fuhr hoch, stieß mit dem Hinterkopf gegen die Tischkante und kam, rückwärts kriechend, ans Tageslicht.
Es war Herr Kesselhuth! Er hockte auf dem Fußboden und machte ein schuldbewußtes Gesicht. »Sie sind wohl nicht bei Tröste!« sagte Schulze. »Stehen Sie gefälligst auf!«
Kesselhuth erhob sich und klopfte seine Beinkleider sauber. Mit der Hand, die übrigblieb, massierte er den Hinterkopf.
»Was haben Sie unter meinem Waschtisch zu suchen?« fragte Schulze energisch.
Der andere wies auf einen großen Karton, der auf dem Stuhl lag. »Es ist wegen der Steckdose, Herr Geheimrat«, sagte er verlegen. »Die war nicht ganz in Ordnung.«
»Ich brauche keine Steckdosen!«
»Doch, Herr Geheimrat«, antwortete Johann und öffnete den Karton. Es kam eine nickelglänzende elektrische Heizsonne zum Vorschein. »Sie erkälten sich sonst zu Tode.« Er stellte das Gerät auf den Tisch, kroch erneut unter den Waschtisch, fügte den Stecker in den Kontakt, kam wieder hervor und wartete gespannt.
Allmählich begann das Drahtgitter zu erglühen, erst rosa, dann rot; und schon spürten sie, wie sich die eisige Dachkammer mit sanfter Wärme füllte. »Das Wasser in der Waschschüssel taut auf«, sagte Johann und schaute selig zu seinem Gebieter hinüber.
Tobler empfand diesen Blick, aber er erwiderte ihn nicht.
»Und hier ist ein Kistchen Zigarren«, erklärte Kesselhuth schüchtern. »Ein paar Blumen habe ich auch besorgt.«
»Nun aber nichts wie raus!« meinte der Geheimrat. »Sie hätten Weihnachtsmann werden sollen!«
Inzwischen hatte auch Doktor Hagedorn Besuch erhalten. Es hatte geklopft. Er hatte, müde auf dem Sofa liegend, »Herein!« gerufen und gefragt: »Warum kommst du so spät, Eduard?«
Aber der Besucher hatte geantwortet: »Ich heiße nicht Eduard, sondern Hortense.« Kurz und gut,
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es war Frau Casparius! Sie war erschienen, um mit den drei siamesischen Katzen zu spielen. Und das tat sie denn auch. Sie saß auf dem Teppich und stellte Gruppen.
Schließlich fand sie, daß sie sich lange genug als Tierfreundin betätigt hatte, und wandte sich dem eigentlichen Zweck ihrer Anwesenheit zu. »Sie sind nun schon drei Tage hier«, sagte sie vorwurfsvoll. »Wollen wir morgen einen Ausflug machen? Wir nehmen den Lunch mit und gehen bis zur Lamberger Au. Dort legen wir uns in die Sonne. Und wer zuerst den Sonnenstich hat, darf sich etwas wünschen.«
»Ich wünsche mir gar nichts«, erklärte der junge Mann. »Nicht einmal den Sonnenstich.«
Sie hatte sich in einen geräumigen Lehnstuhl gesetzt, zog die Beine hoch und legte die Arme um die Knie. »Wir könnten auch folgendes unternehmen«, meinte sie leise. »Wir könnten die Koffer packen und ausreißen. Was halten Sie von Garmisch?«
»Garmisch ist meines Wissens ein reizender Ort«, sagte er. »Aber Eduard wird es wahrscheinlich nicht erlauben.«
»Was geht uns denn Eduard an?« fragte sie ärgerlich.
»Er vertritt Mutterstelle an mir.«
Sie wiegte den Kopf. »Wir könnten mit dem Nachtzug fahren. Kommen Sie. Jede Stunde ist kostbar. An ein Fortleben nach dem Tode glaube ich nämlich nicht recht.«
»Also deswegen haben Sie's so eilig!« meinte er. Es klopfte. Er rief: »Herein!«
Die Tür ging auf. Schulze trat ein. »Entschuldige, Fritz. Ich hatte ein paar Besorgungen zu machen. Bist du allein?«
»Sofort!« sagte Frau Hortense Casparius, sah durch Herrn Schulze hindurch, als sei er aus Glas, und ging.
Das vierzehnte Kapitel Die Liebe auf den ersten Blick
Am nächsten Nachmittag geschah etwas Außergewöhnliches: Hagedorn verliebte sich! Er tat dies im Hotelautobus, der neue Gäste vom Bahnhof brachte und den er, von einem kleinen Ausflug kommend, unterwegs bestieg. Einer der Passagiere war ein junges, herzhaftes Mädchen. Sie hatte eine besonders geradlinige Art, die Menschen anzuschauen. (Womit nicht nur gesagt werden soll, daß sie nicht schielte.) Neben ihr saß eine dicke, verstört gutmütige Frau, die von dem Mädchen »Tante Julchen« genannt wurde.
Hagedorn hätte Tante Julchens Nichte stundenlang anstarren können. Außerdem wurde er das Gefühl nicht los, das junge Mädchen schon einmal gesehen zu haben. Tante Julchen war ziemlich umständlich. Daß die Koffer auf dem Autobus verstaut worden waren, beschäftigte ihr
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Innenleben aufs lebhafteste. Bei jeder Kurve griff sie sich ans Herz und jammerte vor Schreck. Außerdem war ihr kein Berg zu niedrig — sie wollte seinen Vor- und Zunamen wissen. Hagedorn machte sich nützlich und log zusammen, was ihm gerade einfiel. Einige Fahrgäste, welche die Gegend von früher her zu kennen schienen, musterten ihn mißtrauisch. Sie nahmen ihm seine frei erfundene Geographie ein bißchen übel.
Tante Julchen hingegen sagte: »Vielen Dank, mein Herr. Man kommt sich sonst vor wie in einer fremden Stadt bei Nacht. Jede Straße heißt anders, aber man kann die Schilder nicht lesen. Dabei war ich noch nie in den Alpen.«
Das junge Mädchen sah ihn, um Nachsicht bittend, an, und dieser Blick gab ihm den Rest. Er lächelte blöde, hätte sich ohrfeigen können und erwog den Plan, aufzustehen und während der Fahrt abzuspringen.
Er blieb natürlich sitzen.
Vorm Hotel half er den beiden beim Aussteigen. Und da Tante Julchen das Abladen der Koffer aufs strengste überwachte, waren das junge Mädchen und er plötzlich allein.