Типология художественных текстов (857787), страница 10
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Darf ich eine Blume abpflücken?»Und Herr Moritz sah im Schaufensterspiegelbild, daß wirklich Blumen aufseinem Kopf wuchsen, bunte und große, vierlei Art, und er sagte: «Aber bitte,wenn Sie eine wollen...».«Ich möchte gerne eine kleine Rose», sagte die Frau und pflückte sich eine.«Und ich eine Nelke für meinen Bruder», sagte ein kleines Mädchen, undHerr Moritz bückte sich damit das Mädchen ihm auf dem Kopf langen konnte.Er brauchte sich aber nicht so sehr tief zu bücken, denn er war etwas kleiner alsandere Männer.Und viele Leute kamen und brachen sich Blumen vom Kopf des kleinenHerrn Moritz, und es tat ihm gar nicht weh, und die Blumen wuchsen immergleich nach, und es kribbelte so schön am Kopf, als ob ihn jemand freundlichstreichelte; und Herr Moritz war froh, daß er den Leuten mitten im kalten WinterBlumen geben konnte.
Immer mehr Menschen kamen zusammen und lachten36und wunderten sich und brachen sich Blumen vom Kopf des kleinen HerrnMoritz, und keiner, der eine Blume erwischt hatte, sagte an diesem Tag noch einböses Wort.Aber da kam auf einmal ein Polizist Max Kunkel. Max Kunkel war schonseit zehn Jahren in der Markthalle als Markthallenpolizist tätig, aber so washatte er noch nicht gesehen! Mann mit Blumen auf dem Kopf!Er drängelte sich durch die vielen lauten Menschen, und als er vor demkleinen Herrn Moritz stand, schrie er: «Wo gibt's denn so was! Blumen auf demKopf, mein Herr! Zeigen Sie doch mal bitte sofort Ihren Personalausweis!» Undder kleine Moritz suchte und suchte und sagte verzweifelt: «Ich habe ihn dochimmer bei mir gehabt, ich hab ihn doch in der Tasche gehabt!» Und je mehr ersuchte, um so mehr verschwanden die Blumen auf seinem Kopf. «Aha», sagteder Polizist Max Kunkel, «Blumen auf dem Kopf haben Sie, aber keinenAusweis in der Tasche!»Und Herr Moritz suchte immer ängstlicher seinen Ausweis und war ganzrot vor Verlegenheit, und je mehr er suchte – auch im Jackenfutter – , um somehr schrumpften die Blumen zusammen, und der Hut ging allmählich wiederrunter auf den Kopf! In seiner Verzweiflung nahm Herr Moritz seinen Hut ab,und siehe da, unter dem Hut lag in einer abgegeriffenen Gummihülle derPersonalausweis.
Aber was noch!? Die Haare waren alle weg!Kein Haar mehr auf dem Kopf hatte der kleine Moritz. Er strich sichverlegen über den kahlen Kopf und setzte dann schnell den Hut darauf. «Na, daist ja der Ausweis», sagte der Polizist Max Kunkel freundlich, «und Blumenhaben Sie ja Wohl auch nicht mehr auf dem Kopf,wie?!» «Nein...», sagte herrMoritz und steckte schnell seinen Ausweis ein und lief, so schnell man auf derglatten Straße laufen konnte, nach Hause. Dort stand er lange vor dem Spiegelind sagte zu sich: «Jetzt hast du eine Glatze, Herr Moritz!»Text 10Ein Philosoph hatte sein Faß Wein versiegelt.
Als aber sein Famulus dasFaß von unten her angestochen hatte, verwunderte er sich, daß der Wein,gleichwohl das Siegel unversehrt, täglich abnehme. Da ihm aber einer sagte, ersolle sehen, ob nicht etwa unten am Faß ein Betrug begangen worden wäre,antwortete er ihm, er wäre ein Narr, der Wein mangelte nicht unten, sondernoben.Text 11Von einem Bettler, der zu Kaiser Friedrich kamAls Kaiser Friedrich, der Dritte, zu Nürnberg einen Reichstag der Fürstenhielt, kam ein Bettler vor den Hof und begehret, man sollt ihn einlassen, dann erwär des Kaisers Bruder; und wie er nicht wollt nachlassen, ward es dem Kaiseranzeigt, der, ob des Handel verwundert, befahl, daß man den Bettler sollteinlassen, und ihn fraget, woher er sein Brudr wär.
Da antwortete der Bettler,37alle Menschen wären unter ihnen Brüder von dem ersten Vater Adam, undheischet, daß ihn der Kaiser von dieser Bruderschaft wegen wollt begaben. DerKaiser gab dem Menschen, dessen Trotz ihm nicht recht wohl gefiel, nicht mehrdenn ein Kreuzer. Saget der Bettler: «Es geziemt sich nicht, großmächtigsterKaiser, daß du deinem Bruder so ein schlechte Schenkung gebest, wo du soreich bist». Sprach der Kaiser: «Fort mit dir! Wann dir ein jeglicher Bruder soviel gibt, so wirst du reicher sein, denn ich bin».Ein ander begehret vom Herzog von Sachsen ein Pfennig von wegen derFreundschaft, damit sie miteinander verwandt wären; da fraget der Herzog,woher diese Freundschaft käme, und der antwortet; «Von Adam, unser allerVater».
Drauf der Herzog: «Gang hin! Dann wann ich solch Freunden allenwollt ein Pfennig geben, würde weder mein Land noch mein väterlich Erb dazugenugsam sein».Text 12Johann Wolfgang GoetheDer Sänger(1) Was hör’ ich draußen vor dem Tor,was auf der Brücke schallen?Laß den Gesang vor unserm Ohrim Saale widerhallen!Der König sprach’s, der Page lief;der Knabe kam, der König rief:Laßt mir herein den Alten!(2) Gegrüßet seid mir, edle Herrn,gegrüßt ihr, schöne Damen!Welch reicher Himmel! Stern bei Stern!Wer kennet ihre Namen?Im Saal voll Pracht und Herrlichkeitschließt, Augen, euch: Hier ist nicht Zeit,sich staunend zu ergötzen.(3) Der Sänger drückt’ die Augen einund schlug in vollen Tönen;die Ritter schauten mutig drein,und in den Schoß die Schönen.Der König, dem das Lied gefiel,ließ, ihn zu ehren für sein Spiel,eine goldne Kette holen.(4) Die goldne Kette gib mir nicht,die Kette gib den Rittern,38vor deren kühnem Angesichtder Feinde Lanzen splittern;gib sie dem Kanzler, den du hast,und laß ihn noch die goldne Lastzu andern Lasten tragen.(5) Ich singe wie der Vogel singt,der in den Zweigen wohnet;das Lied, das aus der Kehle dringt,ist Lohn, der reichlich lohnet.Doch darf ich bitten, bitt ich eins:Laß mir den besten Becher Weinsin purem Golde reichen.(6) Er setzt’ ihn an, er trank ihn aus:O Trank voll süßer Labe!O wohl dem hochbeglückten Haus,wo das ist kleine Gabe!Ergeht’s euch wohl, so denkt an mich,und danket Gott so warm, als ichfür diesen Trunk euch danke.Text 13Heinrich MannUntertan (Auszug)Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vorallem fürchtete und viel an den Ohren litt.
Ungern verließ er im Winter diewarme Stube, im Sommer den engen Garten, der nach den Lumpen derPapierfabrik roch und über dessen Goldregen- und Fliederbäumen das hölzerneFachwerk der alten Häuser stand. Wenn Diederich vom Märchenbuch, demgeliebten Märchenbuch, aufsah, erschrak er manchmal sehr. Neben ihm auf derBank hatte ganz deutlich eine Kröte gesessen halb so groß wie er selbst! Oder ander Mauer dort drüben stak bis zum Bauch in der in der Erde ein Gnom undschielte her! Fürchterlicher als Gnom und Kröte war der Vater, und obendreinsollte man ihn lieben. Diederich liebte ihn.
Wenn er genascht oder gelogen hatte,drückte er sich so lange schmatzend und scheu wedelnd am Schreibpult umher,bis Herr Heßling etwas merkte und den Stock von der Wand nahm. Jede nichtherausgekommene Untat mischte in Diederichs Ergebenheit und Vertraueneinen Zweifel. Als der Vater einmal mit seinem invaliden Bein die Treppeherunterfiel, klatschte der Sohn wie toll in die Hände – worauf er weglief.Kam er nach einer Abstrafung mit gedunsenem Gesicht und unter Geheulan der Werkstätte vorbei, dann lachten die Arbeiter.
Sofort aber streckte39Diederich nach ihnen die Zunge aus und stampfte. Er war sich bewußt: «Ichhabe Prügel bekommen, aber von meinem Papa. Ihr wäret froh, wenn ihr auchPrügel von ihm bekommen könntet. Aber dafür seid ihr viel zuwenig». Erbewegte sich zwischen ihnen wie ein launenhafter Pascha; drohte ihnen bald, esdem Vater zu melden, daß sie sich Bier holten, und bald ließ er kokett aus sichdie Stunde herausschmeicheln, zu der Herr Heßling zurückkehren sollte. Siewaren auf der Hut vor dem Prinzipal: er kannte sie, er hatte selbst gearbeitet.
Erwar Büttenschöpfer gewesen in den alten Mühlen, wo jeder Bogen mit der Handgeformt ward; hatte dazwischen alle Kriege mitgemacht und nach dem letzten,als jeder Geld fand, eine Papiermaschine kaufen können. Ein Holländer und eineSchneidemaschine vervollständigten die Einrichtung. Er selbst zählte die Bogennach. Die von den Lumpen abgetrennten Knöpfe durften ihm nicht entgehen.Sein kleiner Sohn ließ sich oft von den Frauen welche zustecken, dafür, daß erdie nicht angab, die einige mitnahmen.
Eines Tages hatte er so viele beisammen,daß ihm der Gedanke kam, sie beim Krämer gegen Bonbons umzutauschen. Esgelang – aber am Abend kniete Diederich, indes er den letzten Malzzuckerzerlutschte, sich ins Bett und betete, angstgeschüttelt, zu dem schrecklichenlieben Gott, er möge das Verbrechen unentdeckt lassen. Er brachte es dennochan den Tag. Dem Vater, der immer nur methodisch, Ehrenfestigkeit und Pflichtauf dem verwitterten Unteroffiziersgesicht, den Stock geführt hatte, zucktediesmal die Hand, und in die eine Bürste seines silberigen Kaiserbartes lief, überdie Runzeln hüpfend, eine Träne. «Mein Sohn hat gestohlen», sagte er außerAtem, mit dumpfer Stimme, und sah sich das Kind an wie einen verdächtigenEindringling. «Du betrügst und stiehlst.
Du brauchst nur noch einen Menschentotzuschlagen».Frau Heßling wollte Diederich nötigen, vor dem Vater hinzufallen und ihnum Verzeihung zu bitten, weil der Vater seinetwegen geweint habe! AberDiederichs Instinkt sagte ihm, daß dies den Vater nur noch mehr erbost habenwürde. Mit der gefühlsseligen Art seiner Frau war Heßling durchaus nichteinverstanden. Sie verdarb das Kind fürs Leben.